Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

DOI Heft:
19. Heft
DOI Artikel:
Beilage
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0589

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Copyright by Rieh. Bong, Berlin. 21. 5. 1914. Alle Rechte, auch das der Übersetzung in andere Sprachen, sind den Urhebern Vorbehalten.

Nach Damaskus.
In einem Teil von Strindbergs Schaffen, zu dem auch
die Trilogie „Nach Damaskus“ gehört, kreuzen sich
Genialität und Wahnsinn in seltsamer Weise. Dieser
Dichter hat einige Zeit im Irrenhause zugebracht, wohin
auch eins der Bilder seines Dramas führt. Dort sieht
der Unbekannte, der niemand anders als Strindberg
selbst ist, die Menschen, denen er wehe- anstatt wohl-
getan hat, als unheimliche Schemen an der Tafel seiner
Seele. Und die grausen Flüche des Deuteronomion
hallen ihm aus Priestermunde zu. Aber nicht in solchen
Äußerlichkeiten allein liegt die Mischung von Genie und
Wahnsinn bei Strindberg. Sondern das Fließende der
Gestalten, denen der Dichter bald Züge der Hauptfigur,
die er selbst ist, bald Christus-artige Züge — man denke
an den Bettler — verleiht, und die also mit seinem
eignen Innenleben schwanken, stellt sie auf diese Grenz-
linie zwischen Genie und \¥ahnsinn. Dazu kommt der
schnelle Wandel der Ereignisse, wie wenn Wolken an
unserm innern Horizonte aufziehen, sich zum Grauen
verfinstern oder gnadenvoll vorüberwandeln. Wie bei
Strindberg fast stets handelt es sich auch hier um ein
Bekenntnis — ja um das Bekenntnis eines Niederbruchs;
Strindbergs Umkehr zum Christentum ist kein Steigen
in Liebe und Verklärung, sondern eine Flucht vor
schlechten Instinkten, 'die Ruhe vor sich selbst sucht.
Ein genialer dichterischer Zug offenbart sich dabei schon
in der grandiosen, an Rousseau erinnernden Offenheit
Strindbergs, mit der er seine Seele richtet. Mit dieser
Kühnheit und Offenheit hängt auch die Kraft seiner
Poesie zusammen, allen Vorgängen des äußeren Lebens
ihr inneres geistiges Gesicht abzugewinnen. Auch das
scheinbar Kleinste und Materiellste wird ihm Symbol,
so daß selbst Geldsorgen bedeutend wirken; „alles Ver-
gängliche ist nur ein Gleichnis“.
Das Stück zeigt die Architektur eines Calvarien-
berges. Sieben Bilder leiten aufwärts und zeigen die
Verstockung und den Trotz des Unbekannten gegen die
göttliche Fügung. Dann bringt das achte die seelische
Erschütterung. Und nun führen die Bilder in um-
gekehrter Reihenfolge zurück. Das neunte stellt die
Szenerie des siebenten und das letzte, fünfzehnte, die
des ersten dar. Wieder steht der Unbekannte zwischen
der Kirche, der Post und der Schänke wie am Anfang;
aber diesmal verweigert er nicht, die Kirche zu betreten.
Auf langem Umwege hat er dieses scheinbar so nahe
Ziel mit der Frau, die seine Gefährtin wurde, erst jetzt
gewonnen. Aber die Frau spielt in dem ersten Teil
der Trilogie keine bedeutsame Rolle, vor allem nicht
die der Zerstörerin, die ihr Strindberg sonst so gern
zuweist, obwohl der Name Eva schon auftaucht.
Wie bereits betont, betrachtet Strindberg auch hier
das Christentum als Zügel der Instinkte. Der Unbekannte
sagt zur Mutter seiner Frau, sie wäre boshaft, aber das
käme daher, weil sie gläubig wäre. Da wendet sie das
Wort um, sie wäre in der Tat von Natur boshaft, des-
halb brauchte sie das Christentum. Man denkt an eine
andere Gestalt Strindbergs in seinem Drama „Rausch“,
den Künstler, der gerade dadurch, daß er seinem
Vater einst den Tod ge-
wünscht hat, die Herr-
schaft über sich selbst
und Harmonie gewann.
Es liegt etwas Nordisch-
Germanisches in dieser
Selbstbändigung. Man
könnte z. B. an Hebbel
selbst und an die Nibe-
lungen seines Dramas
denken. Und es liegt
auch etwas Germanisches
in Strindbergs Phantasie,
sich Grausen vorzuspie-
geln, deren Furchtbarkeit
die Wirklichkeit nicht er-
reicht, sondern hinter
denen sie mit fast öster-
licher Milde zurückbleibt.
Man könnte an die Stelle
in Otto Ludwigs Erzäh-
lung „zwischen Himmel
und Erde“ erinnern, wo
Apollonius wirklich bei
Nacht den Turm ersteigen
muß, den er als Zeuge
seiner Schuld fürchtet,
und von dem er sich im
Traum hundertmal in die
Tiefe stürzen sah. Aber
die Wirklichkeit befreit
und entsühnt ihn. Nach
dieser Reinigung hat
Strindbergs Seele aus
wilden Instinkten heraus
immer wieder mit ganzer
Inbrunst wie nach einem
Märchen der Seele ver-
langt.

