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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0645
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MODERNE KUNST.





auch, selbst solch ein höchst komischer „Schweineritt" Anklang finden,
wenngleich der Anblick nicht gerade hochästhetisch ist. Mr. Wing-
field hat auf seinem Reitschwein schon ganz beträchtliche Ent-
fernungen zurückgelegt, natürlich im leichten Trab, der aller-
dings wegen der kurzen Stöße ein Englischtraben unmög-
lich macht. Der Schweinegalopp ähnelt dem Hasengalopp
bzw. dem Galopp des Hundes, da der Eber nicht wie das
Pferd mit einem Euß beim Galopp führt. Etwas durchaus
Neues ist der Gebrauch des Borstentiers zum Reiten
nicht, denn schon verschiedene Zirkusclowns sind auf
dem Schweinerücken in der Manege erschienen und
haben, wie z. B. Clown Steffin, viel Heiterkeit durch
ihren seltsamen Reitakt erzielt. Auch Strauße, Stiere,
Zebras und andere Tiere hat man als Reittiere benutzt,
doch sind alle diese exotischen Geschöpfe nur als gelegent-
liche Originalscherze in Erscheinung getreten. Auch
Mr. Wingfield opfert auf dem Altar der Originalität, denn
er dürfte schwerlich einen Begleiter, noch weniger eine
Begleiterin finden, die sich neben ihm hoch zu „Schwein"
bewundern ließen. Man wird an der Nützlichkeit des
borstigen Haustiers nie den geringsten Zweifel hegen, aber
man weiß ja auch allgemein, daß seine Points auf einem
anderen Gebiete, dem der Gastronomie, liegen dürften. V. H.
* *
*
Zirkus Busch brachte in der verflossenen Saison, der letzten
seines 30 jährigen Bestehens, eine ganz besonders interessante Erschei-
nung auf geharktem Sande, die russische Schulreiterin Baronin
Sadaja mit ihren Schul- und Spring-
pferden. Die elegante rassige Frauen-
gestalt erregte das Aufsehen der Sportwelt
um so mehr, als sie über ein tadelloses
Pferdematerial verfügt. Sie erschien
auf dem Lipizzaner Schimmelhengst
„Canicha“, einem ehemaligen Eleven der
berühmten spanischen Hofreitschule in
Wien. Sadaja trug zu ihren Evolutionen
entweder das weiße Reitkleid, in dem
unser Bild sie zeigt, oder eine schwarze
Phantasiehusarentracht mit reichver-
schnürter Taille und keckem Reiherstutz
auf dem Barett. Sie ritt alle klassischen
Schulen, wie sie in Wien gelehrt werden,
Piaffe und Passage, sowie Galoppwechs-
lungen. Bei dem „Trab auf der Stelle"
und bei dem „Trot espagnol" ließ sie
an den Vorderbeinen ihres schneeweißen
Hengstes Kastagnetten befestigen, welche
den Effekt erhöhten und vor allem auch
„Canicha" veranlaßten, hohe Stepptritte
auszuführen. Dann verließ die schlanke
Schöne die Manege und kehrte auf einem
Springpferde in Begleitung eines russischen
Barsoi zurück. Pferd und Hund nahmen
nun im Kreise aufgestellt Eiindernisse im
Jagdgalopp, während Baronin
Sadaja jedesmal während des Springens einen Baguettereifen
unter sich und dem Pferde blitzschnell hinwegzog. Das Ganze
war ein kavalleristisches Meisterstückchen, das im Zirkus
Busch starken Beifall fand. Nach Berlin kam die elegante
Amazone direkt vom Zirkus Corty-Althoff, einem der
renommiertesten Reisegeschäfte, bei dem sie in Stuttgart
mit außerordentlichem Erfolge gastiert hatte. H.
* *
*
Ein Denkmal des Diogenes. Unter den zahl-
reichen Monumenten, mit denen die Plätze und Straßen
der französischen Metropole geschmückt sind, findet
sich so manches Denkmal, das mitten im tollen Ge-
triebe der Weltstadt gar eigenartig anmutet. Wenn
man auf dem rechten Seineufer die Rue du Bretagne
durchschritten hat und in die Rue Vieille du Temple
einbiegt, gelangt man zum Square du Temple und ist,
wie fast überall in Paris, an historisch geweihter Stätte.
Das Square du Temple nimmt den Platz ein, wo ehemals
der „Temple", das Ordenshaus der Tempelherren, stand.
Von diesem alten Gebäude blieb nur der Turm erhalten,
der in den Tagen der großen Revolution als Staatsgefängnis
diente, und in dem auch Ludwig XVI. mit seiner Familie im
Winter des Jahres 1792—1793 bis zu seiner Hinrichtung gefangen
gehalten wurde. Unter dem zweiten Kaiserreich wurde dann auch

Ein seltsames Reittier.
Phot. Central News, London.

