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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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11. Heft
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Boerschel, Ernst: Malermütter
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0332

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MODERNE KUNST.

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ältesten Madonnenbilde die Züge der Mutter gegeben. Segantim
trug das Bild seiner jung gestorbenen Mutter gleich einer ge-
weihten Hostie in seiner Seele. Rembrandts Radierung
seiner Mutter ist eins seiner vollendetsten Werke. Moritz
von Schwind hat beteuert, seine Kunst lächele wie die
Züge seiner Mutter. Leibi, Rethel, Feuerbach, Hans
Thoma, Eduard von Gebhardt — ihre Mütter schreiten
neben ihnen. Wir brauchen ihnen nur ins Gesicht
zu schauen, um in allen den Abglanz einer Seele
zu gewahren, deren Erstarkerin das Leid gewesen
ist. Keine von ihnen ist im landläufigen Sinne schön.
Die fröhlichen, groß in die Welt blickenden Augen
sind selten. Häufiger sind die gebeugten Köpfe,
denen das Leben die ungetrübte Helligkeit des Blickes
genommen hatte. Dennoch geht wie ein Strahl der
Versöhnung die Liebe über diesen Häuptern auf, und
jeder Maler grub in das Bild seiner Mutter die Zeichen
unverlöschlicher Dankbarkeit. Zur Zeit des Marienkultus
gaben wohl die Maler der Renaissance der aufschwebenden
Himmelskönigin die Züge ihrer Mutter.
Eigentlich nur bei Moritz von Schwinds Mutter können wir
sehen, daß die „Frohnatur und Lust zu fabulieren“ als Stärke
ihres Wesens auf den Sohn übergegangen sei. Bei den andern Malermüttern
bricht oft so schroff die Melancholie durch ihre Züge, daß wir meinen möchten, sie

Karl Spitzweg:

habe aus der Güte,
Seelen gefangen
den Schwung der
Erschütternd ist.Wi 1-
bachs Bild seiner
hat sie in Gesell-
und seiner beiden
net. Aber nur auf
■Schwere der inneren
Alle Linien des
ihrem Antlitz einge-
Mund liegt ein aus
borener harter Zug.
gelitten haben! Sie
des Abends nicht
durch Einsingen in
ben müssen, sie ist
(1823) zwischen Mül-
a. d. Ruhr umherge-
Gatten, der in Wer-
saß, nicht in Schwer-
zu lassen. „Die alte
zischte der Pöbel
war nicht so robust
ter von Rubens,
Aufgabe zu erfüllen
wurde vom Prinzen
nien in Dillenburg
sich mit dessen Ge-
renen Gräfin Anna
befreundet hatte. Er
wahrsam einen zer-
seine Frau nach
vergeben. DemPrin-
Frau 6000 Taler Lö-
kam 1573 frei, froh-
vereinte Ehepaar
hier kam 1577 Peter
Welt. KeinSterbens-
fehlung des Vaters
von ihr zu hören. Als

Karl Spitzweg: Liebe macht blind.

die nun ihre feinen
nahm, in dem Sohne
Phantasie bewegt,
heim von K a u 1 -
Mutter. Kaulbach
schaft seines Vaters
Schwestern gezeich-
sie hat er die ganze
Gestaltung gelegt.
Schmerzes sind auf
graben, und um den
der Verzweiflung ge-
Was muß diese Frau
hat ihren Kindern
bloß den Hunger
den Schlaf vertrei-
auch eine Zeitlang
heim und Werden
schlichen, um ihren
den im Gefängnis
mut verschmachten
Kaulbachin geht um“
hinter ihr her. Sie
tapfer, wie die Mut-
die eine ähnliche
hatte. Ihr Mann
Wilhelm von Ora-
festgehalten, weil er
mahlin, einer gebo-
vonSachsen, zu sehr
schrieb aus dem Ge-
knirschten Brief an
Köln, und ihm ward
zen bot die resolute
segeld an. Der Gatte
lieh zog das wieder-
nach Siegen, und
Paul Rubens zur
wort von der Ver-
bekamen die Kinder
sie 1608 in Antwer-

pen starb, war ihr berühmter Sohn in Rom, um den Altar der Oratorienkirche
zu malen. Er reiste sofort in die Heimat und nahm als ihr Grabmal das Heiligen-
bild vom Altar der Chiesa Nuova mit. Monatelang schloß er sich von der Welt
ab. Das Bild der Mutter, das wir von ihm haben (Münchener Pinakothek), zeigt
sie uns in ihrer mutigen Kraft und mit einem Lächeln auf den Lippen, das trotz
allem Leid nur Frauen lächeln können und das uns wie der Abglanz der
Schuldlosigkeit erscheint.
Berühmt ist Anselm Feuerbachs Mutter. Ihr herzliches Verhältnis zu
Feuerbach war so stark, daß man gerne übersieht, daß sie nicht seine rechte
Mutter, sondern seine Stiefmutter war. Der Knabe war sechs Monate alt, als er
seine rechte Mutter verlor, und fünf Jahre, als er die zweite Mutter bekam, die
nun sein künstlerisches Werden und Schaffen mit dem nachfühlendsten Ver-
ständnis umgab. Wir wissen, daß sie in seinem Sinne sein „Vermächtnis“
geschrieben, und die Briefe Feuerbachs an sie zeugen von dem hingebungsvollen

