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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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Buss, Georg: Der gedeckte Tisch
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0218
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96

MODERNE KUNST.



gilt für diesen Fall das vom Dichter auf den Künstler ge-
münzte Distichon:
Oftmals, zeichnet der Meister ein Bild mit wenigen Strichen,
Was mit unendlichem Wust nie der Geselle vermag.
Unsere moderne Festtafel ist zur blumigen Weide, zur
Alm geworden — Blumengewinde als Festons an den Seiten
des Tafeltuchs, Blumen auf dem Tafeltuch, Blumen in der
Bischofsmütze, Blumen in Vasen, Aufsätzen und Schalen,
Blumengewinde sich schlingend von Aufsatz zu Aufsatz . . .
Herrgott, es sollen doch keine gehörnten Wiederkäuer be-
wirtet werden! Dem riesigen Blumenzauber sind als Dekor
Frucht- und Konfektschalen, Pyramiden von Gebäck, Kristall-
karaffen, vielarmige silberne Kandelaber und andere prun-
kende Geräte zugesellt. Der gewaltige dekorative Apparat
nimmt Raum weg, erschwert die Übersicht, stört die Unter-
haltung und stumpft geradezu ab. Der Gast vermag sein
Gegenüber nicht zu sehen, nicht mit ihm zu reden, ihm nicht
zuzutrinken, denn ein mächtiger Aufsatz'mit üppigem Blumen-
behang bildet eine spanische Wand. Steht eine halbmeter-
hohe, stutzenartige Glasvase zwischen ihnen, so werden sie
vom Gedanken gequält, daß eine ungeschickte Bewegung oder
ein leichter Rück am Tafeltuch das leichte, zerbrechliche Ding
zum Kippen bringt. Noch größere Qual verursacht die zu
jedem Kuvert gefügte Garnitur dünnstengeliger und feinwan-
diger Trinkgläser. Die moderne Garnitur ist auf neun Stück
angeschwollen. Der reine Kristalladen! Heillose Verwirrung
entsteht, wenn der für gewöhnlich mit einem Rot- und Weiß-
weinglase zufriedene Gast solchen Reichtum für die ver-
schiedenen Flüssigkeiten und Marken richtig gebrauchen soll.
Was wir wollen? Nun, eine Festtafel, die nicht protzen-
haft überladen und gezwungen, sondern einfach-vornehm und
geschmackvoll berührt, eine Tafel, welche freie Durchblicke
gewährt und die Gäste gesellig verbindet, aber nicht separiert,
eine Tafel, die den Gast nicht zwingt, vor einem Blumen-
oder Obstchimborasso eine halbe oder ganze Stunde Botanik
oder Pomologie zu studieren — kurz, eine solche, an der sich
bequem und sorgenlos materiellen Genüssen und anregender
Unterhaltung huldigen läßt. Also fort mit dem beängstigen-
den überflüssigen Aufwand und mehr freie, klare, ruhige
Fläche. Schönen und graziösen Frauen wird damit um so
mehr gedient sein, als nun ihre Vorzüge erst recht zur Gel-
tung gelangen. Fort auch mit dem Nachäffen der englischen Sitte, in der Längs-
achse der Tafel ein eingefriedigtes Blumenparterre anzulegen. Wohl aber Nach-
ahmen des englischen Brauches, die Tafel breit zu halten und jedem Gast
genügende Tischlänge, etwa neunzig Zentimeter, zu gönnen, auf daß er unge-
hindert sich möge bewegen können, und das Speisen ihm nicht zur Qual werde.
Unwillkürlich richten sich die Gedanken wieder auf den großen König. Er
liebte die Eleganz des Rokoko und den feinen Lebensgenuß, aber der Dekor
seiner Tafel war einfach im höchsten Grade. Gespeist wurde von Silber, auch
den Adjutanten wurde auf Silber serviert, doch pomphafte Aufsätze und über-
flüssiger Schmuck fehlten. An der berühmten Tafel in Sanssouci saßen sich der
König und seine Gäste, die Voltaire, d’Alembert, d’Argens, Keith, Maupertuis
und wie sie alle heißen mögen, frei gegenüber, so daß die Blicke sich treffen
und das Raketenfeuer geistreicher Gedanken und feiner
Witze hin und her fliegen konnte. Das Menu bestand
aus sieben oder acht Platten, reicher bot es sich nur,
wenn aus Anlaß hohen Besuches Galatafel war. Auch in
diesem Falle blieb der Schmuck immer in den Grenzen
vornehmer Beschränkung. Ebenso hat der greise Kaiser
Wilhelm höchste Einfachheit walten lassen, wie denn
der kleine Speisesaal im ersten Stockwerk des Palais
an der Straße „LTnter den Linden“ von übertriebenem
Luxus völlig frei ist. Von dem runden englischen Tisch,
der für zwanzig Gäste genügte, war jeder Prunk ver-
bannt. Und dieselbe Schlichtheit bei Bismarck. Selbst
bei großen Diners zu Ehren des diplomatischen Corps
wurde der Pomp vermieden, wohl aber übte der Alt-
Reichskanzler beim Zusammenstellen des Menus die
Courtoisie, daß jeder Botschafter und Gesandte ein Ge-
richt seiner Heimat vorfand, der Türke sogar seinen
Pilaw und sein Kusu eti, zu deutsch Lammfleisch. Den
Schwerpunkt beim Diner haben alle diese hervorragen-
den Männer auf die Speisen und Getränke, nicht auf den
Dekor gelegt. Sie wußten aber die Leistungen des
Küchenchefs und des Kellermeisters nach Gebühr zu
schätzen. Das Wohlwollen und die Liebenswürdigkeit
der Gastgeber ließen dann bald unter den Gästen eine
Stimmung entstehen, deren Wärme sogar die Erledigung
mancher schwierigen diplomatischen Frage erleichtert



