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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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4. Heft
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Abter, Adolf: Flugplatzbilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0129
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55

^ Flugplafzbilder.
Von Adolf Abter, Hamburg.


In der Pilotenmesse.
ine gute Stunde von Hamburg entfernt liegt der Flugplatz Fuhlsbüttel. Hier
hat die Zentrale für Aviatik ihre Schuppen gebaut, einsam abgesondert vom
nervösen Großstadtgetriebe. In dieser Einsamkeit wird ein Stück Kultur
geleistet: von früh bis spät sind ernste Männer damit beschäftigt, das Problem des
Fliegens zu lösen. Jeder praktische Versuch ist kühnes Wagnis, ein Sein oder Nicht-
sein bringt jedes Probieren mit sich.
Es sind prächtige Menschen, diese Luftpiloten. Ein eigener Menschenschlag. Ein
hartes, unbeugsames Wollen drücken die Gesichter aus. Ruhig, aber durchdringend,
umsichtig und doch kühn-entschlossen sind ihre Augen. Jede Miene spricht von
eiserner Energie, jede Falte an Stirn und Mund und Augen befiehlt: ich will! Ernst
und zurückhaltend und gründlich — das ist der deutsche Luftpilot. Er fliegt nicht
aus Interesse an einem neuen Sport, er stellt seinen Erfindungsgeist, seine Kraft in
den Dienst der Wissenschaft, die zuerst seinem Vaterlande zugute kommt. Denn der
deutsche Pilot ist Patriot.
Ist das Tagewerk vollbracht, dann vertauschen die Piloten den Fliegerdreß mit
dem Straßenanzug, und sie begeben sich in die sogenannte Pilotenmesse, wo über die
Tagesereignisse geplaudert wird.
Urgemütlich ist es in der Messe auf dem Fuhlsbütteler Flugplatz. Ein kleines
Zimmer, in der Mitte ein runder Tisch, darum vier Korbsessel und ein Korbsofa. In
der Ecke ein Schrank, der das „Benzin" für die Flieger enthält: Kognak und Kaffee.
Referendar Caspar spielt den Ökonom; er versteht wunderbaren Kaffee auf der Maschine
herzustellen. Flugmeister Krumsiek verteilt die Kuchen (und ißt am meisten); er,ver-
teilt die Zigaretten und Zigarren (und raucht am meisten); er schenkt den Kognak ein
(und trinkt am meisten).
Die Wände der Messe schmücken die Bilder bekannter Piloten und photographische
Aufnahmen interessanter Flugmomente. Von den Flugversuchen Lilienthals ist eine
Reihe interessanter Photographien vorhanden. Auch eine große Tafel ist an der Wand
angebracht, auf der die Namen sämtlicher Piloten verzeichnet sind, der Reihe nach, wie
sie in Deutschland die Prüfung bestanden.
Danach gibt es im Deutschen Reiche zur-
zeit 500 Flugzeugführer. Der erste Pilot ist
August Euler, der Flugzeugführer Nr. 38
ist Prinz Heinrich von Preußen, der seine
Prüfung auf einem Euler-Zweidecker auf dem
Darmstädter Flugplatz bestand.
Eine Tür führt von der Pilotenmesse
direkt in den großen Flugzeugschuppen, eine
andere in den Umkleideraum der Piloten,
während eine dritte Tür mit einem Emaille-
schild versehen ist, das die Bezeichnung
„Ab-Salon" trägt ....
Sie wissen interessant zu plaudern, die
Piloten der „Hansa-Taube". Von den Ge-
fahren in der Luft, von den Tücken des
Motors und der Böen.
Wenn sie vom Tod eines ihrer Ka-
meraden sprechen, dämpfen sie die Stimme
und ihre Gesichter werden tiefernst. Aber
sie können auch herzlich lachen diese Männer,
die täglich dem Tod ins Antlitz schauen.
Oft war ich zu Gast in der Fuhlsbütteler
Pilotenmesse. Sonnige Erinnerungen habe
ich mitgenommen an die prächtigen Menschen
dort in dem trauten Zimmerchen inmitten
der weiten Einsamkeit.

Die Flugplatzdame.
Wie alle sportausübenden Menschen,
sind auch die Flieger abergläubisch, und sie
in ganz besonderem Maße. Jeder Luftpilot hat
seinen Talisman, der ihn vor Unfällen schützen
soll. So führt zum Beispiel der Flieger Otto
Baierlein stets ein kleines Zelluloidschwein
mit in die Luft, das er vorn an seinem
Apparat befestigt hat, während der Flieger
Alfred Hartmann eine Charakterpuppe an
der Fußstange seines Doppeldeckers ange-
bracht hat. Außerdem hat er einen Hund,
einen Terrier, der ihn auf allen seinen Reisen
begleitet und bei den Starts im Fliegerzelt
weilt. Bei einem Aufstieg Hartmanns in
Bahrenfeld während des Nordmarkflügmee-
tings spielte dieser Hund eine große Rolle.

