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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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Copyright by Rieh. Bong, Berlin. 31. 12. 1913. Alle Rechte, auch das der Übersetzung in andere Sprachen, sind den Urhebern Vorbehalten.




Rabindranath Tagore.
Der Empfänger des Nobelpreises für Literatur.
Wenn es im Testamente Nobels auch heißt, daß die
von ihm gestifteten Preise dem Würdigsten, gleichviel
ob er Skandinavier ist oder nicht, zugesprochen werden
sollen, und somit die Nationalität des Empfängers keine
Rolle spielen darf — waren sie bisher doch europäischen
oder amerikanischen Gelehrten und Dichtern zuteil ge-
worden. In diesem Jahre wurde wieder ein Deutscher,
Peter Rosegger, als Kandidat des Preises für Literatur
genannt; da drang aus Stockholm die Kunde über den
Kontinent, daß er einem Inder, Rabindranath Tagore,
zugefallen sei,' der in Europa — England höchstens aus-
genommen •— fast völlig unbekannt ist.
Man könnte fragen, ob ein Dichter, dessen Wirkungs-
kreis verhältnismäßig eng blieb, einer so großen inter-
national gedachten Ehrung würdig ist. Aber hier haben
die Juroren des Nobel-Preises schon durch seine Ver-
leihung an den Provenzalen Mistral einen Präzedenzfall
geschaffen. Ähnlich wie er ist auch Rabindranath Tagore
ein Nationaldichter, und seine Lieder haben in ganz
Indien volkstümliche Geltung erlangt. Er schrieb seine
Werke in bengalischer Sprache, um sie erst von hier
aus ins Englische zu übersetzen. Auch die Musik zu

Im Nebelmeeie am Vierwaldstättersee.

Phot. Wehrli A.-G., Kilchberg-Zürich.

Rabindranath Tagore, Träger des Nobelpreises für Literatur 1913.
Phot. John Trevor, London.

seinen Liedern stammt hauptsächlich von ihm selbst.
Wie dieser Dichter mit seiner schlanken Gestalt, der
hohen Stirn, den sinnenden Zügen und den in Beschauung
tiefen, ruhigen Augen äußerlich als Inder erscheint, ist
er es auch seinem Wesen nach.
Sein Vater, ein Philosoph, hatte
von dem Volke den Namen
eines großen Heiligen erhalten;
von dieser Verehrung und Sinnes-
art ist ein Teil auf den Sohn
übergegangen. Politischen Partei-
kämpfen steht er fern; dafür
handeln seine Schriften von den
Pflichten Gott und den Menschen
gegenüber. Schon heute um-
fassen seine Dramen, Romane
und Erzählungen, abgesehen von
seinen Liedern, ca. 30 Bände.
Daneben war er als einer der
Gründer der indischen National-
universität in Kalkutta tätig, und
rief eine Knabenschule und Er-
ziehungsanstalt ins Leben.
Seine Krönung mit dem
Nobelpreise wird die Über-
setzung der wichtigsten Werke
dieses orientalischen Dichters
auch in unsere Sprache zur Folge
haben und ihn damit unserm
Verständnis und Herzen näher
bringen. Der dichterische Geist
Indiens hat ja in dem Märchen
seit Jahrhunderten seine Regen-
bogenbrücke auch nach Deutsch-
land geschlagen, das eine zweite
Heimat derMärchenpoesie wurde.
Ebenso ist die Vorliebe für die

Lyrik und ihre unausschöpfbare Stimmungstiefe beiden
Ländern eigen, so daß ein gegenseitiges Mitempfinden
auch moderner Poesie nicht ausgeschlossen erscheint.
--— R. O.
Franz von Schönthan f
Der jüngst verstorbene bekannte Lustspieldichter
entstammte dem Geschlechte der Edlen von Pernwald.
In Wien, wo er jetzt auch die Augen geschlossen, wurde
er am 20. Juni 1849 geboren. Wie sein bereits vor acht
Jahren verstorbener Bruder Paul widmete er sich zu-
nächst der militärischen Laufbahn, indem er, als Siebzehn-
jähriger, in die österreichische Marine eintrat. Aber schon
nach vier Jahren vertauschte er den Seemannsberuf mit
dem des Schauspielers. Ein wechselreiches Wander-
leben führte ihn auf verschiedene reichsdeutsche Bühnen,
u. a. auch an das Königliche Schauspielhaus und das
Residenzlheater in Berlin. Bald erwachte in ihm aber
die Lust zum Fabulieren stark, und er entdeckte seine
dichterische Ader. Seine ersten schriftstellerischen Ver-
suche, darunter einige kleinere Theaterstücke, hatten
keinen nennenswerten Erfolg, bis es ihm im Jahre 1879
gelang, mit dem Lustspiel „Das Mädchen aus der Fremde“
seinen Namen in weiteren Kreisen bekannt zu machen.
Er gab daraufhin den Schauspielerberuf auf, und der
Erfolg dieses Stückes veranlaßte seine Berufung als
ßühnenschriftsteller an das Wallnertheater.
Das erste Stück, das er für diese Bühne schrieb, war
das Lustspiel „Sodom und Gomorrha“; dann aber begann
er sich mit andern Schriftstellern zu assoziieren, und
in der Zusammenarbeit mit seinem Bruder Paul, mit
Gustav von Moser, Kadelburg, Koppel-Ellfeld, Chiavacci,
Frhrn. von Schlicht, Fedor von Zobeltitz, Presber hat er
in den folgenden Jahrzehnten der deutschen Bühne eine
große Reihe von Lustspielen und Schwänken geschenkt,
die durchweg eine gewisse solide Bürgerlichkeit und
harmlos-liebenswürdige Fröhlichkeit atmen. Es genügt,
die Titel zu nennen: „Der Zugvogel“, „Krieg im Frieden“,
„Unsere Frauen“, „Goldfische“, „Die berühmte Frau“,
„Der Herr Senator“, „Komtesse Guckerl“, „Renaissance“,
„Die goldene Eva“, „Im bunten Rock“, „Klein-Dorrit“,
„Die Puppenklinik“, um erkennen zu lassen, wes Geistes
Kind seine Muse war. Sobald er auf einen Kompagnon
verzichtete, wie in den Lustspielen „Roderich Haller“,
„Zirkusleute“, „Die goldene Spinne“, war auch der Erfolg
schwächer. Am längsten von allen seinen dramatischen
Werken wird sicherlich das von ihm in Gemeinschaft
mit seinem Bruder verfaßte Lustspiel „Der Raub der
Sabinerinnen“ leben. In der Figur des Schmierendirektors
Striese glückte ihm hier ein Lustspiel-Typus, der bei-
nahe schon klassisches Gepräge besitzt, große und kleine
Komiker und Charakterdarsteller immer wieder reizen,
und das Publikum höchlichst ergötzen wird.
Über den äußeren Lebensgang Schönthans ist noch zu
sagen, daß er 1883 einen Ruf als Oberregisseur an das
Wiener Stadttheater erhielt, diese Stelle aber nur bis
zu der Brandkatastrophe im folgenden Jahre inne hatte.
Seitdem lebte er als unabhängiger Schriftsteller bei
Wien, in Berlin und bei Dresden, zuletzt seit einer
Reihe von Jahren in seiner Vaterstadt Wien. Außer den
genannten Bühnenwerken hat die rührige Feder Franz
von Schönthans dem deutschen Büchermarkt auch eine
Reihe Erzählungen, ferner Epigramme und Sinnsprüche
geschenkt, und in der letzten Zeit gelang es seiner Viel-
gewandtheit noch, der jungen Kinoliteratur mit „Wo ist
Coletti?“ einen erfolgreichen Film zuzuführen.

