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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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Copyright by Rieh. Bong, Berlin. 18. 6. 1914. Alle Rechte, auch das der Übersetzung in andere Sprachen, sind den Urhebern Vorbehalten.

fln Bord des Dampfers „Vaterland“.
Amerika baut die größten Häuser, und Deutschland
in der Imperator-Klasse der Hamburg-Amerika-Linie
die größten Dampfer der Welt. Ein stolzer Name, der
aber diesen schwimmenden Riesenpalästen gebührt.
Sieht man selbst von ihrer imponierenden Größe
ab, so bleiben ihnen zwei unabweisbare Vorzüge:
einmal die Bequemlichkeit des Reisenden
in jedem Sinne, ferner die Sicherheit und
der ruhige Gang der Schiffe, die Seekrank
heit fast ausschließen. Beides war noch
vor wenigen Jahren in dieser Weise nicht
möglich. Es kennzeichnet den unge-
heuren Aufschwung der deutschen
Schiffsbaukunst, die soeben von Aus-
ländern als die höchstentwickelte der
Welt bezeichnet wurde, daß der
Dampfer „Kaiserin Auguste Viktoria“
der Hamburg-Amerika-Linie, der vor
acht Jahren das größte Schiff dieser
Gesellschaft war, heute etwa den halben
Tonnengehalt hat als „Vaterland“. Mit
55000 Tonnen übertrifft „Vaterland“ noch
um zirka 5000 Tonnen den „Imperator", der
seinerseits wieder die versunkene „Titanic'
der Engländer hinter sich läßt. Die Turbinen
treiben „Vaterland" mit 90 000 Pferdekräften in
einer Geschwindigkeit von durchschnittlich 23 Knoten
vorwärts, die bis auf 26 gesteigert werden kann; freilich
hat dieser schwimmende Riese auch die Kleinigkeit
von 34 Millionen Mark gekostet. Es lohnt sich schon,
einen solchen unbestritten Ersten unter allen seinen
Kollegen, die mit rauchendem Schornstein über den
Ozean ziehen und auf die Segelschiffe wie der heutige

Nun dauert es eine Zeitlang des Aufnehmens und der
Wanderung durch die zahllosen Räume des Schiffes,
ehe man sich einen Überblick verschafft hat, so über-

Dampfer „Vaterland“ der Hamburg-Amerika-Linie: Schwimmbad.
Phot. G. Koppmann & Co., Homburg.

Tag auf den gestrigen herabblicken, kurz den größten
Dampfer der Welt, etwas näher kennen zu lernen.
* *
*
Vielleicht ist der erste Eindruck sogleich der ge-
waltigste. Schon von der Eisenbahn aus vor Cuxhaven
sieht man den Koloß mit seinen drei Schornsteinen, von
denen der dritte den Luftschacht bildet, mit seinen
Masten und seinem enormen Rumpfe aufragen. Und
nun steht man am Kai, wo die Hafeneisenbahn gegen
den Hintergrund des Schiffes wie ein Kinderspielzeug
erscheint. Als ein riesiges Straßenviertel fast in Kirch-
turmhöhe, liegt der stählerne, nietengepanzerte Leib des
Dampfers, dessen oberes Deck sich 28 Meter über dem
Meeresspiegel erhebt. Nur wenn man den Kopf zurück-
biegt, kann man zu der Flagge am Mast emporblicken,
die im Meereswinde 65 Meter hoch weht, und rechts und
links muß man sich wenden, um die Länge des Riesen
ermessen zu können. Adam öffnete seine Brust, damit
Eva aus der Rippe entstand; auch hier steht ein Tor
an der Seite des Schiffsrumpfes offen, um den Ein- oder
Austretenden Bahn zu geben. Nun gewinnt man auch
von der Breite des Dampfers eine Ahnung, und es tut
sich dem erstaunten Blick ein Labyrinth des Luxus mit
Treppengängen und Vorsälen auf, als ob der Raum
hier keinen Wert hätte, mit Fahrstühlen, die hinauf-
und hinabgleiten, und mit Gängen zu den Kabinen.
F. Deck habe ich, also das sechste von oben, das noch
beträchtlich über dem Meeresspiegel liegt, und Nr. 614.
Da auf die erste Klasse eine zweite, eine dritte und das
Zwischendeck folgen, scheint die Anzahl Passagiere, die
in diesem „Vaterland“ befördert werden können, nicht
gering zu sein.