Vertrauen, mit dem der Sohn ihr die geheimsten Regungen seiner
Kunst offenbarte. Feuerbach hat sie gemalt, und wir sehen
entzückt in diese feinen geistigen Züge mit dem vibrieren-
den klugen Mund. Ihr verdanken wir die Erhaltung und
würdige Unterbringung der Feuerbachschen Werke, die
von den Erben vertrödelt und verzettelt worden wären.
Zu ihrem schönen Empfinden gesellte sich in ihr ein
subtiles ästhetisches Verständnis für die Kunst ihres
Sohnes. Die andern Malermütter haben dieses rein
Geistige wohl nur geahnt. Aber ihre einfache und
naive Natur hat es nicht abgeleugnet angesichts der
„ordinären Aufgaben des Lebens“, die eine prak-
tische Verwendbarkeit geistiger Funktionen nicht zu-
ließ. Rembrandts, Leibis und Hans Thomas Mütter
haben durchfurchte Gesichter und ausgearbeitete Hände.
Als Hans Thoma 1886 seine zweiundachtzigjährige
Mutter malte, saß er mit Andacht vor ihren ausgearbei-
teten Händen, auf sie alle Sorgfalt der Darstellung ver-
wendend. Er hat dann in seinem köstlichen Buche „Im Herbst
des Lebens“ das volle Maß der Dankbarkeit vor der Greisin hin-
Mondscheinlektüre. geschüttet. Sie war eine Ilauensteinerin aus Bernau im südlichen
Schwarzwald, eine Uhrmacherstochter. Sie hat in der Werkstatt
ihres Vaters manches Gehäuse einer Schwarzwalduhr basteln helfen, und bei
dieser Kunstübung ist ihr die Freude an der Linie und der Geschmack auf-
gegangen. Wenn ihr Sohn tuschte, zog sie aus den Farbenflecken allerhand
phantastische Gestalten zusammen. Auch seinen Stricheleien auf der Schiefer-
tafel gab sie Form und Linie. So nahm der Knabe bei ihr den ersten Zeichen-
unterricht, und, was die Hauptsache war: unter solcher Pflege bildete sich die
Begabung zu einem bewußten Kunsttrieb aus. Des Sohnes Ruhm nahm sie mit
einer biblischen Ruhe hin. Im Jahre 1897 starb sie, 93 Jahre alt, in Frank-
furt a. M. in den Armen des Sohnes. Thoma hat sie oft gemalt.
Aus dem ursprünglichen Boden des Volkes ist wie Hans Thoma auch
Albrecht Dürer hervorgegangen, und wenn wir an die deutsche Gemütstiefe
und Naivität denken, die bei beiden ihr Schaffen so klar und unzweideutig macht,
so können sie uns auch künstlerisch verwandt erscheinen. Albrecht Dürers
Mutter Barbara, geb. Holper, war Nürnbergerin. Sie hat ihrem Gatten 18 Kinder
zur Welt gebracht, und aus den Aufzeichnungen, die Dürer als seine „Familien-
chronik“ hinterlassen hat, lesen wir, daß im Hause Schmalhans Küchenmeister
war. Als der Vater 1502 starb, nahm Dürer seine Mutter, „die so ganz arm
war,“ zu sich. Bis zu ihrem Tode 1514 lebte sie in seinem Hause. „Diese mein
frunnne Mutter hat 18 Kind tragen und erzogen, hat oft die Pestilenz gehabt,
viel andrer schwerer merklicher Krankeit, hat große Armut gelitten, Verspottung,
Verachtung, hönische Wort, Schrecken und große Widerwärtigkeit, noch ist sie
nie rachselig (rachsüchtig) gewest.“ Dann beschreibt er in ergreifender Schlicht-
heit ihren Tod: „Also brachen ihr die Augen. Ich sach auch, wenn ihr der Tod
zween groß Stoß ans Herz gab, und wenn sie Mund und Augen zuthät und ver-
schied mit Schmerzen. Ich betet ihr vor. Dovan hab ich solchen Schmerzen
gehabt, daß ichs nit aussprechen kann. Gott sei ihr gnädig. Item ihr meinst
Freud ist allweg gewest, von Gott zu reden, und sach gern die Ehr Gottes.
Und sie war im 63. Jahr, do
sie starb. Und ich hab sie
ehrlich nach mein Vermögen
begehn (bestatten) lassen. Und
in ihrem Tod sach sie viel
lieblicher, dann do sie noch
das Leben hätt.“
Alles Vergängliche ist
nur ein Gleichnis. An dem
Bilde der Mutter arbeitet die
Natur ruhig und liebevoll.
Hier hält sie in Ehrfurcht still
und schafft dem Menschen-
kinde wahrhaft das ewig
Weibliche, das ihn aus allen
Zuständen des Daseins innen
und außen hinanzieht. In dem
Bilde der Mutter ist die höch-
ste, selbstloseste Liebe ver-
körpert, sind die zartesten
Geheimnisse tiefster mensch-
licher Empfindung wunderbar
enthüllt.
„Hoch auf des Lebens
Gipfel gestellt,
Schließt sie blühend den Kranz
des Schönen,
Mit der Mutter und ihren
Söhnen
Krönt sich die herrlich voll-
endete Well.“

Kar! Spitz weg: Per Hypochonder.
 
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