Verneuerte Kleider-Ordnung
und Verboth der Hoftärth:
Der Herr Korporal als Schüsselgucker.

hat. Historiker behaupten denn auch, daß zur Zeit des Berliner Kongresses das Be-
hagen, das bei den Diners im Reichskanzlerpalais geherrscht habe, auf den Aus-
gang der heiklen Verhandlungen von sehr wesentlichem Einfluß gewesen sei; das
traute und schlichte Milieu hätte auf die erregten Gemüter der Herren Diplomaten
sänftigend wie Öl auf die wilden Wogen des sturmgepeitschten Meeres gewirkt.
Für den engen Kreis der Familie gilt die Forderung der Einfachheit erst
recht, schon in Rücksicht auf die Kinder, deren Erziehung zur Bescheidenheit
und Genügsamkeit führen soll. Über seine Mittel zu leben, widerstandslos dem
Gaumen für einen flüchtigen Genuß zu fröhnen, den Lebensgevjdfihheiten der
Begüterten nachzuahmen, vielleicht nur aus falschem Stolz, bringt keinen Segen.
Bürgerliche Solidität wurzelt in dem Grundsätze, Soll und Haben in harmonischen
Einklang zu bringen, nicht den Großen zu spielen, wenn das Fundament klein und
schwach ist, wohl aber durch weises Haushalten, rüsti-
ges Schaffen und Sparsamkeit, nicht zu verwechseln mit
schnödem Geiz, das Fundament allmählich zu stärken.
Das schließt nicht aus, daß an gewissen Feiertagen, an
denen die Herzen sich gegenseitig freudig erschließen,
der gehobenen Stimmung Rechnung getragen und durch
. festliche Ausschmückung der Tafel und wohlschmeckende
kulinarische Großtaten Ausdruck verliehen wird. Solches
: Feiern als wohltuende Unterbrechung des profanen Le-
bens ist alte volkstümliche und geheiligte Gewohnheit,
der sich niemand entziehen soll und unter uns Deutschen
besonders in den Weihnachtstagen, an denen ja unsere
Seele seit der Kindheit Tagen mit tiefstem Empfinden
hängt, niemand entziehen wird. Schon unsere Vorfahren,
die prächtigen Germanen, hielten es am Fest der Sonnen-
wende und bei gewissen anderen Festen für unbedingt
notwendig, am Herd des Hauses bei flammendem Eichen-
block „zu Ehren der Götter“ besser und mehr als an den
gewöhnlichen Tagen zu speisen und zu trinken. War in
ältester Zeit der häusliche Herd der Mittelpunkt des
Familienlebens, so ist es in unseren Tagen der Speise-
tisch. Um ihn sammelt sich die Familie. Ob reich, ob
arm, die Hausfrau kann ihm einen Zauber verleihen, der
alle Herzen wundersam umstrickt. Sein höchster Schmuck
seien Sauberkeit, Frohsinn und Zufriedenheit, und erst
recht in der festlichen Zeit der deutschen Weihnacht.

Das Ende vom Liede: Zahlen! Zahlen!
 
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