Duseha Qutze f
Nach dem frühen Verlust des Vaters blieb die
Erziehung des temperamentvollen Kindes ganz in den
Händen der Mutter, einer hochbegabten, liebenswürdigen
Natur, deren Einfluß auf die Tochter von großer Bedeu-
tung wurde. Unbezwinglich war die Leidenschaft fürs

Franz von Schönthan ■j*.
Phot. Alice Matzdorff, Berlin.

Theater schon in dem jungen Kinde, das, ohne drama-
tischen Unterricht genossen zu haben, mit vierzehn Jahren
bereits die Bretter betrat. In Augsburg war’s, wo sie
als Lehrbub Franz in der Posse „Das Mädel ohne Geld“
durch ihren urwüchsigen Humor und ihre unbeirrte
Natur zum erstenmal wirkte. Nuschas Weg ging rasch
über Bozen, Innsbruck, Laibach, Theater an der Wien
nach Leipzig, wo sie unter August Förster 1880, kaum
zwanzigjährig, zur Höhe stieg. Aber schon am 9. März
1882 feierte sie ihr Debüt als Lorelei in Dorf und Stadt
an der Kgl. Bühne in Wiesbaden. Sechs Jahre war sie
dort der vergötterte und verwöhnte Liebling. Da kam
Barnay zum Gastspiel als Benedikt in Shakespeares
„Viel Lärm um Nichts“. Die junge, lebensprühende
Beatrice der Butze trieb ihn schnell zum Entschluß, sich
die begabte Künstlerin an sein Theater zu fesseln.
„Ich gab viel auf“ ■— sagte sie von ihrer Wiesbadener
Zeit. „Aber Berlin bleibt eben doch unser Ziel.“
Aus dem Fach der lachenden Jugend ging sie über
in das der ernsten. Ihre Claire im vielgespielten „Hütten-
besitzer“ wurde vorbildlich. In Fitgers Drama „Die
Hexe“ wuchs sie zu tiefinnerlichster dramatischer Ge-
walt. Und wer sie nach dieser düster-interessanten Lei-
stung in der „Widerspenstigen“
Schabernack treiben sah, wer
den geistreichen Plänkeleien ihrer
Hortense im Probepfeil von
Blumenthal folgte oder das köst-
liche Lachen ihrer Lucie in der
Schulreiterin von Pohl vernahm,
dem wurde es schwer, Kritik
zu üben. Nach kurzer Direktions-
führung mit ihrem Gatten, dem
Dr. jur. Beermann, mit dem sie
in ausgeglichenster Harmonie
lebte, holte Graf Hülsen sie ans
Schauspielhaus. Und hier ge-
wann sie wieder ein neues Feld.
Wir sahen sie bis vor wenigen
Tagen in den Rollen der warm-
herzigen Mütter, denen das La-
chen und Weinen gleich gut stand.
Was den Zauber ihrer Kunst
so sehr vertiefte, daß ihr ein
jeder gerecht werden mußte, war
die innerste Wahrhaftigkeit. Sie
war der natürlichsten Schau-
spielerinnen eine, vielleicht mit-
unter zu sehr Natur, die sich
weich und mild und zärtlich gab.
Aber weil sie nichts anderes
sein wollte als wahrhaftig, über-
zeugte sie dennoch. Nichts
Fremdes hatte Einfluß auf sie,
ihr kluger Geist formte und ver-
band, und ihr Fleiß verließ sie nie.

XXV11J. 9 B.
 
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