Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

DOI Heft:
21. Heft
DOI Artikel:
Hennig, Willy: Vom heutigen Spanien
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0630

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

r Aus dem Kunstsalon Eduard Schulte
Jose M. Lopez Mezquita: Segovianer. Berlin und Düsseldorf.

Vom heutigen Spanien.

Von Willy Hennig.

iPfyjeit einigen Jahren beginnt das internationale Reisepublikum die iberische Halb-
XjlpSpi insei zu bereisen und so dem durch Mißwirtschaft, erfolglose Kolonialkriege,
endlich durch den unglücklichen Krieg mit den Vereinigten Staaten von Amerika
erschöpften, finanziell zerrütteten Spanien neues Geld zuzuführen, Handel und Wandel
zu heben und das in tatenloser Resignation versunkene Land aufzuwecken und all-
mählich wieder hineinzuziehen in den großen Strom der Weltwirtschaft. Vor zwei
Jahrzehnten war es noch fast ein Wagnis, ein beinahe abenteuerlicher Gedanke für
verwöhnte Globetrotter, durch Spanien zu reisen, heute ist es bereits Mode. Seit den
letzten Jahren gibt es in einigen größeren Städten Spaniens Hotels, die gesteigerten
Ansprüchen genügen, und seit nun in jedem Frühjahr und Herbst der breite Strom
der reichen Fremden das Land durchflutet, Anregung suchend und auch spendend,
erwacht immer mehr und mehr auch das kulturelle Gewissen des an sich so begabten
Volkes aus seiner Lethargie; es begnügt sich nicht mehr mit untätiger Beschaulichkeit
der großen historischen, künstlerischen und geistigen Epochen seiner Geschichte,
sondern rafft sich mit staunenswerter Energie, mit dem den Romanen eignen Elan
auf, von neuem Geschichte zu machen, als handelnder Faktor einzutreten in den
wirtschaftlichen, geistigen und künstlerischen Kampf der Welt.
Wissende bezeichnen die bis heute ungehobenen mineralischen Schätze des
Landes als geradezu unermeßlich, ein gleiches gilt von den Erzeugnissen der Landwirt-
schaft, besonders in den nordöstlichen und östlichen Provinzen des Landes; im
Nordosten, im fleißigen Katalonien, ist schon heute eine gewaltige Textilindustrie
mit weltumspannenden Beziehungen, und wenn erst das Verkehrswesen von fremdem
(französischem) Kapital und Einfluß befreit sein wird, und die immer noch blutenden
finanziellen Wunden, die der kubanische Krieg hinterlassen, vernarbt sein werden,
wird ein wirtschaftlicher Aufschwung eintreten, ähnlich dem, mit dem Italien nach
seiner Einigung die Welt in Erstaunen gesetzt hat.

[Nachdruck verboten.]
Reich, aber unerschöpflich wie die wirtschaftlichen Quellen des Landes, sind
die geistigen, die ideellen. In selbstanklagender, bitterer Ironie sagt der Spanier:
„Europa, d. h. die „Kultur“, beginnt nördlich der Pyrenäen!“ Wer Spanien und seine
stolzen Bewohner nur etwas kennt, kann ermessen, welch schmerzhafte Selbst-
geißelung in diesen Worten liegt, weiß aber auch, daß hinter dieser herben, über-
triebenen Selbstkritik sich heute nicht mehr schlaffe Resignation verbirgt, sondern
daß dies Wort Sehnsüchte begreift, auf hohe Ziele gerichtete nationale, kulturelle,
geistige und künstlerische Ideale, an deren Verwirklichung der Spanier glaubt,
an deren Erkämpfung das junge Spanien geistig, wirtschaftlich und politisch
arbeitet.
Wenn die heutige spanische Geisteskultur noch ausländische Einflüsse verrät
— in der Philosophie und Musik sind es hauptsächlich deutsche, in der bildenden
Kunst französische Einflüsse —, so scheint sich hier zu wiederholen, was in fast allen
Blüteepochen Spaniens Kunst und Geistesleben die Eigenart verlieh, was geradezu
Tradition in Spaniens Kultur zu nennen ist, daß sie nämlich jedesmal erst zu neuem
Leben erweckt wurde durch außerspanische Anregungen, aber gleich so stark durch-
setzt sich zeigt von allerechtestem spanischen Geist, daß man z. B. bei spanischer
Kunst nie sprechen kann, wie das so oft geschieht, von „Kunst aus zweiter Hand“.
Weder die hispano-maurische Kunst, die die sieghaften Mauren anregten, ist „Kunst
aus zweiter Hand“, noch die düstre, ernste Gotik der großen Dome, weder der herbe
Morales, noch der weiche Murillo, noch Velasquez, noch der grausam-schöne Goya.
Zu lange lebte Spanien sein eignes, dem andern Europa so fremdes Leben, zu sehr
ist die ganze Struktur seines sozialen, geistigen, religiösen Lebens durch seine Ge-
schichte, sein Klima, seine Landschaft bedingt, zu sehr sind darum seine Sitten und
Gewohnheiten rein spanischer Eigenart, als daß seine Künstler sich aus dem um-
strickenden Bann dieser Einflüsse lösen könnten.

XXVIII. 66.
 
Annotationen