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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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25. Heft
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Hartmann, H.: In Berns Visitenstube
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Vor dem Ozeanflug
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0754

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MODERNE KUNST.

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Alpenbahn aber führt drunten im Tal der Kander weiter an das liebliche Hochtal
der Kien, dann zum Talhauptort Frutigen, nach den hochgelegenen Alpenkurorten
Kandersteg und nach Adelboden, für das noch eine Postwagenfahrt nötig ist.
Welche Auswahl, welche Fülle! Dort, in Adelboden, das weite vorlandartige
Revier der Bergweiden inmitten hoher Gebirgsstöcke, dazu ein großer, erstklassiger
Kurort, in Kandersteg wieder mehr die Gletscherzone mit all ihren geologischen Merk-
würdigkeiten und Schönheiten. Das Haupttal selbst verästelt sich hier dreimal. Links
steigt hinauf zum weitgespannten Felsenschoße, wo am Riesenfuße der Blümlisalp
friedvoll und einsam der herrliche Opal des Oeschinensees eingebettet liegt. Südlich
davon zwängt sich das Tal durch die himmelhohe Felsenspalte der Klus und windet
sich an den tosenden Kanderfällen vorbei zur romantischen Alpstaffel von Gasteren.
Westlich am Gemmipaß vorüber wiederum gehts zu den Hochweiden von Oeschinen und
zu der zerhackten Felsenburg des Tschingellochtighorns, einem beliebten Ziel und
Turngerät wagemutiger Kletterer. Drunten in Spiez am Thuner See, einem bedeutenden *
aufblühenden Kurort, endigt die Simmentallinie, die an den bekannten Kurbädern von
Weißenburg und Lenk, nach den Kurorten Gstaad und Saanen und endlich an den
Genfer See führt. Erlenbach und
Zweisimmen sind übrigens ebenfalls
bekannte Kurplätze.
Das Herz dieses Gesamtgebiets
Berner Oberland, das sich von der
Titliskuppe am Fuße der schönsten
Kette der Schweizer Hochalpen ent-
lang bis zu den Gebirgsstöcken der
welschen Erde erstreckt, bildet das
schöne, kosmopolitische Interlaken.
In täglichem Pulsschlage gehen von
diesem Vorhof der Jungfrau zur
Sommerszeit die belebenden Ströme
nach allen Richtungen aus. Was
gestern durch den großen Zauber
eines glänzenden Alpenkurorts und
fashionablen Zentrums angezogen
und durch die feinen Reize gefangen
genommen worden ist, das wird heute
am Zauberfaden wieder losgelassen,
um ein wenig in den wunderbaren
Alpengarten da oben zu schweifen.
Dürstend nach der großen, seltenen
Schönheit des Hochgebirges, schwär-
men die hier zu Tausenden ange-
sammelten Tieflandmenschen all-
morgendlich hinaus — hinauf. Man
fährt zur Schynigen-Platte empor,
um sich zunächst orientierend im
Jungfraugebiet umzublicken, wenn
nicht gar, um den großartigen Hoch-
weg zur freien Aussichtswarte des
Faulhorns zu begehen. Andere Kon-
tingente lassen sich mitden jetzt elek-
trifizierten Berner-Oberland-Bahnen
direkt ins Lauterbrunnental führen.
Lauterbrunnen bietet an sich schon
mit Staubbach und Triimmelbach
große Naturschauspiele. Über Lauter-
brunnen liegen die berühmten Berg-
emporen: abendwärts Miirren auf
himmelhohen Kalksteinklippen, das
von einem ganzen Gletscherzirkel
umspannt ist. Ihm gegenüber erhebt
sich der weltberühmte Bergrücken
der Wengernalp, oder Kleine Scheidegg, die auch die elegante Sommerkolonie Wengen,
eine Hotelstadt auf Alpenhöhe, trägt. Unterhalb der Paßhöhe liegt die eigentliche
Wengernalp eine der interessantesten Beobachtungsstationen der Schweiz für Lawinen-
fälle. Ihrem Hotel Jungfrau gegenüber, im sogenannten Trümmletental, vereinigen nicht
weniger als vier große Lawinenkanäle ihre Abmassen zertrümmerten Gletschermaterials.

