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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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16. Heft
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Buss, Georg: Josef Magr
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0475

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MODERNE KUNST.



in der Verschönerung Leipzigs während der letzten Jahrzehnte sind nächst
den Architekten die Bildhauer stark beteiligt: sie haben Promenaden,
'TpN' Plätze und Parkreviere mit zahlreichen Denkmälern, fesselnden Ideal-
gestalten und glücklich erfundenen Brunnen geschmückt und manchem großen
Monumental- und Privatbau den Reiz statuarischer und dekorativer Skulptur
verliehen. Vornehmlich verdanken sie diese ausgiebige Entfaltung ihres Schaffens
dem bewundernswerten Opfer- und Gemeinsinn der Bürgerschaft, die mit Auf-
trägen und Stiftungen für die künstlerische Ausgestaltung der Stadt nicht gespart
hat. Solche hochherzige Förderung der Kunst sollte andere deutsche Städte und
besonders Berlin zur Nachahmung reizen. Nicht mit kritischen Randglossen und
mit Zank und Streit ist der Kunst geholfen, sondern mit reichlichen Aufträgen,
vermöge deren die Kräfte sich sorgenlos regen können. Das haben die Bürger
der stolzen Stadt an der Pleiße längst erkannt, und sie haben dementsprechend
gehandelt. Eine Hochburg der Wissenschaft, eine geistige Zentralstelle, von der
mittels Druck und Verlag eine Fülle von Belehrung und Anregung die Welt
durchströmt, eine Musikstadt, mit der sich die Namen eines Bach, Mendelssohn-
Bartholdy und Wagner verbinden, eine Metropole des Handels und der Industrie
und eine großartige Messestadt, deren Fäden den ganzen Erdball umspannen,
hat Leipzig seiner kulturellen Arbeit aus innerstem Bedürfnis die Pflege der
bildenden Kunst hinzugesellt, auf daß sie mit ihren Gebilden versöhnend und
verklärend in den Ernst des Lebens leuchte.
Zu den Künstlern, die sich hier mit bemerkenswerten Leistungen hervor-
getan haben, gehört auch Josef Magr. Geboren im Jahre 1861 zu Mutowitz in
Böhmen, verbrachte er den ersten Abschnitt seiner künstlerischen Laufbahn mit
Studien und Werkstattarbeit in München und Prag. Später, im Jahre 1889,
wandte er sich nach Leipzig, wo er seitdem als fest wurzelndes und geschätztes
Mitglied der Künstlerschaft eine zweite Heimat gefunden hat.
Zwei Schöpfungen sind es, die dem Meister besonderen Beifall eingetragen
haben: das zusammen mit Adolf Lehnert im Jahre 1897 errichtete Bismarck-
denkmal und der Märchenbrunnen. Am schönen Johannapark, einer nach Lennös
Entwurf mit feinem Schönheitssinn geschaffenen Anlage, hat das Denkmal des
Altreichskanzlers, gestiftet von den zahlreichen Verehrern des Unvergeßlichen,
einen bevorzugten Standort erhalten. Es ist geboren aus einer echt volkstüm-
lichen Poesie und Begeisterung, deren Wirkung sich niemand entziehen kann.
Groß und bedeutend in seiner ganzen Erscheinung und doch von herzgewinnender
Schlichtheit, steht der Schöpfer der deutschen Einheit, in ziviler Tracht, bar-
häuptig, die Rechte mit dem Schlapphut auf den derben Stock gestützt und zur
linken Seite den treuen Hund Tyras, auf ragendem mächtigem Felsblock, an
dem ein rauher Mann der Arbeit, seines Zeichens ein Schmied, sich emporreckt,