Dampfer „Vaterland“ der Hamburg-Amerika-Linie.
Phot. Atelier L. A. Schaul, Homburg.
sichtlich und zweckmäßig auch Plan und Anordnung
des Ganzen sind. In nächster Nähe schaut man die
Schornsteine an, durch
die Eisenbahnzüge be-
quem hindurch fahren
könnten; man steht
auf der Kommando-
brücke, in Wahrheit
nach Länge und Breite
eine überdachteBrücke,
die freilich mehr einem
langen Saal ähnlich
sieht, und fühlt die
Verantwortung dessen,
der dieses „Vaterland“
regiert. Man staunt
über die Maschinen-
anlagen, die Flucht der
Vorrats- und Aufbe-
wahrungsräume und
ist erfreut, daß für
erhöhte Bequemlich-
keit auch der Zwischen-
decker gesorgt ist,
denn neben den großen
Schlafsälen gibt es
hier gleichfalls Einzel-
kabinen für 2, 4 und
6 Personen. Und nun
fährt das Schiff ab,
nachdem das Tor in
seinem Rumpfe sich
leise donnernd ge-
schlossen hat. Die
Kapelle schmettert, oder sucht zu schmettern, denn wie
auf dem Rennplätze dringt ihre Stimme nicht weit.
An dem Ungetüm
ziehen zwei Schlepper,
um es in das Fahr-
wasser zu bringen, wo
es seine eigne Kraft
entfalten kann; aber
noch rührt es sich
kaum vom Fleck. J etzt
rückt es seitlich etwas
ab. Drunten in der
Tiefe auf dem Kai steht
ein Gewimmel jenes
lächerlichen Pygmäen-
geschlechtes, Menschen
genannt, das freilich
dieses Schiff gebaut
hat. In launigem Scherz
setzt der Riese jetzt
ein armdickes Tau auf
dem Kai in Bewegung,
so daß die Menschlein
hin- und herstieben,
um nicht ins Wasser
gefegt zu werden; aber
gutmütig läßt er es
wieder liegen. Frischer
die Brise vom Meere
her! Ich sehe auf die
Zwischendecker, für
deren Mehrzahl ein Ab-

schied für immer bedeutet, was mir nur eine Spazier-
fahrt ist. Die meisten bleiben völlig ruhig, haben. sie
doch daheim das schmerzliche „Lebewohl“ gesagt; nur
eine Frau mit einem Säugling auf dem Arme blickt mit
unbeweglichem tränenfeuchten Auge auf das Land zu-
rück. Die Maschine muß längst arbeiten; aber kein
Schüttern, keine Bewegung dringt zu mir, ganz
ruhig zieht der Dampfer seinen Weg.
* *
*
Nun sitzen wir in dem großen Speisesaale,
von denen „Vaterland“ eine ganze Anzahl
in verschiedenem Stile enthält, über-
blicken den weiten eleganten Raum, auf
dessen einzelnen Tischen die roten
Schirmlichter leuchten, und finden auch
hier keinen störenden schiffartigen
Charakter. Keine starke, an Rauch-
fänge erinnernde Säule steigt auf, da
die Luftschächte an den Seiten an-
gelegt sind und sich erst auf dem
obersten Deck vereinigen. Die Räume
wirken in ihrer Ausdehnung und ihrem
Komfort gleich den Sälen erster, aber
nur allererster Hotels unserer größten
Städte. An sie erinnert auch das prächtige,
im pompejanischen Stile gehaltene Schwimm-
bad (12 Meter lang, 6% Meter breit und 3 Meter
tief), von dessen Marmorbänken und Säulen sich
das klare Blau des Meereswassers so wohlig abhebt; die
Räume für Lichtbäder, Bestrahlungen usw. schließen
sich hier an. Der holzgetäfelte Rauch- und Biersalon
trägt die Gemütlichkeit deutscher Lokale auf das Meer
hinaus, und die Turnhalle mit ihren zahllosen Turn-,
Reit-, Streck- und Massiergeräten hält den Körper
sehnig und elastisch, wenn ihn die Genüsse der Küche
zu ermüden drohen.
* o. *
*
Immer wieder sammelt das Promenadendeck mit
seinem Korso seine Getreuen, die schon jetzt eine inter-
nationale Mischung zeigen. Bei einem dreimaligen Rund-
gange auf- und abwärts vorbei an den Liegestühlen,
wo behagliche Genießer lässig ausgestreckt lesen oder
sich nur sonnen, hat man einen Kilometer zurückgelegt.
Zu jeder Zeit gewinnt dieses Promenadendeck eine neue
Schönheit, die man nicht bis zum Rest ausschöpft;
denn Kultur und Zivilisation überbieten sich hier. Am
Abend entfaltet die Sonne ihr Farbenspiel auf der weiten
Seefläche und hebt dort vor uns ein Stückchen in hellem
Grünblau hervor, als schwebe es leuchtend über dem
Spiegel. Bei Helgoland herrscht reges Treiben unserer
Flotte, Torpedoboote unternehmen den bekannten
gefährlichen Durchbruch durch die eigne Linie gegen
den angenommenen Feind. Als ich hinüber auf die Steuer-
bordseite gehe, steht dort ein Kinderwagen mit der
Marke „Nach Southampton“, der also leer zu sein scheint.
Aber nein, er trägt seine Fracht. Idyllisch schläft ein
Säugling darin, den Gummistöpsel im Munde, das
Fäustchen leicht geballt, bedeckt von seinem weißen
Mäntelchen, dessen blauseidene Kapuze nach oben liegt.
Und dort von der Reling her lächelt die indische Nurse,
geschmeichelt über die Aufmerksamkeit, die ihrem Pfleg-
linge erwiesen wird.
Mehr und mehr weicht das kalte Staunen vor der
Größe des Schiffes dem warmen Behagen und der Freude
über seine Vorzüge. Bei Abend dringt hin und wieder
von einem Leuchtturme ein leiser Strahl herüber, der
Sternenhimmel breitet sich über der Wasserrunde,
das Rauschen des Dampfers klingt leise auf Deck herauf,
und aus den Wellen taucht gelegentlich eine Blinkboje

Dampfer „Vaterland“ der Hamburg-Amerika-Linie: Wintergarten und Ritz Carlton Restaurant.
Phot. Atelier L. A. Schaul, Homburg.

XXVIII. 21. B. 1.
 
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