Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

DOI Heft:
12. Heft
DOI Artikel:
Neisser, Artur: Vom Karneval an der Riviera
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0362

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MODERNE KUNST.


Lebenslust zu versenken! „Karneval in Nizza“, das ist keine
Sehenswürdigkeit für Fremde; und wenn die Reisebureaus
solche Fahrten ankündigen, so rechnen sie nur allzu richtig mit
der Neugier eines Mittelstandes, der noch immer nach den
französischen Landen fährt, gewappnet mit einem gefüllten
Portemonnaie und geschwellt mit Begierden nach allerlei heim-
lichen Freuden, die ihm im strengen Vaterland allen „Palais
de danse“ zum Trotze doch mehr oder weniger verschlossen
sind. Kommt man dann in Nizza an und wird Zeuge einer
Blumenschlacht oder des Maskenzuges am Faschingsdienstag,
so bewundert man gewiß eifrig und gebührend den Schick und
die Farbenpracht und die Mannigfaltigkeit der Wagen und
Autos; man beteiligt sich wohl auch mehr oder weniger mutig
an der eigentlichen Blumenschlacht, wobei einem aber nicht
ohne Unbehagen auffällt, daß das Geplänkel zwischen den In-
sassen der Autos und den Zuschauern im allgemeinen recht
interner Natur ist. Demjenigen Galan, der die meisten „con-
naissancen“ in der „grande monde“ an der Riviera hat, dem
winken auch die meisten Veilchensträuße von der handschuh-
gepanzerten zarten Hand seiner Angebeteten. Es bildet psychologisch vielleicht
den tiefsten Reiz so einer Blumenschlacht (wie sie ja nicht etwa nur in Nizza,
sondern vor allem auch in Monte Carlo und dann in Menton, in dem exklusiven
Cannes und in all’ den andern entzückenden französischen Meeresparadiesen
stattzufinden pflegen), immer wieder die gleiche Gruppe von Berufskavalieren
zu beobachten: sie gehen, hochelegant, nach allerletzter „fashion“ gekleidet,
den strahlend lockenden Zylinder zumeist etwas nach hinten auf den Nacken
gesetzt, mit hochgelben Handschuhen bewehrt, die Wagen entlang und fassen
wohl auch einen kurzen, zart verdüsterten Liebesaugenblick auf der Bordschwelle
des Autos Posto; ihr keckes Kosewort trägt ihnen entweder eine Ladung Konfetti
oder ein paar Veilchensträuße ins Gesicht ein; aber Madame X. im nächsten Auto
hat das wohl beobachtet; auch ihr hat der gleiche Galan früher einmal den Hof
gemacht oder machen wollen; und auch sie wirft ihm nun mit kokettem Lachen
ihre Sträußchen zu; Blitze der Flirtlust schießen aus den schwarzen, tiefver-
schminkten Augen; gleich darauf aber erstarrt sie wieder in elegantem eisigen
Schweigen und fühlt sich als angestaunte „beaute“, zumal gegen den Schluß
des Blumenkorsos hin, wenn die Preisverteilung naht, bei der es ja natürlich
auch nicht etwa nach den strengen Gesetzen der Schönheit, sondern vor allem
nach den Erfordernissen der gesellschaftlichen Ambition geht. Wer etwas auf
seine Reputation hält, der schmückt sein Auto — denn Wagen sind schon an
sich etwas Minderwertiges im zeitgemäßen Blumenkorso geworden! — möglichst
kostspielig heraus und erhält dann auch einen ersten oder zweiten Preis in
Gestalt einer im Rokokostil, diesem noch immer geheiligten Stile Frankreichs,
gehaltenen Fahne. Es ist nur gut, daß sich Geschmack und Besitz an der Riviera
im allgemeinen noch immer in schöner Weise die Wage halten, so daß man
bei allem Prunk solcher Blumenschlachten und Korsos in Nizza doch fast nie
das Gefühl der protzenhaften Überladung hat. Nur der eigentliche Faschingszug,
am Karnevaldienstag, ist von übertriebener Buntheit nicht ganz frei. Ohne die
Tagesgeschichte der einzelnen Rivieraorte oder die politische Aktualität nicht
ganz genau zu beherrschen, hat man schon von vornherein nicht das volle Ver-
ständnis für die Bedeutung der einzelnen satirisch-symbolischen Scherzwagen,
die da, von einer Schar übermütiger, zumeist sehr hübscher Männer und Frauen
und Mädchen belebt, un-
ermüdlich durch die an
diesem Tage unheimlich
bevölkerte Avenue de la
Gare über die Place Mas-
sena zur Promenade des
Anglais fahren. Man muß
Nerven und Ohren von
Eisen haben, um nicht
nur den ohrenbetäubenden
Lärm zu ertragen, der von
dem hohen Olymp dieser
mehr oder weniger witzi-
gen Gefährte herab auf die
arme Zuschauermenge
vollführt wird und um
vor allem den nötigen
Humor für die Gipskugel-
schlacht an diesem offiziell
„letzten“ Faschingstag auf-
zubringen. Die Routiniers
des Nizzaer Karnevals bei-
derlei Geschlechtes sind
von Hals bis Fuß mit
grauen Malerkitteln beklei-
det; über das diabolisch
grinsende Antlitz haben sie
eine Drahtmaske gestülpt,