Es war das Verdienst Friedrich Ivayßlers, die bei-
den Kontrastzüge dieser Hauptfigur zu einer untrenn-
baren Einheit verschmolzen und auf die höchste Stufe
klarschimmernder Durchgeistigung gehoben zu haben.
Bei aller Eindringlichkeit war seine Darstellung von
einer einzig stehenden Schlichtheit, so daß man hier
mehr von einem Mitdichten der Gestalt, als vom Spielen
einer Rolle reden muß.
Seltsam genug und charakteristisch für die Macht
der Schlagworte zu allen Zeiten, daß sich Strindberg,


Professor Richard Knötel f
Phot. H. Boll, Berlin.

dieser Dichter der Innerlichkeit, des Traums und Wahns,
als Naturalisten empfand. Eher könnte man ihn als
Veristen in dem Sinne bezeichnen, daß ihm die Wahr-
heit seiner Empfindung über alles ging. Daher die
Formlosigkeit seines Werks, das mit einem Drama wenig
gemein hat und an die Willkür einzelner Shakespeare-
scher Szenen erinnert. Daher der Funke, der zwischen
Genie und Wahnsinn tanzt. Wie das Stück zu seinem
ersten Bilde, kehrt somit die Betrachtung zu ihrem Aus-
gangspunkte zurück. O. A.
Professor Richard Knötel t
In seinem Berliner Heim ist im 58. Lebensjahre nach
kurzem Krankenlager der bekannte Historienmaler, Pro-
fessor Richard Knötel, aus dem Leben geschieden. Der
Verstorbene war am 12. Januar 1857 in Glogau geboren,
studierte auf der Berliner Kunstakademie und wandte
sich später vornehmlich der historischen Malerei zu.
Gemälde von seiner Hand, die auch verschiedentlich in

