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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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3. Heft
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Buss, Georg: Fedinand Steiniger
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0092

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MODERNE KUNST.

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Ferdinand Steiniger: Blick auf Dresden. (Radierung.)

Ekel in ihm zurück, eine Reue, die weniger im sittlichen als im ästheti-
schen Empfinden wurzelte. Sein Leben, dieses korrekte Leben eines
höheren Beamten, der stets ein wenig auf dem Postamente steht, vielen
sichtbar, von vielen kontrolliert, es war nicht ganz ereignislos ver-
laufen auf erotischem Gebiete. Manches flüchtige Verhältnis hatte er
im Laufe der Jahre angeknüpft und wieder gelöst — — und war doch
nie in einem andern Wesen aufgegangen, war allzeit einsam geblieben.
Eine stille leidenschaftliche Sehnsucht hatte er mit sich herumgetragen,
die den Glauben an Erfüllung nicht aufgeben mochte.
„Der maskierte Romantiker“, nannte ihn seine beste Freundin. „Sie
sind ja so unglaublich jung,“ hatte sie neulich zu ihm gesagt, „ganz tief
im Seelengrunde, wo niemand es merkt.“

Nur sie merkte cs, sie, die Kluge, Gütige, alles Verstehende.
Seit er sie gefunden, lastete das kalte Gefühl der Einsamkeit weniger
schwer auf ihm. Wenn er in ihrem kleinen Empiresalon mit den
märchenhaft schönen Philodendronbäumen saß, unzählige Tassen Tee
trank und mit der feinen, klugen Frau freundschaftlich plauderte von
allem, was seine Seele bewegte — dann kam er sich vor, als ob er
wieder ein trauliches Heim zu.Zweien besäße.
Aber sie war ja nur seine gute Freundin, sie durfte nichts anderes
sein als seine gute Freundin.
Manchmal trat auch ihr Mann herein, gestützt auf den Arm seines
Dieners, und ließ sich am Teetische nieder, lächelte blöde vor sich hin
und sagte immer dieselben stumpfsinnigen Worte. [Fortsetzung folgt.]

r-^g- Ferdinand
er Maler zaubert seine Schöpfungen mit dem Pinsel in Farben hin, der Radierer
mit der Nadel in Schwarz-Weiß — dieser zeichnet, jener malt. Aber deshalb
zu behaupten: „Malerische Radierung ist ein Widerspruch in sich", geht
nicht an, denn der Radierer darf malerische Qualitäten ebensowenig vernachlässigen,
wie der Maler zeichnerische. Ohne Tonwerte, ohne Licht und Schatten kommen
beide nicht aus. Der Maler erzielt sie durch Abstufung der Dunkelheits- und Hellig-
keitsgrade ein- und derselben Farbe oder durch die aus mehreren Farben gebildete
Mischfarbe, der Radierer durch wechselnde Stärke und Häufung schwarzer Linien auf
hellem Grunde, der als Licht dient. Beider Kunst kann den Zauber des Lichtes
und des Helldunkels nicht missen — er verbindet die Objekte im Raum zur feinen
Harmonie, mögen sie auch noch so willkürlich zusammengewürfelt sein. Die Radie-
rungen Rembrandts und Potters sind ganz auf malerische Wirkung berechnet — bei
jenem noch mehr als bei diesem: die Nadel ist geradezu zum Pinsel geworden. Und
sicherlich sind diese Radierungen als die meisterlichsten anzuerkennen, die seither auf
diesem Gebiete der Graphik erstanden sind.
Moderne Radierer, insbesondere französische und englische, lassen bekanntlich
gern Ton stehen, indem sie beim Abwischen der Platte mit feiner Berechnung hier
und da auf der Fläche einen mehr oder weniger kräftigen Hauch schwarzer Farbe
stehen lassen. Es soll eben die malerische Qualität des Abdruckes gesteigert werden.
Das tat Rembrandt auch, und zwar mit höchster Virtuosität. Andere benutzen wie
bei der Crayonmanier für gewisse Partien die Roulette, ein mit Stahlspitzen besetztes
kleines Rädchen, das sich in einer Handhabe dreht, oder wie bei der geschabten Manier
den Berceau einen dicht mit Stahlzähnen besetzten Halbzylinder; wieder andere körnen
nach irgendeiner Methode manche Stellen der Platte, um sie dann in Art der Tusch-
manier weiter zu bearbeiten, geschweige zahlreicher verwandter Mitlelchen, die den


Steiniger.

[Nachdruck verboten.)

verschiedenen Manieren graphischer Kunst entnommen sind. Fast immer liegt die
Absicht zugrunde, mehr schummrige, weiche, malerische Wirkung zu erzielen.
Solche Abweichungen von der rein zeichnenden Radierung, die sich vor dem Atzen
nur der Nadel bedient und später beim Abputzen der eingeschwärzten Platte höchstens
etwas Ton stehen läßt, als „Mätzchen" zu bezeichnen, geht nicht an, wirken sie doch,
wenn mit Diskretion und Finesse ausgeführt, sehr angenehm und oft sogar entzückend.
Weshalb sie also verpönen? Als man dem alten Menzel vorhielt, sein japanisches
Album sei nicht reine Aquarell und nicht reine Gouache, meinte er trocken: „Wenn
es nur wirkt!" Und als der schreibselige Vasari den großen Michelangelo fragte, ob
die Malerei oder die Skulptur höher stehe, antwortete der Meister: „Die Skulptur und
die Malerei haben ein- und denselben Zweck, und der wird von der einen sowohl
als von der andern sehr schwer erreicht!" Der alte Menzel hatte denselben Gedanken,
als er auf die „Wirkung" hinwies. Wirkung ist die Hauptsache.
Malerische Radierung ist kein Widerspruch in sich. Wäre es der Fall, so würde
von diesem Vorwurfe fast die ganze reproduzierende graphische Kunst getroffen.
Wo blieben bei solcher Auffassung die großen Stecher — wie Dürer, Marcantonio
Raimondi, Lucas von Leyden, Goltzius, Edelinck, Audran, Volperto, Wille, George
Friedrich Schmidt, Friedrich Müller, Morghen, Mandel und wie sie alle heißen. Als
Müller und Mandel ihre berühmten Linienstiche der Sixtina ausführten, strebten sie
mit den anschwellenden und zart verlaufenden Linien nach der malerischen Wirkung
des Originals; sie gingen von der richtigen Voraussetzung aus, daß in einiger Ent-
fernung die Linien auf der Netzhaut des Auges zusammenfließen und so dem Beschauer
die malerische Tonwirkung des großen Vorbildes übermitteln. Die anderen Stecher
sind von derselben Voraussetzung ausgegangen — auch die in gemischter Manier
gearbeitet haben, noch zuletzt Hans Meyer in den großen Stichen nach den von

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