Erich Eltze: Blumenveikäuferinnen.

und nun heißt es: „Auf in den
Kampf, Torero! So oder so!“ . .
Nun verschlägt es nichts, wenn
man so ein unfehlbar treffsicheres
Gipskügelchen auf Kittel oder
Maske bekommt, selber spürt man
ja nichts, und wenn der arglose
deutsche Nizzapilger sich nicht
mit diesen unentbehrlichen Uten-
silien ausstattet, „taut pis pour
lui!“ ... Er muß es eben für’s
nächste Mal lernen, daß man an
Faschingstagen nicht ungestraft unter den Bäumen der Riviera wandeln kann!
Das landläufige Konfettiwerfen genügt dann dort unten den Feuerköpfen nicht
mehr; ihnen kommt es ja immer ein wenig darauf an, ihre überschüssige Kampf-
und Herausforderlust austoben zu lassen, und ihr Karnevalshumor stellt noch
immer mehr eine Sinnenorgie als den Triumph der Ausgelassenheit dar. So
sind denn auch die Ballfestlichkeiten der Riviera Bacchanalien der Fraueneleganz
und des Frauenfiirtes. Das prägt sich schon in der streng geschlossenen In-
timität dieser „weißen“ oder „rosa“ Redouten aus. In den Schaufenstern der
Nizzaer Kaufhäuser sieht man an RedoUtentagen fast nichts anderes als weiße
Dominos für Herren und Damen, und zwar zumeist in einer einzigen typischen,
vorschriftsmäßigen Gestalt. Ein malerisches Kostümfest an der Riviera zählt
zu den größten Seltenheiten, und selbst die Kindermaskenbälle wie sie etwa
im „Casino municipal“ in Nizza etliche Male an den Sonntagnachmittagen ver-
anstaltet werden, tragen den gleichen exklusiv-mondänen Charakter, wie die
Redouten für die großen Kinder! Denn das muß man sich immer wieder klar
machen, wenn man an den französischen, also auch an den Nizzaer Karneval
denkt: es liegt trotz aller Vertieftheit naiv-kindliche, ein ganz klein wenig wohl
hie und da auch kindische Ausgelassenheit in diesen Faschingsgewohnheiten der
Riviera. Wir müssen das beklagen und uns auch sehr darüber wundern; wissen
wir doch, wie viele französische Maler und Bildhauer allwinterlich vom Januar
bis zum April in ihren
Villegiaturen an der Adria
zubringen. Wie nahe
würde es da liegen, diese
konventionellen Redouten
durch ein historisches Ball-
fest lebendiger und ab-
wechslungsreicher zu ge-
stalten. Vielleicht tritt die
Rückwirkung wieder ein-
mal von Paris her ein,
dessen Winterfiliale ja die
Nizza-Riviera darstellt, und
wo ja neuerdings Andre
Messager, der hochbegabte
Meister der komischen
Oper und leider scheidende
Direktor der Großen Oper,
jene Pariser Opernbälle
wieder einführen will, die
zu Beginn des vorigen
Jahrhunderts den euro-
päischen Karneval erst
eigentlich begründen hal-
fen. Nichts wäre sehn-
licher zu wünschen, als
eine solche Auffrischung
des Riviera-Karnevals!

Die Prinzengarde des Karneval.

Phot. Gebr. Haeckel, Berlin.
 
Annotationen