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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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Die Bedeutung Lichtwarks geht weit über das hin-
aus, was sein Titel Direktor der Hamburger Kunsthalle
andeutet. So vorbildlich dieses Museum der Kunst
des 19. Jahrhunderts auch sein mag — es wirkt nur
wie ein Beispiel dessen, was Lichtwark selbst war. Dar-
über steht seine Persönlichkeit als Anreger und Kunst-
erzieher, die nach allen Seiten ihre Strahlen aussendet
und zur Nachfolge ermuntert. Den Satz, der aus Herders
Munde den jungen Goethe begeisterte, daß die Dichtung
Eigentum nicht weniger Bevorzugter, sondern des ganzen
Volkes sein müsse, hat Lichtwark für die Kunst auf-
gegriffen. Es war deshalb nur natürlich, daß er ihre
nationale Grundlage, ja sogar ihre lokale Gebundenheit
aufs tiefste fühlte. Eine glückliche Schickung wollte
es, daß der hochbegabte, aus Hamburg stammende Kunst-
historiker, nachdem er in Leipzig und Berlin seine
Studien vollendet hatte und am Berliner Kunstgewerbe-
museum als Bibliothekar tätig gewesen war, kaum vier-
unddreißigjährig, zum Direktor der Kunsthalle seiner
Vaterstadt gemacht wurde. Hier begann er sofort eine
Tätigkeit, die zunächst Staunen und Kopfschütteln er-
regte, weil sie von den gewohnten Pfaden entschieden
abwich. Aus alten Patrizierhäusern zog Lichtwark näm-
lich Werke der Malerei etwa aus der Mitte des 19. Jahr-
hunderts, auf welche die Kunstgeschichte damals mit
Geringschätzung herabsah, an die Öffentlichkeit. Aber
gerade diese Kunst half später auf der bedeutsamen
Jahrhundertausstellung der Berliner Nationalgalerie den
Beweis erbringen, daß die deutsche Malerei auch im
19. Jahrhundert eine bodenwüchsige Kultur besaß, an
die sich anknüpfen ließ — anstatt mit ihr zu brechen
und den französischen Impressionismus als das A und O
moderner Malerei zu bezeichnen. Die Schätze der Heimat
zu sammeln war eine seiner Taten, die in andern
deutschen Städten ihr Echo finden sollte. Zugleich be-
reitete Lichtwark in der Hamburger Kunsthalle aber
auch der neuesten Kunst eine Stätte, die sie in manchen
anderen öffentlichen Museen noch nicht gefunden hatte.
Das Wirken seiner Persönlichkeit griff jedoch über
diese Grenzen noch hinaus. Nicht im Museum allein,
auch im Leben wollte er die Kunst und den Schönheits-
sinn gepflegt sehen. Er öffnete den Hamburgern das
Auge für die Schönheit der älteren Partien ihrer Stadt
und zeigte, was hieraus zu lernen wäre. Er ging von
der Betrachtung der Städte, Schlösser und Plätze zum
einzelnen Wohnhause herab, deckte hier die Mängel ver-
fehlter Prunksucht im Gegensatz zu richtigen Proportionen
auf, und trat in das Innere des Plauses bis vor den Tisch,
um den Frauen zu zeigen, daß nicht der Gärtner und
Dekorateur mit ihrem üblichen Blumenarrangement im
Recht wären, sondern sie selbst mit Verständnis für jede
einzelne Gelegenheit den Schmuck versehen sollten.
So hat er überall Samenkörner in den Boden der Kunst-
pflege gestreut, die auf günstigen Boden fielen.
Es ist tief zu bedauern, daß Lichtwark gerade
jetzt davon gehen mußte, wo das neue Gebäude
der Hamburger Kunsthalle fertig steht und ihm
die Unterbringung seiner Bilder eine Rückschau
über das geboten hätte, was er geschaffen. Doch
sein Leben bedurfte dieses äußerlichen Ab-
schlusses nicht, von ihm gilt wie nur von
wenigen, daß die Spur von ihren Erdentagen
nicht untergehen werde. R. O.
—vvvVw-
Mart Haoptnan, Der Bogen des Odysseus.
Mit Vorliebe behandeln unsre heutigen
Bühnendichter Sagen und Stoffe, die nicht nur
schon geprägt, sondern sogar dichterisch geprägt
sind. Hugo von Hofmannsthal und Gerhart
Hauptmann, Wilhelm Schmidtbonn und Ernst
Hardt — hier stehen sie in einer Linie! Das
beweist nicht nur den Mangel an Schaffenskraft
unsrer gegenwärtigen dramatischen Dichtung,
sondern hat zugleich große Gefahren. Um so
größere, je ferner uns die Zeit der Sage gerückt
ist, oder je verborgener die Quellen des Gefühls-
lebens liegen, die einst ihren Strom speisten.
Man wende nicht Goethe und seine ,Iphigenie1 ein!
Der gewaltigen Schaffenskraft dieses Großen ist
es in der Tat gelungen, einem — wohlbemerkt
weniger bekannten und bedeutenden antiken
Drama das Antlitz ins Gebiet des Christentums
und der Humanität umzukehren. Aber wehe
dem minder Starken! Ihm ergiebt sich mit Sicher-
heit ein haltloses Zwitterding. Denn aus der
versunkenen Kultur heraus kann er nicht dichten
und würde auch nur ein archäologisches Werk
zustande bringen. Anderseits werden ihm die
alten Charaktere, die er heraufbeschworen hat,
und wird ihm die Sage zum Ballast, ja zum
Fallstrick. Sie haben denn auch Gerhart Haupt-
manns „Bogen des Odysseus“, der hierfür gerade-
zu ein typisches Beispiel ist, aufs allerschwerste
geschädigt.