An heißen Tagen geht hier der Lawinendonner fast ununterbrochen, und das Schauspiel
des Untergangs ganzer Eiswelten präsentiert sich ohne große Unterbrechungen.
Oben auf der Paßhöhe der Kleinen Scheidegg liegt nicht allein die Kulmstation
der Wengernalpbahn, hier nimmt auch die Jungfraubahn ihren Ausgang. Sie stellt ein
Beförderungsmittel dar, das es möglich macht, ungezählte Tausende in die wildesten
Prachtregionen von Fels und Firn, nach den Zyklopenhöhlungen der Stationen Eiger-
wand und Eismeer und in den Bereich des in riesenhaften Dimensionen sich ausdehnen-
den Gletscherstroms des Aletsch zu führen. Jenseits der Kleinen Scheidegg aber liegt
im grünen Hochtal eben jenes Gletscherdorf Grindelwald, dessen Ruf als große Natur-
sehenswürdigkeit, als menschliche Siedlung im Gletscherbusen mit den mannigfaltig-
sten Naturmerkwürdigkeiten, schon vor Jahrhunderten den Kurfürstensohn aus
Brandenburg angelockt hat.
Östlich von Interlaken breitet sich der wildromantische Brienzer See aus, umragt
von wilden Felsenrücken, aus welchen als Aussichtsberg ersten Ranges das Brienzer
Rothorn sich zum markanten Gipfel aufschwingt. In der grünen Waldumrahmung
des Sees liegen auch freundliche Weiler und .bekannte Kurorte, wie Bönigen, Ringen-
berg und Iseltwald. Die mächtigen
Gießbachfälle am Südostende, wo
sich auch die gleichnamige, renom-
mierte Höhenstation befindet, sind
von jeher ein Mekka der schaulusti-
gen Welt gewesen, denn in dreizehn
Stürzen bietet sich hier eine so groß-
artige Abwechslung im Kaskaden-
schaustück der Natur, wie es sonst
nur selten zu finden ist. Von hoher
grüner Waldwarte schauen die freund-
lichen Erker dieser Sommersiedlung
hinüber auf die sonngebräunten
Häuslein des Schnitzlerdorfes Brienz,
wo emsiger Gewerbefleiß und kleine
Hausindustrie neben großen Export-
geschäften und der staatlichen
Schnitzlerschule jene Tausende von
Holzfiguren und Holzgegenständen
vom Adler, Hirsch und Bären bis zur
prächtigen Standuhr, dem Tafelglas-
spiegel und dem Großmöbel mit rei-
chen Intarsien fertigen. In Brienz
übernimmt die Brünigbahn den
Menschenstrom von den Brienzersee-
dampfschiffen. Sie führt ihn zu-
nächst nach Hasli im Weißland und
dessen Hauptort Meiringen.
Mit den freundlich grünen Kur-
landschaften Brünig-Hasliberg, Ro-
senlaui-Schwarzwaldalp und Inner-
kirchen darf sich auch Meiringen als
Zentralplatz etwas zugute tun. Es
ist ohnehin der Schlüssel zu fünf
Alpenpässen: Brünig, Große Scheid-
egg, Sustenpaß, Jochpaß und der
großartigen Alpenstraße über die
Grimsel. Ringsum steigen grüne
Vorberge und imposante Felszinnen
empor. Von allen Seiten leuchten
die weißen Bänder kleinerer Wasser-
fälle, oder steigen die Dunstnebel
der größeren auf, so des imposanten
Reichenbachs. Dazu gesellt sich die
Riesenklamm der Aareschlucht.
Ein einziger Sommer reicht freilich nicht aus, all die einzelnen Naturwunder
dieses großartigen Wundergartens des Berner Oberlandes zu würdigen und zu be-
wältigen. Wem es aber vergönnt ist, sich zeitweise in diesem Wunderlande ver-
nünftig genießend zu ergehen, der wird dem Volksmunde beipflichten müssen, der dieses
kleine Reich im Herzen der Alpen als die „Visitenstube Berns“ bezeichnet hat.

Oberer Reichenbachfall. Phot- A' G' Vielebberg-Zürich.

Vor dem Ozeanflug.

s läßt sich kaum noch daran zweifeln, daß die erste Überquerung des Atlanti-
of sehen Ozeans bald vollendete Tatsache sein wird. Der Preis von 200000 Mark
der dem Sieger winkt, und die Unsterblichkeit des Namens, wirken wie der geheim-
nisvolle Magnetberg auf die Flieger. Selbst einer ganz nüchternen, phantasiefreien
Erwägung hält das Projekt der Ozeanüberfliegung bereits stand. So hat der
deutsche Flieger Landmann, der den Weltrekord der Dauer kürzlich auf fast
22 Stunden erhöhte, insgesamt eine Strecke zurückgelegt, die bereits ausreichen
würde, um die weiteste Entfernung bei einem Flug über den Atlantischen Ozean

[Nachdruck verboten.]
zurückzulegen. Diese ist mit ihren 1078 km übrigens bedeutend kürzer als meist
angenommen wird und liegt zwischen der Hauptstadt von Island und der Süd-
spitze Grönlands. Die Distanz zwischen den Hebriden und Reikjavik beträgt nur
916 km. Allerdings kann man beide Strecken nicht als besonders günstig bezeich-
nen, da sie durch sehr unwirtschaftliche oder neblige Gebiete führen. Eine andere,
vom Wind recht begünstigte Fluglinie führt von Neufundland nach den Azoren. Die
zu überfliegende Strecke ist rund 3000 km lang. Da ein deutscher Flieger an einem
Tage schon 2400 km und ein Franzose an zwei Tagen 2900 km geflogen ist, stehen
 
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