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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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20. Heft
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Anwand, Oskar; Ury, Lesser [Ill.]: Lesser Ury
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0600

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Lesser Ury: Im Tiergarten. Ölgemälde.
LESSER URY.
Von Dr. Oskar Anwand.

NlSgw er Weg Lesser Urys führt, wie der nur weniger anderer Künstler, einsam für
sich der Höhe zu, nach der sie freilich alle streben. Nicht als ob dieser
J Maler sich bewußt und gewaltsam von jeher abgeschlossen hätte! Die Gedanken,
Ziele und Kämpfe seiner Zeit, die in ihren besten Söhnen am stärksten leben, haben
auch ihn beschäftigt. Dann schritt er mit andern wohl eine Zeitlang zusammen und
fühlte sich vom besten, was er sah, gleich ihnen zum Wetteifer angeregt. Aber er
hat sich keiner Richtung verschrieben, und ebenso hat keine andere Künstlerpersönlich-
keit entscheidenden Einfluß auf seine Malerei gewonnen. Das war schon wegen der
Vielseitigkeit seiner Veranlagung unmöglich. Denn Lesser Urys Entwicklung hat von
Eindrücken der Außenwelt, wie sie ihm die Großstadt mit ihrem Leben auf der Straße
und in den Cafes bot, zur Bergeshöhe mit ihren Offenbarungen philosophisch-monu-
mentaler Art und zu lichten Traumbildern geführt, die aus landschaftlichen Anregungen
und dem Klingen seiner Seele äthergleich zusammengewoben
sind. Ein Zug der Ewigkeit spielt in Lesser Urys Schaffen
hinein. Unter diesem weiten Horizonte stehen Gestalten, Form
und Linie, die er aus seiner Innenwelt heraus schafft. Diese
Sehnsucht nach dem Ewigen über der Flucht zufälliger Erschei-
nungen schwebt auch über seiner Landschaftskunst. Ein inneres
Klingen scheint den Einsamen, Wandernden zu begleiten und
zu leiten.
Dieser sichere Instinkt trieb schon den siebzehnjährigen
Jüngling (Lesser Ury wurde 1862 zu Birnbaum in der Provinz
Posen geboren) aus dem Kaufmannsberufe auf die Düsseldorfer
Akademie. Aber was er suchte, fand er hier nicht und brach
deshalb bald wieder auf. Da wurde ihm in Brüssel Portaeis,
ein tüchtiger Lehrer, der das Eigne seiner Schüler zu achten
und zu fördern, anstatt es nach damaligem Brauch akademisch
zu ersticken verstand. Zum Ruhme von Portaeis spricht es,
daß auch Fernand Khnopff und Toorop bei ihm den Grund
zu ihrer Entwicklung legen konnten. Dann erst, von Brüssel
aus gelangte Lesser Ury in die Stadt, die damals als der Hort
der neuen Malerei aufzuleuchten begann — nach Paris. Bonnat,
an den der Jüngling mit Empfehlungen gewiesen war, schickte
ihn zu Lefebvre, um seine zeichnerischen Fähigkeiten zu vervoll-
kommnen. Interessant genug, daß auch Rochegrosse — der

[Nachdruck verboten.] .
bekannte französische Maler großer Kompositionsbravourstücke, in denen er gern Massen
von nackten Körpern Makart-artig aufeinandertürmte — bei Lefebvre zeichnete. Man
kann sich zu diesem Virtuosen in der Tat keinen größeren Gegensatz denken, als
Lesser Urys spätere traumhaft-zarte Naturlyrik. An seine Pariser Zeit und die Betonung
des zeichnerischen Elements erinnert der von uns wiedergegebene „liegende Akt“ mit
der Weichheit und Zartheit des samtnen Hauttons, der sich von dem gut modellierten
Körper wirkungsvoll gegen den dunklen, roten Hintergrund abhebt. Ebenso ist die
Zeichnung der grabenden Bäuerin, die mit wenigen Strichen so sicher aufgebaut und
hingestellt ist, als ein Nachklang jener Zeit aufzufassen.
Nach einem Umwege über Belgien ließ sich Lesser Ury Ende der achtziger Jahre
in Berlin nieder, wohin noch wenig von den neuen malerischen Ideen, die Frankreich
bewegten, gedrungen war. Als seine damaligen Kampfgenossen, die ähnliche Ziele
verfolgten, sind vor allem Liebermann und Skarbina zu nennen,
so daß sich für die drei Künstler bei aller Verschiedenheit ihrer
Persönlichkeiten eine gleiche Grundlage ergab. Da begann die
impressionistische Saat, die sich bei seinem Pariser Aufenthalt
in Lesser Urys Seele gesenkt hatte, zu keimen. Das Flirren,
Fluten und Spielen des Sonnenlichts, sein breites Hinströmen
und Niederrieseln auf die Landschaft oder das Leuchten der
Strahlen und Kringel, die durch das Laubwerk fallen, lockten
ihn zur Wiedergabe. Mit einem Wort der Pleinairismus nahm
von Urys Kunst Besitz! In welcher Weise dies geschah, davon
gibt uns wiederum unsere Reproduktion eines seiner Gemälde,
das einen Ausblick auf den „Berliner Tiergarten" bietet und um
das Jahr 1890 entstanden sein mag, ein charakteristisches Bei-
spiel. Wie Manet, Monet, Sisley usw., holte auch er damals
seine Motive aus der Großstadt, ihren Anlagen und ihrer
nächsten Umgebung und bediente sich gleich den französischen
Impressionisten der Ölfarbe, der er eine frische skizzenhafte
Wirkung abgewinnt.
Gleich dem Pleinairismus beschäftigte ihn der Luminismus:
die Wiedergabe künstlichen Lichtes, das aus elektrischen Bogen-
lampen, Glühbirnen, Gaslaternen nsw. seine Strahlen und seinen
Schimmer ineinanderrinnen läßt oder mit Dunkelheit mischt. Um
jene Zeit entstand Lesser LIrys Bild, in das er den Rhythmus und


XXVIII. 63.

Lesser Ury. Zeichnung.
 
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