’- [Nachdruck verboten.]
Hartmann hatte mich zu einem Passagierflug eingeladen. Wir saßen bereits in
seinem Apparat. Eben wurde die Startnummer hochgezogen und die Monteure setzten
die Propeller in Schwung. Der Motor funktionierte tadellos und mußte in wenigen
Augenblicken die Höchsttourenzahl erreichen, um dann in sausender Fahrt davonzu-
stürmen. Schon hatte der Pilot die Hebel gefaßt. Da tönten Schreie, gellende, un-
artikulierte Laute an mein Ohr. Wie aus ewigweiter Ferne schienen sie zu kommen,
hervorgestoßen in entsetzlicher Angst und so furchtbar schrill, daß sie das Dröhnen
des Motors und das Heulen der Propeller durchdrangen. Ein Griff Hartmanns an
der dünnen Verbindungsschnur — der Motor war abgestellt.
„Was gibt’s?“ fragte der Flieger unwirsch.
„Der Hund ist tot!" hörte ich hinter mir rufen.
„Welcher Hund?"
„Unser Hund — der Fliegerhund!"
Da sah ich, wie das Gesicht Hartmanns bleich wurde. Er schob die Schutz-
brille über die Kappe und sprang mit einem Satz aus dem Apparat. Ich folgte ihm
und sah nun unter dem Apparat einen Hund liegen, dem das Blut aus dem Maul
rann und der alle Viere von sich streckte.
„Wie ist das zugegangen?" fragte Hartmann tonlos, aber mit zitternder Stimme.
„Er ist von hinten gegen den Apparat gerannt und vom Propeller erfaßt worden."
Langes Schweigen, währenddem Hartmanns Augen auf dem Hund ruhten. End-
lich wandte er sich zu mir und sagte:
„Unser Fliegerhund ist tot. Er wollte uns warnen. Ich steige heute nicht mehr
auf. Morgen wollen Sie mein erster Passagier sein."
Und der Apparat wurde ins Zelt zurückgeschoben . . .
Am nächsten Tage verkündete mir Hartmann freudestrahlend, daß der Hund nur
betäubt war und nun wieder wohlauf wäre. „Aber zu bedeuten hat der Unfall sicher
etwas," fügte er hinzu. Wir machten dann einen Überlandflug nach Schulau an der
Elbe und zurück. Als wir wieder glücklich gelandet waren, nahm er einen anderen Passa-
gier mit in die Luft und fünf Minuten später
wurde der Apparat bei einer Notlandung
zertrümmert. (Flieger und Passagier kamen
mit dem Schrecken davon.) Als ich Hart-
mann nachher zu seiner Rettung beglück-
wünschte, sagte er: „Sehen Sie, es hatte doch
etwas zu bedeuten mit dem Hund . . .*
Auch der Münchener Herrenflieger Otto
E. Lindpaitner führt stets einen Hund als
Talisman auf seinen Reisen mit sich. Es ist
eine französische Zwergjbulldogge, von einer
Häßlichkeit, die alle Hundekenner in höchstes
Entzücken versetzt. Dieser Fliegerhund hört
auf den Namen „Bouleboule“.
Als der Hamburger Flieger Hans Hansen
bei Hans Grade (jetzt fliegt er „Hansa Taube")
sein Pilotenexamen ablegen sollte, ließ er die
Prüfung auf den nächsten Tag verschieben,
denn der angesetzte Termin fiel auf einen
Freitag und noch dazu den 13. des Monats,
beides als Unglücksdaten unter den Fliegern
verzeichnet.
Der interessanteste Fliegertalisman ist
jedenfalls die sogenannte „Flugplatzdame".
In den großen Fliegerzentralen der
Reichshauptstadt werden diese Damen als
Talisman und besondere Schutzpatroninnen
engagiert. Jeder Flugschüler steuert all-
wöchentlich während seiner Lehrzeit eine
Summe zur Erhaltung und Haltung dieser
Schutzpatronin bei. Natürlich läßt sich die
Flugplatzdame von den zukünftigen Rekord-
fliegern eine Rekordsumme als Salär zahlen.
Und die einzige Verpflichtung der Schutz-
göttin ist, bei jedem Flug auf dem Flugplatz
anwesend zu sein, sei es nun in frühester
Morgenstunde oder wenn die Dämmerung
naht. Keinem an einer Flugplatzdame „be-
teitigten" Schüler wird es einfallen, seine
Pilotenprüfung während ihrer Abwesenheit
ablegen zu wollen. Genau zur festgesetzten
Zeit erscheint die Patronin auf dem Flugfeld,
denn sie weiß, daß ihr ein Extrabeitrag zu-
teil wird, wenn sie dem Flieger als erste
nach bestandener Prüfung gratuliert.

Antonio Fabr6s: Frühling.
 
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