Wie Gerhart Hauptmann zu diesem Stoffe gelangt
ist, und was ihn, den Dichter des Mitleids und der
Heimat, hierbei fesselte, darüber giebt sein „Griechischer
Frühling“, jenes Reisebuch von köstlicher Einfachheit
und Frische Aufschluß. Dort erzählt er, daß er eines
Tages vom Hotelfenster aus eine arme Bettlerin sah, die
aus einem Müllhaufen Reste hervorkramte und sie gierig
verschlang. Er dachte an Homer, der einer antiken
Fabel nach als blinder Bettler von Ort zu Ort gezogen


Alfred Lichtwark f 1
Phot. II. Dührkopp, Berlin.

sein soll; und wiederum ein Bettler voller Gebresten
legte ihm den Gedanken an den heimkehrenden Odys-
seus nahe, der sich in Hauptmanns Drama selbst als blind
hinstellt. Man . sieht schon hier, daß diese Ideenwelt
durch und durch echter Hauptmann ist, aber der apolli-
nischen Heiterkeit eines Homer aufs schärfste wider-
spricht. Wollte der Dichter der „Weber,“ dessen gering
ausgeprägtes Stilgefühl freilich die schwächste Seite
seines Talentes bildet, dies nicht erkennen, oder nahm
er herausfordernd den Kampf auf? Verblendung oder
Anmaßung —jedenfalls haben sie sich an ihm bitter ge-

