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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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9. Heft
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Ertel, Jean Paul: Der Werdegang einer Sängerin, [2]
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Anwand, Oskar: Farbenträume
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0272
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MODERNE KUNST.

11 r


für unsere großstädtischen Verhältnisse beinahe alles fehlt. Nicht einmal eine schöne
Stimme ist vorhanden, und das wenige Vorhandene hat eine keineswegs einwandfreie
Kultur erfahren, die wahrscheinlich auf den Unfug, mehrere Methoden zugleich oder
nacheinander zu studieren, zurückgeführt werden muß. Wer fortgesetzt so tremoliert
und so detoniert wie diese Gastin, die von einer Freundesclique ganz ungebührlich
gefeiert wurde, der sollte noch ein paar Jahre die Schulbank drücken, ehe er wieder
unsere Residenz beehrt. Im Spiel war diese Valentine einfach hölzern, überhaupt
unerträglich." — Das war ein furchtbares Erwachen; aber offenbar war dieser „ver-
rohte Kritiker" von der Konkurrentin bestochen oder mindestens lagen zarte Be-
ziehungen zwischen ihm und ihr vor. Man überlegte eine Beleidigungs- und Ent-
schädigungsklage, kam aber auf gütliches Zureden eines Referendars davon wieder
ab. Mit einem Stachel im Herzen schied Klara Mollini von der ungastlichen Haupt-
stadt und erholte sich erst ein paar Monate von dem Schrecken. Dann faßte sie
den Mut und fing ein neues, sehr ernstes Studium an, das ihr den wirklichen und
echten künftigen Erfolg sicherstellte. Wir hoffen, sie demnächst als „Carmen" —
man erzählt davon bereits in eingeweihten Kreisen Wunderdinge — hören zu
können. Ist es so, dann ist ihr Werdegang vollbracht und die Millionen, von denen
der inzwischen verewigte Papa immer geträumt hatte, werden schon kommen.

Farbenträume.

Von Dr. Oskar Anwand.

kaß die Farbe das eigentliche Ausdrucksmittel des Malers sei —
diese scheinbar selbstverständliche Erkenntnis hat die Kunst
der letzten Jahrzehnte immer wieder betont und selbst auf Kosten
der Zeichnung verwirklicht. Während
die deutsche Malerei am Anfang des
19. Jahrhunderts, zu den Zeiten von
Carstens und Genelli sich der Farbe zu
schämen und sie als unkünstlerisches
Element zu betrachten schien, folgte am
Ende desselben Jahrhunderts der denk-
bar größte Rückschlag. Freilich fehlt die
Regenbogenbrücke, die beide Epochen
verbindet, nicht gänzlich; aber sie hat
sich nicht von Deutschland, sondern von
dem — in der Kunst sonst häufig nüch-
ternen England aus gewölbt, und erst
über Frankreich fiel der Glanz farbiger,
schillernder Farbenträume zu uns her-
über. Zur Zeit wo uns unter dem Einfluß
der übergewaltigen klassischen Dichtung
auch in der Malerei die Antike wenig-
stens insofern herrschte, als die Zeich-
nung nach dem Vorbilde der Plastik un-
bedingt das kompositorische Element
abgab, hat in England Turner seine
Lichtvisionen gemalt, zu denen er die
erste Anregung freilich in Venedig, die-
ser Stadt der Wunder der Atmosphäre
erhielt. So war er durch und durch
Maler; und der in England herrschende
Nebel trug noch dazu bei, den Eindruck
des Märchenhaften, Phantomartigen sei-
ner Bilder zu verstärken. Zwar versteigt sich Turner nicht eigentlich zu Phantasie-
gebilden; im Gegenteil hat er als einer der ersten Maler modern-technische Er-
scheinungen, wie die damals noch neue Eisenbahn und das Dampfschiff in seiner
Kunst verwandt. Aber in Sturm, Nebel oder Regen löst er ihre Formen phan-
tastisch auf und läßt ihre Lichter visionhaft hervorleuchten, oder umgibt sie mit
den farbigen Wundern des Morgen- oder Abendhimmels. So scheinen sie nicht
der Wirklichkeit sondern dem Traume entstiegen zu sein und aus Märchenlanden
ihre Kraft zu schöpfen. Es ist daher durchaus kein Zufall, daß Claude Monet,
als der französische Impressionismus mit dem vollen Bewußtsein einer Kunst-
richtung, die Lichteffekte in Landschaft, Städtebild und im erleuchteten Saale
suchte, gerade in England mit seinen Bildern der Themsebrücke bei Sonnenschein,
Regen und Nebel seine kühnsten und duftigsten Farbenträume geschaffen hat.
Denn eben damals hatte er den Einfluß Turners erfahren. Bei ihnen kann man
von Zeichnung kaum noch sprechen; dem wogenden Nebel gleich herrscht die
Farbe und hat alle Festigkeit umher in ihren Duft schleiergleich aufgelöst.
Aus England stammt auch der Künstler, von dem wir hier zwei Bilder in
Schwarz-Weiß wiedergeben: Tom Mostyn. Fata morgana und Lichtmärchen
stehen seiner Malerei nahe, sei es daß sie klare Gestalt angenommen haben oder
an der Schwelle warten, scheinbar jeden Augenblick bereit, über sie hinweg
einzutreten. So erhebt sich in seinem „Traumland“ ein Walhalla-artiges Schloß
leuchtend, schwebend und aufwärtssteigend, über den Kronen einer Waldland-
schaft ■— gleichsam unwillkürlich von einem wundertrunkenen Auge in den

Der Werdegang einer Sängerin:
Im Lorbeerregen.
leichten Himmelsnebel gewoben. Oder auf Tom Mostyns Gemälde „Herbst“ steht
eine dunkle Gestalt an die eine Wand der klaffenden Lücke einer Ruine gelehnt,
die von Rosen überwuchert ist. Wenn der Künstler hier von der Wiedergabe
einer klaren Lichtvision absah, so geschah es, um der ziellosen Sehnsucht
auf dem weiten dunklen Hintergründe des Himmels einen um so treffenderen
Ausdruck zu verleihen und sie an keine Form und Schranke zu binden. Das
Menschliche und Figürliche bildet Tom Mostyn gern klein, während das Geistige den
Zug zur Größe bekommt. Ein anderes hier nicht wiedergegebenes Bild, das zwei
Menschen in der Wüste beim Sonnenuntergänge zeigt, hat dieser Künstler „Allah“
genannt; und wirklich liegt eine feierlich-erwartungsvolle Stimmung über dem
Ganzen. Es versteht sich von selbst, daß hier kein Vergleich zwischen Künstlern,
die uns heute fast als Klassiker gelten, wie Turner und Monet, und andererseits
Tom Most3'n gezogen werden soll. Charakteristisch aber ist es, daß die neblige
Luft Englands gerade die Phantasie der Maler stark anzuregen scheint, und
diese sich dann in Farbenträumen äußert.
 
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