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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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16. Heft
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Kayssler, Friedrich: Gedanken über Shakespearedarstellung und ihre Wirkungen
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Bittrich, Max: Ostergang
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0466
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MODERNE KUNST.

in seine Schönheiten einzudringen. Welche segensvolle Rückwirkung könnte
von einem solchen Publikum auf die Schauspielkunst ausgehen, die, von einer
so geübteren Zuhörerschaft schneller in ihren feineren Wirkungen verstanden
und gestützt, nun anfangen könnte, das lastende Gebäu gröberer Theater-
wirkungen allmählich abzutragen und sich einer geistigeren Freiheit entgegen-
zuarbeiten. Aber — die Preise der ernsten Theater in einer großen Stadt sind
hoch und das geistigere Publikum ist nicht gerade das zahlungsfähigste. Ferner
ist da die. öffentliche Tagesmeinuug, die dafür sorgen würde, daß die Unter-
schiede. in. den Macbethvorstellungen der einzelnen Theater gebührend gegen-
einander ■ gehalten und gegeneinander ausgespielt werden; sie würde die Kon-
kurrenz in ihrer schlimmen Form, auch wenn die Theater selbst den besten
Willen hätten, sie zu meiden, den Wettlauf um die krasseste Augenblicks-
wirkung immer wieder entfachen. Und endlich würde das große Publikum, die
schon erwähnte unruhige sprunghafte Psyche von heute, , es langweilig finden,
dasselbe Stück auf mehr als einem Spielplan zu lesen und — fortbleiben.
Alles in allem: die Zeit belächelt solche Träume. Und doch, wären die Ideale

nicht, die Berge auf Berge türmen im Geiste, wann würde je in der Wirklichkeit
ein Stein auf den andern kommen können, der auch nur eine Spanne hoch ist?
Darum ist es nicht müßig, sondern gut und tüchtig, zu träumen.
Vielleicht kommt doch irgendwann einmal eine Zeit, wo es möglich sein wird,
künstlerische Grundsätze den geschäftlichen voranzustellen und in unserer Kunst
die ersten Grundsteine zu einer Kultur zu legen, die sich nicht als ein mit
äußerster Mühe und Kraft eben noch geretteter kümmerlicher Rest von Idealen
darstellt, sondern als ein vollzähliges starkes Geschlecht leibgewordener Ideale,
das mit Liebe, Plan und weiser Absicht gezeugt, gepflegt und erzogen wurde
zur Weiterzeugung und Unsterblichkeit. Wäre es nicht denkbar, daß man in der
Kunst endlich einmal erkennt, daß Wettstreit nicht gegenseitige Hemmung,
sondern gegenseitige Steigerung bedeuten soll, nicht Kampf und Not, sondern
Hilfe? Sollte die Forderung der Brüderlichkeit, die als sittliches Ideal längst
über allen Zweifel emporgestiegen ist, nicht in aller Kunst auch endlich zum
höchsten Gesetze erhöht werden? — Ohne Liebe nichts Gutes auf der Welt,
ohne Liebe auch keine Kultur der Kunst.


Martin Brandenburg: Die frohe Botschaft.

Ostergang.
Von Max Bittrich.

Wo der Fluß zum weiten Labyrinthe
Seine Äste wachsen läßt im Spreewald,
Nahm mich, als die Pfirsichbäume blühten,
Vater an die Hand und führte schweigend
Seinen Jungen zu der klaren Quelle.
Schweigend mußte ich die Augen netzen.
Schweigend aus dem vollen Becher trinken.
Schweigend unter Ostermond und Sternen
Heimwärts in die ferne Hütte wandern.
Nur der stummen Demut, sagte Vater,
Fällt gleich Himmelstau des Wassers Segen

Auf die Augen, daß sie Wunder schauen, —
ln die Seele, daß sie aller Welten
Ewigem Geheimnis näherrückt.
Doch von See und Quelle, Wald und Vater,
Stießen mich die Jahre in die Ferne,
Und die Seele wollte klüger werden:
Ach, die Quelle war gleich ihren Schwestern,
Und ein Märchenfreund mein alter Vater!
Wieder gingen Jahre, und die Seele
Kehrte reuig heim zu Wald und Quelle:

Hattest recht, mein Vater: alle tiefen
Quellen Gottes wollen uns ergeben
Stumm in heiligen Nächten bei sich sehen;
Wollen, daß wir schweigend daraus schöpfen.
Schweigend unsre trüben Augen netzen,
Auch den vollen Becher unsrer Seele
Stumm zur Labe bieten, daß sie lichte
Höhenwege finde zur Erkenntnis.
Wenn die Pfirsichbäume blühen, Vater,
Nimm noch einmal meine Hand und führe
Schweigend deinen Sohn zur heiligen Quelle!
 
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