[X'ach.lruclc verboten.]
um in Freude
und Stolz dem
gefeierten Lieb-
ling der Nation
den Eichen-
zweig zu rei-
chen. Der land-
schaftlichen
Umgebung mit
ihrem üppigen
Grün vorzüg-
lich angepaßt,
erweckt das
Denkmal dieEr-
innerung an den
Sachsenwald,
wo der große
Kanzler beim
Rauschen der
mächtigen
Eichen von sei-
nen Taten aus-
zuruhen und
sich seiner
heißen , Liebe
zu Gottes fri-
scherundfreier Josef Magr: Plakette „Hexe”.
Natur hinzugeben vermochte. Manche Bismarckdenkmäler mögen imposanter
und kostbarer sein, wenige aber entsprechen dem Empfinden des Volkes so wie
dieses. Auch der Märchenbrunnen ist volkstümlich gehalten. Von so pomphafter
Gestaltung und Überschwänglichkeit, wie der in Berlin ist er nicht. Der könnte
ebenso gut in Versailles oder in einem andern fürstlichen Herrensitze stehen.
Übertreibungen solcher Art entsprechen nicht dem treuherzigen, naiven Charakter
des Märchens. Dem Volke entsprossen, in schlichten Worten von Generation zu
Generation übertragen, verlangt es auch in der Sprache der Kunst den schlichten,
naiven Vortrag, der die Kinder jubeln macht und die Gedanken der Erwachsenen
zur sonnigen Jugendzeit zurücklenkt. Unser Leipziger Künstler hat den wahren
Charakter getroffen. In den Gestalten von Hansel und Gretel paaren sich Naivität,
Treuherzigkeit und Anmut. Brüderchen und Schwesterchen suchen an der klaren
Quelle, die der Grotte entströmt, den Durst zu löschen, während von oben, aus
dem Schlußstein des die Grotte überspannenden Stirnbogens, das Haupt der
alten Hexe, gekrönt vom Raben, herabschaut. Hänsel steht auf dem felsigen
Boden und neigt sich vornüber, Gretel kniet, und beide bilden insgesamt eine
schön geschlossene Gruppe, die sich vom beschatteten Hintergründe trefflich
abhebt. Das Ganze bildet den Mittelteil einer monumental gestalteten Steinbank,
in deren Lehne sich oben ein Bronzefries mit Szenen des Märchens hinzieht.
Das allgemein bewunderte Kunstwerk bildet eine Zierde der Anlagen am ver-
längerten Thomasring. Wer dort an heißen Sommertagen weilt, dem Murmeln
und Plätschern des Wassers lauscht und sich in die Gestalten unserer Märchen-
welt vertieft, muß lichte Freude empfinden.
Eine kraftvolle Sage, die vom wilden Jäger, hat Magr gleichfalls zum Motiv
eines Brunnenprojekts gewählt. Bestimmt ist das Projekt für das landschaftlich
bevorzugte Harzburg. Gerade dort ist für die Verkörperung solcher Sage der
rechte Boden, verbinden sich doch mit dem Harz die seltsamsten Geschichten.
In der Walpurgisnacht reiten die Hexen aus allen Landen auf Besenstielen,
Ziegenböcken und allerlei seltsamem Getier zur großen Heerschau nach dem
Blocksberg, und alle sieben Jahre stürmt des Nachts durch die dunklen Wälder
oder darüber hin der wilde Jäger mit seinem Gefolge und seinen Hunden., Dann
braust, heult, pfeift und kläfft es gar seltsam in den Lüften, bis der Spuk vor-
über ist. Freilich, jetzt lachen die Leute über diese Geschichten, kein Mensch
glaubt mehr daran, aber in grauer Vorzeit, wenn Wuotan mit der schönen Freyja
unter dem Brausen der Frühlingsstürme Hochzeit machte, dann bebten die
Menschen bei den tollen Lauten, schlugen ein Kreuz und zogen furchtsam die
Decken über die Ohren. Der wilde Jäger, gekleidet nach mittelalterlicher
Weise, die Faust bewehrt mit der Armbrust, auf der Schulter die zur Eule ver-
wandelte Norne Urd, die alles Vergangene kennt, ist samt den lechzenden Hunden
als Hauptgruppe des Brunnens gedacht. In stürmender Stellung krönt die
kernige Jägergestalt mit ihren Rüden die Platte eines mächtigen Steinblocks, der
inmitten des grotten- und felsartig behandelten Brunnens emporragt. Die ganze
Gruppe atmet lebendige Bewegung, Sturm und Hast. Dabei verwebt sich mit
ihr der Schleier des Geheimnisvollen. So ist der Vorwurf mit dem eigenartigen
poetischen Zauber der Sage klar zum Ausdruck gebracht.
Es erweckt Freude, anstatt antiken Gestalten auch einmal heimischen in der
Skulptur zu begegnen. Sie, die dem Volke lieb und vertraut sind, finden als

Josef Magr: Skizze zu einer Brunnenfigur „Der wilde Jäger“.

XXVIII. 16. Z.-Z.
 
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