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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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7. Heft
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Goedicke, Elisabeth: Der Kofferträger: Weihnachtsskizze
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0204
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8o

MODERNE KUNST.


Axel Sjöberg: Vereister Strom.

hatte tüchtig zu tun und war schließlich so abgearbeitet, daß ich mal ein
paar Wochen an die See gehen mußte. Ich wohnte bei einem Fischer,
und da ich auch Von der Waterkante bin, war es für mich die schönste
Erholung, mal ganz mit den Leuten zu leben. Ich fuhr früh um vier
mit in See, um Netze einzuziehen und kleidete mich dann ganz wie sie,
trug eine blaue Wolljacke, rauchte meine Pfeife und ging mit Vorliebe
barfuß und barhäuptig. Eines Tages war ich nun so auf die Landungs-
brücke geraten, als gerade ein Dampfer ankam, der neue Badegäste
brachte. Ich lehnte am Geländer und sah mir den Trubel an; da winkte
mich plötzlich ein sehr gut gekleideter Herr zu sich heran, zeigte auf
seinen Koffer, der eben aus dem Schiff ausgeladen wurde, und sagte:
„Tragen Sie mir den mal ins Hotel.“
Harriet Tann-Elliesen saß auf ihrem Koffer auf der Landstraße und
lachte herzlich. „Und Sie taten es?“ fragte sie.
„Natürlich. Die Sache machte mir ja Spaß. Ich war ein kräftiger
junger Mensch, warum sollte ich nicht einen Koffer tragen. Ich lud
ihn also auf die Schulter und trabte barfüßig neben dem Herrn her zum
ersten Hotel des Ortes. Dort angekommen, fragte er, was er schuldig
wäre; und ich forderte eine Mark, die ich meinen Armen bringen wollte.
Ein paar Tage später bat mich der Geistliche des Ortes, den ich
natürlich aufgesucht hatte, ihn am Sonntag zu vertreten, da er in einer
dringenden Angelegenheit verreisen müßte. Ich konnte ihm das natürlich
nicht abschlagen, und als ich nun am Sonntag im Talar durch die
kleine, schlichte Kirche schritt, komme ich an einem Menschen vorbei,

Verlag Paul Heckscher, Stockholm.
der mich mit großen Augen anstarrt wie eine Erscheinung, und erkenne
den Herrn, dem ich den Koffer getragen hatte. Nun mußte ich doch un-
willkürlich ein bißchen lächeln und grüßte ihn freundlich mit den Augen.
Dann hielt ich den Gottesdienst ab. Als er beendet war, und ich auf
den kleinen, sandigen Friedhof mit den eingesunkenen Kreuzen und dem
spärlichen Schmuck auf den Gräbern hinaustrat, kam der Herr auf mich
zu. Er war ganz aufgeregt. „Um Gottes willen, Herr Pastor, ich weiß
ja gar nicht, wie ich mich bei Ihnen entschuldigen soll. Ich habe ja
keine Ahnung gehabt — es ist mir fürchterlich unangenehm —“
Ich lachte. „Ich bitte Sie, ich habe das sehr gern getan, und Ihr
Irrtum war ja ganz begreiflich. Warum soll ich übrigens nicht mal eine
Mark verdienen, wenn mir die Gelegenheit dazu geboten wird. Meine
Armen können sie sehr gut gebrauchen.“
Er gab sich aber noch nicht zufrieden. „Nein, ich bin wirklich
untröstlich! Was werden Sie nur von mir gedacht haben. —“
Schließlich sagte ich: „Wissen Sie, daß Sie Tausende von deutschen
Männern beleidigen, die sich durch Koffertragen ehrlich ihr Brot ver-
dienen, wenn Sie meinen, daß Sie mir mit dem Auftrag eine so große
Beleidigung zugefügt haben?“
Das wollte ihm gar nicht einleuchten, und er sagte immer wieder:
„Wie soll ich es nur wieder gut machen?“
Da sagte ich: „Sie können mich und mit mir alle Kofferträger nur wieder
versöhnen, wenn Sie mir erlauben, Ihren Koffer auch wieder zum Schiff
zu tragen, wenn Sie abreisen.“
 
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