der „Modernen Kunst“ reproduziert worden sind, finden
sich u. a. in mehreren Kgl. Schlössern; vor allen Dingen
aber schmücken auch eine Menge seiner Werke die
Wände der Offizier-Kasinos. Seine Gemälde gründete
er auf Motive, die er der deutschen Kriegsgeschichte
entnahm. Durch seine Studien hatte sich Knötel im
Laufe der Jahre auch auf dem Gebiete der Uniformen-
kunde aus den verschiedenen politischen Epochen ganz
hervorragende Kenntnisse erworben. Wie eng er mit
dem Herrscherhaus und den Offizierkorps durch seine
Kunst verknüpft war, beweist die Teilnahme bei dem
Heimgange des Meisters. Der Kaiser ließ sieh bei den
Beisetzungsfeierlichkeiten durch seinen Flügeladjutanten,
Oberst von Neumann-Cosel, vertreten. Unter den Bei-
leidskundgebungen seien besonders die des Kronprinzen,
sowie die des Offizierkorps des Leib-Regiments Nr. 8
in Glogau hervorgehoben. Aber auch sonst gab die
Trauergemeinde, die dem so früh heimgegangenen
Meister zur letzten Ruhe das Geleit gab, ein beredtes
Zeugnis von der Wertschätzung, die er und seine Kunst
genossen hat. ___ — e.
Aus dem Berliner Musikleben.
(II. Vierteljahrsbericht. Januar bis April 1914.)
Von Dr. Paul Ertel.
I.
Die zweite Hälfte der „Saison“ nahm einen genau
so würdigen Verlauf wie die erste; die Anzahl der
wirklich guten Konzerte überwog bei weitem die früher
so häufig beobachtete Mittelmäßigkeit. Gute, in jedem
Betracht vorbildliche Konzerte haben wir seit langen
Zeiten. Aber diesmal fügten sich ihnen andere, neue
Veranstaltungen von mehr als ephemerer Bedeutung an,
und dieser Umstand stempelte das dieswinterliche
Musikleben von Berlin zu einer Zentralstelle ungewöhn-
licher und bisher nicht in gleicher Fülle gebotener
Genüsse. Es sind auch jüngere, talentvolle Dirigenten
am Werke, die sich kraftvoll durchsetzen und durch
interessante Programme moderner Art die Zuhörerschaft
fesseln. Auf diCse Weise hörten wir, wie sichs für die
Reichshauptstadt nun einmal gebührt, eine ganze Reihe
neuer Kompositionen, die in die berühmten Abende
unserer ständigen Sinfonie-Konzerte noch nicht den Weg
fanden. Ob es sich da manchmal um irgend eine
problematische Arbeit handelt, ist dabei völlig gleich-
gültig; die Hauptsache bleibt eben, daß wir die Gelegen-
heit haben, solche noch streitigen Werke in erstklassiger
Aufführung durch unsere berühmten Orchester zu hören.
Das schärft den Blick und weckt das Verständnis für
unsere neuzeitlichen Bestrebungen künstlerischer Art.
Für die Fachleute ein unschätzbarer Gewinn! Aber was
sagt das große Publikum dazu? Da gibt es nun einen
örtlichen Zwiespalt, der ganz sonderbar anmutet, aber
gut erklärt werden kann. Zunächst besteht einmal ein
merkwürdiger Unterschied zwischen den Hörern der
Generalprobe und denen der Hauptaufführung. Das Gros
der „Musiker“ sitzt wegen der billigeren Preise in den
Generalproben, und wenn da ein Werk nicht „besteht“,
dann kann es dem Henker ausgeliefert sein. In der großen
Aufführung kommt das
vornehme, gewöhnlich
mit modernen Bestrebun-
gen ganz und gar nicht
vertraute Publikum zu-
sammen, dem die Klassi-
ker die allein anbetungs-
würdigen Götter sind. So
geschieht es fast immer
in den Nikisch-Konzerten.
Ganz anders liegen die
Verhältnisse an den Ma-
tineen und Abenden der
Königlichen Kapelle, die
bekanntlich unter Richard
Strauß’ Leitung steht. Da
sind sowohl die Haupt-
proben wie die Auffüh-
rungen selbst ausabon-
niert. Dort sitzen die
„Konservativen“ uner-
schütterlich fest, und der
Vorstand der Königlichen
Kapelle muß vorsichtig
genug sein, um bei ihnen
nicht anzustoßen. Des-
halb dürfen dort in bei-
den Fällen moderne
Schöpfungen nur in ho-
moeopatischen Rationen
herumgereicht werden,
und Richard Strauß hat
einen ehrlichen Kampf
zu bestehen, wenn er so
ein neuzeitliches „Enfant
terrible“ zu Worte kom-
men lassen will. Das
wird sich erst mit der näch-
sten Generation ändern.


Phot. Zander & Labisch, Berlin,
Szenenbild aus „Nach Damaskus . Berliner Lessing-Theater.

XXVIII. 19.' B.
 
Annotationen