Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

DOI Heft:
4. Heft
DOI Artikel:
Buss, Georg: Handzeichnungen moderner Meister
DOI Artikel:
Stege, Frieda: Herbst
DOI Artikel:
Unsere Bilder
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0126
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MODERNE KUNST.

52

dieses Hauptwerk, so sind auch zwei andere, ebenfalls mit der Feder gezeichnete,
die „Fragmente einer klassischen Anthologie“ und die aus vollkommener Formen-
schönheit geborenen „Illustrationen zu einer Luxusausgabe von Amor und Psyche“,
schon längst in Reproduktionen veröffentlicht. Sie und die Radierungen haben
die Runde durch die Welt gemacht und mit ihrem Gedankenreichtum und ihrer
Schönheit jedem, der sich ihnen hingegeben, geistige Werte gespendet.
Unter den Einzelblättern befinden sich solche von bildartiger Geschlossen-
heit, deren technische Ausführung zu wahrhaft phänomenaler Höhe hinanreicht.
„Rendezvous“, „Kentaur bei den Waschweibern“, „Der Nymphe Verführung“ und
„Unterhaltung in Venedig“ sind Leistungen ersten Ranges. In all dem Reichtum
sind die Gedanken über Welt, Menschen und Dinge fortgesponnen. Sie streifen
Liebe, Reue, Neid, Glaube, Hoffnung, Durst nach Schätzen und andere mensch-
liche Regungen und Schwächen. Und dann das Thema „Freund Hein“ — Klinger
hat es wohl am tiefsten und ergreifendsten von allen Künstlern erfaßt. Es
erinnern daran „Der Tod als Tröster“ ■— dem in Ketten schmachtenden Greise
Erlösung verheißend — und „Der Tod in der Einöde“ — am Rande des jäh ab-
stürzenden Abgrundes tückisch die Sense schwingend. Im „Amor, der auf
Mädchen schießt“, im Witz auf die „Darwinsche Theorie“, in der „Fuchsjagd“, im
köstlichen „Kinderbrunnen“, in der „Strandidylle“, im „Erstlings-Pfingstfest. —
immer ist die naturalistische Form durch geistigen Gehalt geadelt. Und in
anderen Blättern überwältigt die Schönheit. Eins von ihnen ist die ruhende
„Hetäre“ — sie lenkt die Gedanken hinüber zum Griechentum, zur Phryne, Thais
und ephyreischen Lais, jenen durch Freiheit der Anschauung, Unterhaltungsgabe
und körperliche Reize ausgezeichneten Frauen, denen große und weise Männer,
unbeschadet ihres Rufes, in Huldigung nahten. Auch der erfindungsreiche und
schönheitsdurstige Ornamentiker offenbart sich. Immer aus sich selbst schöpfend,
immer das „Wie“ mit einem bedeutsamen „Was“ beseelend, gewissermaßen
Geist und Materie innig verbindend, das ist Klingersche Kunst, von der auch
diese Zeichnungen klar und vernehmlich reden.
Stuck erntete seine ersten Lorbeeren später als Klinger. Der Aufstieg des
jungen Künstlers begann vor fünfundzwanzig Jahren — damals, als er im
Münchener Glaspalast seinen „Wächter des Paradieses“ ausstellte. Allmählich
haben ihn Kentauren, bocksbeinige Pane, Sphinxe und andere Fabelwesen um-
garnt — ein Stoffkreis, der zum landläufigen Naturalismus nicht recht paßte.
Aber die Klippe des Zwiespalts wurde dank einer vom Geiste der Antike
inspirierten zeichnerischen Schulung glücklich überwunden. Für diese Schulung
legen die Studien zum Inferno, zum Ringeltanz, zur Liebesschaukel, zum Bacchanal,