der alte Turm abgebrochen und mußte einem Square mit Trödelhallen
Platz machen. Auf diesem Square erheben sich verschiedene
Statuen, unter anderen die des „Diogenes von Sinope". Hier
steht er, der Prediger der Bedürfnislosigkeit und schaut herab
auf das genußfrohe Leben der Weltstadt. Ganz wie die Über-
lieferung ihn schildert, hat ihn der Künstler dargestellt, mit
all seiner Habe, die aus einem zerschlissenen Mantel,
einem alten Ranzen, einem Stecken und einem Brotsack
bestand, in der Rechten die Laterne, mit der er im
hellen Sonnenschein die Straßen durchzog, um „Menschen
zu suchen!“ Diogenes, der im Jahre 323 v. Chr. zu
Korinth starb, war aus der kynischen Schule des Anti-
sthenes von Athen hervorgegangen, welche die Tugend
als das einzige Gut bezeichnete, das zur vollkommensten
Glückseligkeit erforderlich sei. Nicht das Wissen an sich
schätzten diese Männer des Altertums, sondern das
Wissen als Mittel zur Beherrschung der Begierden und
Erkenntnis der natürlichen Bedürfnisse. Aus dieser Lehre
zog Diogenes die äußersten Konsequenzen und trieb die
Bedürfnislosigkeit bekanntlich derart auf die Spitze, daß er
schließlich selbst von seinen Zeitgenossen als komische Figur
betrachtet würde. Seine Bescheidenheit und Genügsamkeit
war sprichwörtlich geworden. So warf er eines Tages, als er
einen Knaben aus der hohlen Hand trinken sah, seinen Becher
als gänzlich unnütz und entbehrlich einfach von sich. Bis zu
seinem Tode blieb Diogenes als weltfremder, wunderlicher Sonder-
ling den Grundsätzen seiner Philosophie getreu. -—n.
*

Schulreiterin Baronin Sadaja
Phot. J. Staudt, Berlin.

Komtesse Bettina de
Miremont, welche sich seit
mehreren Jahren der Reitkunst
der hohen Schule zugewendet
hat, ist jetzt nach zweijähriger
Abwesenheit aus Rußland mit
ihren Pferden nach Deutschland
zurückgekehrt. Die Reiterin ga-
stierte in den russischen Zirkussen
Nikitin, Devigne, Ducander, im
Cirque japonais und im Zirkus
des Oberst von Malevitch in Süd-
rußland. Die treffliche Dressur
der Pferde „Grane" und „Har-
lekin" sowie die Reitkunst ihrer
Elerrin fanden bei dem russischen
Publikum höchste Anerkennung.
Vordem war die Schulreiterin in
Paris im Cirque de Paris tätig
gewesen. Sie bekam dort von
der bekannten Societe de l’etrier
eine goldene Medaille für ihre
Leistungen; ein Gleiches ereig-
nete sich in Moskau im dortigen
Sportklub. Bettina de Miremont
ist wiederholt von Künstlerhand
gemalt worden. So-

Komtesse de Miremont.
Phot.' Eug. Pirou, Paris.

wohl Franz Stuck als auch Otto Soltau, die bekannten Münchener
Künstler haben sie zu Fuß und zu Pferde auf die Leinwand ge-
bannt. Otto Soltau schuf, nachdem er sie im Sattel auf ihrem
„Tiger", einem überaus seltsam gezeichneten Pferde, gesehen
hatte, sein bekanntes Reiterporträt „Die Groteske". Auf
mächtigem Rosse, dessen Ramsnase und dessen kolossaler
Fußbehang vor allem ins Auge fallen, reitet im brokatnen
Gewand ein Edelfräulein am Strande des Meeres. Vor
der seltsamen Amazone, um deren Lippen ein unheim-
liches Lächeln spielt, schreitet ein winziges Windspiel,
mit grüner Halsschleife geschmückt. Der riesige Gaul
schreitet mit hochgehobenen Steppschritten im Paß-
gang daher. Gräfin Miremont bedient sich übrigens
eines ähnlichen Vorwurfs, wie ihn „Die Groteske"
zeigt, zu ihren Aufsehen erregenden Affichen. Von
den zahlreichen Visionen bzw. Phantasiegemälden
Soltaus ist „Die Groteske" zweifellos eins der bedeu-
tendsten. Gräfin Miremont bevorzugt, wie unser Bild
zeigt, das Kostüm als solches und wählte das Direktoire
als Reitkleid, während man sonst die Schulreiterin tradi-
tionell im englischen Prinzeßkleid zu sehen gewöhnt ist.
Ihre eingehenden equestrischen Studien machte die Reiterin
in Hannover an der klassischen Stätte der Reitkunst unter der
Leitung eines bekannten Meisters. V. H.

Denkmal des Diogenes in Paris.
Phot. Charles Delius, Paris.
 
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