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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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21. Heft
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Anwand, Oskar: Große Berliner Kunstausstellung 1914
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Spier: Tanz und Gesundheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0640

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MODERNE KUNST.

271

dieses Strombett und stempelt die Künstler als minderwertig, bis sic plötzlich vor
jenen Blumen steht, die auch ihr frisch duften. Diese Abteilung zeigt, wie Vieles sich
für die Kunst unsrer Tage damals vorbereitet hat, so daß der Bruch durch den fran-
zösischen Impressionismus und die Proklamation seiner einseitigen Herrschaft nicht
notwendig gewesen wären. Menzel, Steffeck und der Tiermaler Schmittson wurden
weniger angetastet. Aber auch Karl Becker bewährt sich viel besser, als man ihn im
Gedächtnis hatte. Mehr gilt dies noch dem Tiermaler Weber und dem Architektur-
maler Karl Graeb, die fast ganz verschollen waren. Ferner sind Knaus, Passini,
Plockhorst, Karl Begas, Henneberg, Hertel mit würdigen Arbeiten vertreten. Es ist
das Verdienst der Ausstellung mit solchen kurzen Hinweisen darzutun, daß unser

Urteil über die Malerei dieser Zeit doch wohl einer Nachprüfung bedarf. — Unter
den Plastikern ziehen wieder bekannte Künstler, wie z. B. Seger, Lewin-Funcke,
Hosäus, usw. die Aufmerksamkeit auf sich, während sonst diese Abteilung, wie
bereits bemerkt, schwächer als gewöhnlich, wirkt. Der Grund liegt wohl mit darin,
daß sich der Bildhauerei heute wenig große Aufgaben bieten. Kommen sie aber,
wie z. B. beim Denkmal in Frage, so wird gewöhnlich nur eine konventionelle
Schablone gewünscht, die wenig Kunst zuläßt. Jedenfalls fehlt der Plastik der
Ausstellung das monumentale Element fast gänzlich. Glücklicher zeigt sie sich
im Schlicht-Figürlichen, ja auch im Genrehaften, dies Wort im besten Sinne ge-
nommen, wovon Lewin-Funckes Kinderköpfchen eine vortreffliche Probe gibt.

^ Tanz und Gesundheit. ^

Von Dr. med.

UreS in heikles Thema. Wenn wir nicht die Gunst der weiblichen Welt ver-
<«tyy scherzen wollen, wenn wir nicht den Haß der männlichen Tanzgenies
auf uns laden wollen, so müssen wir hier sehr geschickt zwischen den
drohenden Klippen lavieren.
Der Wahrheit die Ehre. Zwei Fälle von Tod im Tangorausch sind wissen-
schaftlich einwandfrei festgestellt. Einer ereignete sich in Amerika, der andre
in Italien.
In einer südlichen amerikanischen Stadt wollte ein etwas älterer Arzt auch
dem allgemeinen Tangojubel fröhnen. Er ließ sich also auf einer Soiree in die
Geheimnisse des mächtigen Despoten einführen. Er war begeistert und hat des
Guten etwas zu viel getan. Plötzlich sank er seiner erschütterten Gattin leblos
in die Arme. Er war im Tangorausch verschieden, was manche einen sehr
schönen Tod nennen werden.
In Italien wurde auch ein etwas bejahrter Herr Opfer seiner Tangoliebhaberei.
Er hatte sich ebenfalls übernommen und starb an einem Herzschlag zu Hause,
als er von dem abendlichen Feste zurückkehrte.
Das sollte natürlich keine Warnung vor dem Tango im allgemeinen bedeuten.
Aber es -scheint doch, daß gerade dieser Tanz wegen seiner hohen Anforderungen,
welche er sowohl an die Aufmerksamkeit als auch die akrobatische Gewandtheit

Spier, München.
* ” " [Nachdruck verboten.]
der Ausübenden stellt, sich nicht für die Älteren mit den labilen Herzen eignet.
Es kommt nicht selten vor, daß junge Mädchen mit schwachen Kreislauf-
organen beim Tanzen ohnmächtig werden. Auch da ist übertrieben worden.
Man braucht nicht absolut jedem jungen Geschöpfe, welches etwas schwach auf
dem Herzen ist, nun strikte das Tanzen zu verbieten. Aber vor jeder Übertreibung
muß man entschieden warnen. Ein sicheres Zeichen, daß man an der Grenze des
Erlaubten steht, ist das stürmische Herzklopfen. Dann muß sofort unterbrochen
werden.
Aber daß sich Tanz und Gesundheit sehr gut miteinander vertragen, be-
weisen die Tanzrekorde, welche von manchen schönen Damen und eifrigen Herren
gehalten werden. Im Lande der unbegrenzten Möglichkeiten gibt es ein Paar,
welches 24 Stunden ununterbrochen den Walzer exekutierte, ohne daß irgendwie
gesundheitliche Störungen konstatiert werden konnten. Im Gegenteil, die Matadore
fühlten sich nach dem Rekordschleifen sehr wohl und meinten, daß sie sehr bald
wieder die Sache versuchen würden. Sie wollten dann ihren eigenen Rekord
schlagen.
Es ist auch schon vorgekommen, daß die Dauertänzer tobsüchtig geworden
sind. Tobsucht ist aber der falsche Ausdruck für dergleichen. Sie erlitten, wissen-
schaftlich gesprochen, eine Kenotoxinvergiftung, das heißt eine Überladung


Rudolf Poes'chmann: Eiu Hochzeitsfest. Große Berliner Kunstausstellung 1914.
 
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