zum Frühlingszug, zum Kentaurenritt glänzendes Zeugnis ab. Den charak-
teristischen Besonderheiten des Nackten in Ruhe und Bewegung ist mit höchster
Feinheit nachgegangen. Keine Stellung ist zu schwierig, um nicht überwunden
zu werden. Lebenerfüllte Gestalten, mögen es Männer oder Frauen sein, bieten
sich dar ■— nicht wie täppische Modelle, sondern wie frei und ungezwungen sich
gebende Menschen. Bei alledem fällt noch eine besondere, mehr statuarische
Art — ein Stillstand und Einhalt, der auch in hohem Maße den Werken der
Antike eigentümlich ist und ihnen selbst in stürmischster Bewegung die Vor-
nehmheit und den Adel ruhiger Schönheit sichert.
Und nun Liebermann .... Die unbefangene Auffassung des Gegenstandes
in seiner Wirklichkeit, der Verzicht auf alles, was geeignet ist, von der Wahr-
heit abzulenken, die volle Hingabe an das rein künstlerische Moment, diese ganze
Art seines Schaffens, die durch die Devise „L’art pour Part“ gekennzeichnet
wird, übt werbende Kraft aus. In den Zeichnungen ist davon genugsam zu
spüren. Sie zeigen ihn vornehmlich auf holländischem Boden. Sein Weg dahin
hat über Paris geführt. Millets ergreifende Bauernmalerei, Courbets rücksichts-
lose Natürlichkeit der Darstellung und Manets Wahrheit des Tones hatten ihn
nicht kalt gelassen, aber erst in Holland, im Zauberkreise Rembrandts und Hals'
und in der dicken, schweren, feuchten Luft, die so ungezählte Phänomene der
Beleuchtung schafft, fand seine Kunst das rechte Milieu. In den Poldern, an den
Dünen, Kanälen und Grachten, in den Gassen und Gäßchen der alten Stadtviertel
von Amsterdam, bei den Fischern, Bauern und Marktweibern ist Liebermann
groß geworden. Für die liebevolle Hingabe, mit der er beobachtet und gearbeitet
hat, sind die zahlreichen Studien Zeugen. Auf der Höhe seines Könnens geht
er ins Breite, oft genügen ihm wenige Striche, um eine Erscheinung in ihrer
ganzen Eigentümlichkeit festzuhalten. Der Stift wird geradezu zum Pinsel und
zaubert die feinsten Tonwerte hin. Entzückende Leistungen, wie die „Land-
straße“ und „Auf dem Kanal“ sind in Feder, Tusche und Deckweiß, andere in
Kreide und Deckweiß auf getöntem Papier, wieder andere in Kohle oder Blei
ausgeführt. Immer ist aus dem Ausdrucksmittel das Menschenmöglichste hervor-
geholt. Lebensvolle Bildnisse, darunter Fontane, Bernhard von Bülow, Justizrat
von Simson und ein Selbstporträt, Zeugen schärfster, intimster Beobachtung, so-
wie brillante Aktstudien zu einer Dalila fügen sich den vorwiegend holländischen
Motiven ein. Im ganzen offenbart sich eine Kunst von wirklich souveräner Macht.
So bietet dieses Werk Zeichnungen moderner Meister in reicher Zahl. Sie
können die Nörgler, die da leichthin behaupten, daß in der neuen Kunst die
Form zu kurz komme, zum Schweigen bringen.

blTQide Hatte oßonnenstrahlen
ün der klaren ßuft,
Qhber nebe[feuchten Halen
ßiegt ein letzter <Dufi.

0ferbst.

cU!nd es tönt wie eine 3llage
Durch des “Vogels efchrei,
Daß des cfommers sonn ge Hage
Dlun vorbei.

Huf den Hturen [iegt ein Hräumen,
Das die [Hoffnung klärt —
DOird der Hrühting Lange säumen,
Dis er wiederkehrt? 7rieda Sfeffe