rächt! Daß die Sagen und Gestalten der größten Dich-
tungen nicht dazu da sind, sich von experimentierenden
Dramatikern schänden, d. h. neu herrichten zu lassen,
sondern den frevelnden Eindringling in seine Grenzen
weisen, schreit uns aus fast jeder Zeile des „Bogens des
Odysseus“ entgegen.
Heidnisch-antik und sonnenhaft ist Homer, durchaus
christlich und in Leiden düster die Welt Hauptmanns.
Will man den Kern seines Dramas erfassen, so darf
man kaum an Homer denken. Nicht dessen meerum-
rauschtes Hellas breitet sich aus, nicht der schimmernde
Königspalast, in dem Odysseus schließlich, wie ein Gott
erstrahlend, im Kampfe der Klugheit und der Waffen
die Überzahl die Freier fällt — sondern der Hof und
das Gemach des Schweinehirten Eumaios bleiben der
enge Spielraum. Penelope tritt überhaupt nicht auf,
und sie wird nicht als die unwandelbar treue Gattin ge-
schildert, sondern als das schwankende, ja sinnlich
lüsterne Weibchen.
Was Hauptmann wollte, ist offenbar dies — die
äußeren Vorgänge Homers gänzlich verinnerlichen. Das
Heimatgefühl darstellen, das Wachsen des Schiffbrüchigen,
Heimgekehr.ten an der Brust der Heimat, und ihr Wachsen
durch ihn, zumal wenn er ein Großer ist. So fangen
die Quellen wieder an zu fließen, als Odysseus die
Mutter Heimat vertrauter fühlt, die Hirten und die Erde
atmen auf. Damit verband sich bei Hauptmann das
schon genannte echt christliche Motiv, fast könnte man
sagen ein Christusmotiv: inneres Königtum bei äußerer
Niedrigkeit, selbst Bettlertum. In der Tat hat Hauptmann
bei seinem Odysseus offenbar an Christus gedacht. So
wie Odysseus auf seine Umgebung, besonders Tele-
mach wirkt, indem er im Gespräch seine Seele anfaßt
und mächtig vor ihm wächst, bis dessen Sinne taumeln
und seine inneren Augen sich öffnen: „wer ist dieser
Fremdling?“ so mögen Propheten des alten Testaments
vor den Juden, mag Christus vor seinen Jüngern
über das menschliche Maß zur Größe des Ersehnten,
Verheißenen emporgestiegen > sein. Dem christlichen
Geiste und der Ideenwelt Hauptmanns entspricht auch
das Betonen des Wechsels alles Irdischen, das z. B.
schon sein „armer Heinrich“ so stark enthielt. Die
Szene zwischen Odysseus und Laertes gehört hierher —
zwei einstige Könige als Bettler; das gleiche gilt von
der Szene zwischen Laertes und Eurykleia, in die das
Motiv des Alters hineinklingt. Solche Höhepunkte des
Dramas sind von einem Leuchten umflossen, wie es nur
aus wahrer, ursprünglicher Dichtung bricht. Aber leider
bleiben sie Teilschönheiten, die das übrige Stück nicht
retten können, sondern die Verfehltheit des Ganzen
um so klarer hervortreten lassen.
Es ist peinlich, den Blick hierauf zu wenden. Wie
unglücklich sticht z. B. der Schluß gegen Homer ab,
ohne für Hauptmanns eigenstes Leitmotiv zu taugen!
Ein Christus, der seine Feinde mit dem Bogen erschösse?
Eher ein Höllenrichter, wofür auch die Szenerie
des Ganzen spricht — Dunkelheit und der
Rächer, hinter einem Flammenfaß, vom Feuer
umsprüht! Das Ritterliche des Kampfes fällt
bei Hauptmann bis auf den letzten Rest fort; die
sinnlos-trunkenen Freier werden wie Schweine
im engen Raum hingeschlachtet, wobei das
Motiv der Ermordung Geßlers aus Schillers Teil
bis zur Karikatur entstellt ist. Überhaupt merkt
man dem ganzen Stücke nur zu sehr an, wie
Hauptmann in der Ratlosigkeit, die sein Motiv
zur Folge hatte, nach fremden Krücken griff.
Die Anlehnung an Hardts „Tantris der Narr“,
der gleichfalls unerkannt, aber verhüllt sich offen-
barend, in der Heimat seiner Liebe weilt, ist
unabweisbar, und selbst Sudermanns „Bettler
von Syrakus“ geistert herein.
Doch nirgends macht sich die Unsicherheit
mehr geltend als in der Charakteristik, sonst
Hauptmanns eigenstem Gebiet, während hier
nur verschwommene oder nichtssagende Typen
aufkommen. Von Odysseus abgesehen, der
zwischen der Vieldeutigkeit eines Symbols und
der nervösen Schwachheit eines modernen
Menschen schwankt, hat nur Telemach, der sich
einen Augenblick lang über die Rückkehr des
Vaters ärgert, weil seiner soeben erwachten
Mannheit das Königtum geraubt wird, per-
sönlichere Züge, die aber auch mehr nur an-
gedeutet sind. Mit der Zeichnung der Freier, die
als schwer betrunkene Füchse auf der ersten
Kneipe, freilich mit Damenbedienung, erscheinen,
betritt Hauptmann an mehreren Stellen die
Grenze des Abstoßenden und Banalen, wiederum
ein Zeichen, wie sich Homers Manen an dem
völlig anders gearteten Dichter rächen.
So muß man wünschen, daß die Heimkehr
des Odysseus auch für Hauptmann ein Wende-
punkt und der Anlaß zur Einkehr in seine
Dichterheimat werde. Wie einst Ithaka, warten
auch wir, da seit seinem Irren in der Fremde
keiner erschienen ist, dem die Quellen so rein
und so ursprünglich flössen, wie einstmals ihm.
Dr. Oskar Anwand.


Gerhart Hauptmann: Der Bogen des Odysseus.
Odysseus: Hans Marr, Leukone: Hedwig Reicher.
Phot. Becker & Maaß, Berlin.

XXVIII. 12. B.
 
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