Unsere I3i!der,

^-Ti-Tach „Arkadien“ führt A. von Courten, in dieses Land, das die Malerei
und die Dichtung nur schwer entbehren können, weil es die Menschen fern
von dem Zierrat und der Aufgebauschtheit der Zivilisation in heiterer Natürlich-
keit zeigt. Wirkungsvoll heben sich auf Courtens Gemälde von dem dunklen
Hintergründe des Waldes die beiden Büsten eines Jünglings und eines Mädchens
ab, dessen Kopf er in heißer Liebe in den Händen hält, um ihr ins Auge zu
blicken. In ähnlicher Weise setzt der Franzose Albert Penot den schlanken
zarten Körper eines jungen Mädchens gegen einen dunklen Hintergrund. Unwill-
kürlich hält sie mit dem Ankleiden an und blickt „ln Gedanken“ mit großen
dunklen Augen träumerisch vor sich hin, allerlei Empfindungen nachsinnend, die
in ihr aufsteigen. a. .j.
*
Einen „Sarazenenturm bei Rapallo“, der in seiner festgegründeten
Massigkeit den schäumenden Wellen der Brandung trotzt, hat Albert Hertel
wiedergegeben. Die Sarazenen, worunter das Mittelalter und der Anfang der
Neuzeit die gesamten Mohammedaner verstanden, war lange ein Schrecken der
Meere, gegen den besonders Venedig anzukämpfen hatte. Wer denkt dabei nicht
an die Schlachten, die z. B. in Shakespeares „Mohr von Venedig“ berührt werden.
So hatten die Sarazener bis hinauf an die Küste der Riviera ihre festen Burgen
als Wehrzeichen errichtet, die noch heute von ihrer einstigen Macht Kunde geben.
Dem trotzigen Eindruck des Baues entspricht die finstere Wolkenstimmung, die
Albert Hertel für sein Gemälde gewählt hat. Hoch auf spritzen die weißen
Schaumwellen an den flachen Strand; aber draußen liegt der Seespiegel in der
durchsichtigen kristallenen Klarheit, wie sie dem Ligurischen Meere zu eigen ist.
*
Einen Mädchenkopf von der nervösen Eleganz, wie sie Pariser Frauen zu
besitzen pflegen, hat der zu früh verstorbene H. Fenner-Behmer, der fast sein
ganzes Studium dem Charm und Chic der Pariserin gewidmet hat, in seiner

Zeichnung „Renee“ wiedergegeben. Das Antlitz ist mit voller Sicherheit in
seiner ganzen Eigenart erfaßt, und mit wie wenigen Strichen weiß der Künstler
das Beiwerk der Kleidung, den weichen Hut und die Pelzboa, als gefälliges
Nebenbei anzudeuten! — C. Bernheims Porträt von Agnes Harder wiederum
redet gu dem Beschauer durch die starke Vergeistigung der Züge dieser Denkerin
und Dichterin eine eindringliche Sprache. Die Malerin hat es verstanden, dem
Auge Agnes Harders, über dem sich ihre hohe freie Stirn wölbt, den ihm eigenen
Glanz zu verleihen und zugleich das Gesicht durch die Energie seiner Züge
sprechen zu lassen. Dem ordnet sich auch die Kleidung unter, die gleichfalls
einen Zug ins Große verrät und sich von aller Kleinlichkeit fernhält.
Zu den berühmtesten Rollen Ernst von Possarts, des bekannten Intendanten
der Münchener Hoftheater, gehört der „Franz Moor“ Schillers, den dieser Künstler
mit seltener Dämonie auszustatten vermochte. Naturgemäß trat die ganze Wucht
seiner Darstellung am stärksten in dem dramatischen Höhepunkt dieser Rolle
hervor. Soeben ist Franz Moor durch den furchtbaren Traum des ewigen
Gerichts und seiner ewigen Verdammung aus dem Schlafe geweckt worden.
Nun stürmt er, mit dem Leuchter in der Hand, durch das Schloß, um bald
darauf von den Räubern gestellt zu werden und seinen Tod zu finden. Der
malerisch gewaltigen Wirkung dieser Szene ist Felix Possart in seinem Werke
„Ernst von Possart als Franz Moor“ gerecht geworden.
Eine echt deutsche Landschaft hat Oskar Frenzei in seinem „Hohlweg“
festgehalten. Grünlich hell fließt aus den Laubenkronen das Licht, in dem eine
Herde Rinder langsam und friedlich vorwärts schreitet. — Eine heitere, idyllische
Wirkung ist T. Chevers Plastik eigen, die auf einem Telegraphendraht eine
Anzahl vermenschlichter „Schwalben“ in traulichem Nebeneinander sitzen
läßt, als ruhten sie sich zu der langen Reise aus, die ihnen bevorsteht.
 
Annotationen