Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

DOI issue:
18. Heft
DOI article:
Buss, Georg: Berliner Architektur und Kunstgewerbe
DOI article:
Heilborn, Adolf: Frühling in der Mark
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0531
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
MODERNE KUNST.

229

Großhandel, die Banken, die Konfektion und die Vertreter der Kunstindustrie
ihre Sitze haben, noch Raum für Geschäftshäuser in erheblichem Maße vor-
handen, aber im alten Westen, wo die Wohnbauten den hochgespannten An-
sprüchen modernen Komforts nicht mehr so ganz entsprechen, ist der Grund
und Boden billiger, daher hier die Spekulation nach Kräften mit Laden- und
Kontorbauten eingesetzt hat. Schon sind die prächtigen Uferstraßen des Land-
wehrkanals halb und halb dem Handel und der Industrie geopfert worden, schon
hat sich das vornehme Gepräge der Bellevue- und Lennestraße völlig verändert,
schon droht dem prächtigen Baumschmuck der Bellevuestraße die Axt und schon
strecken sich die spekulativen Hände nach dem Gartenrevier des schönen Tier-
gartenviertels aus — eine Perspektive beklagenswertester Art. Und nichts ge-
schieht, um dieser drohenden Wandlung Einhalt zu tun.
Die älteren Berliner Wohnbauten, besonders die im sogenannten Geheimrats-
viertel, haben, wie sehr sie auch gegen den raffinierten Komfort der Neubauten
auf Charlottenburger, Wilmersdorfer und Schöneberger Terrain zurückstehen,
immerhin den Vorzug der großen Zimmer. Mit Recht ließ sich schon vor Jahr-
zehnten behaupten, daß die Mietwohnungen Berlins gegenüber den aus kleinen
Räumen, wahrenBoudoirs, bestehenden der Weltstadt Paris entschieden vorzuziehen
seien. Und nun schifft der sparsame Berliner Bauunternehmer kaltblütig ins Pariser
Fahrwasser. Schönes Behagen, wenn der Raum so beengt ist, daß der bewe-
gungsfreudige Bewohner keine fünf Schritte ungehindert unternehmen kann und
auch nicht imstande ist, seine großen Möbelstücke älterer Herkunft unterzu-
bringen. Boden- und Wandfläche sind dem angeblichen Behagen geopfert. Wie
ist ein behagliches Wohnen möglich, wenn durch Decken und dünne Zwischen-
wände Tritte, Stimmen, Klavierspiel und sonstige Geräusche der Mitbewohner
des Hauses zu hören sind? Wie, wenn jeder sich sagen muß, daß seine im
Familienkreise gesprochenen Worte von unberufenen Ohren gehört werden? Wir
sind doch keine Japaner, die für dünne Schiebewände schwärmen.
Wo der Raum fehlt, geht das Kunstgewerbe leer aus. Schon seit Jahren
hat es infolge der schnell wechselnden Geschmacksströmungen schwer zu kämpfen.
Eine Kravätte mag einer neuen Mode schnell anzupassen sein, nicht so das
Mobiliar, die Gegenstände der Keramik, der Metallindustrie, der Tapeten- und
Textilindustrie und vieler andrer kunstgewerblicher Zweige. Neue Muster,
Modelle, Maschinen und Materialien müssen eingestellt, Arbeitskräfte neu ein-
geschult, Kataloge neu angefertigt, die alten Lager zu billigen Preisen schleunigst
geräumt werden, denn absoluter Herrscher ist der neue Geschmack geworden.
Millionen sind durch dieses Schnelltempo des Geschmackswechsels dem Kunst-
gewerbe verloren gegangen. Als der im Renaissance- und Barockgeschmack
arbeitenden Cuivre-poli-Industrie der Todesstoß versetzt wurde, haben manche
Fabrikanten durch Entwertung ihrer Modelle hundert- bis hundertzwanzigtausend

Mark verloren. Ähnliche Verluste erlitt die Rahmenfabrikation, als an Stelle
der gekehlten Rahmen die glatten des Zopfes für modern erklärt wurden. Ge-
schweige der Verluste, welche die Möbelindustrie erlitten hat. Und nun die
neuen Verluste durch Verkleinerung der Wohnräume. Sogar die Maler, Graphiker
und Bildhauer werden geschädigt, denn wer vermag noch große Bilder an die
Wände zu hängen oder große Plastiken aufzustellen. „Das Gemälde würde ich
mit Vergnügen kaufen“, sagt der Liebhaber, „wäre es für meine Räume nicht
zu groß!“ Und so kauft er ein kleineres Bild oder ein Bildchen. Man gibt ihm
ein schmales Rähmchen in Gestalt von vier farbigen Leisten. Mag auch schon
längst erwiesen sein, daß breite, gekehlte Rahmen, seien es vergoldete oder
solche von schwarzem oder braunem Holz, das Bild vortrefflich von der Wand
isolieren, auch seine perspektivische Wirkung fördern und ihr Gold die Ruhe
und Unveränderlichkeit der Pigmentfarben nicht stört — daher man auch sagt,
daß Gold sich mit allen Farben verbinde — so werden doch die schmalen
Holzleisten aus Respekt vor der Mode vorgezogen. Das Mobiliar ist zusammen-
geschrumpft, die Kastenmöbel sind in der Tat zu wirklichen Kasten, die Sophas
zu schmalen Bänken und die Tische zu Tischlein geworden.
Tief greift die Wandlung in alle Verhältnisse ein. Das liebe Publikum ist
der mitleidende Teil. Die oberen Zehntausend, denen irgendein vielgepriesener
Raumkünstler das Interieur zusammenstellt, mögen allerdings von den Schäden
wenig merken, um so mehr empfindet sie der Mittelstand, der nicht in der
Lage ist, der hastenden, ruhelosen Mode zu folgen und mit dem Mobiliar und
der Dekoration seiner Räume alle fünf oder zehn Jahre zu wechseln. Ihm sind
die Möbel ein schwer errungener Besitz, ein erspartes Kapital, dem mancher
Schweißtropfen geopfert wurde. Und dieses Kapital wird im Handumdrehen
durch eine neue Modeströmung entwertet, weil die Möbel für altfränkisch erklärt
werden. Das sind Verhältnisse, die dem nationalen Vermögen tiefe Wunden
schlagen und zudem ein schwer zu besänftigendes Mißbehagen gerade in den
Kreisen erzeugen, die mit ganzem Herzen an ihrem Heim hängen und in ihm
nach des Tages Last und Mühen Erhebung und Erholung suchen. Ihnen ist
ein Möbel, das, tüchtigem handwerklichen Können entsprungen, dauerhaft und
bequem sich gibt, zehnmal lieber als ein solches, in dem „neue“ künstlerische
Aspirationen einen Niederschlag schäbiger Art gefunden haben. „Wo Mode
vorherrscht“, sagt Schinkel treffend, „ist es immer ein Zeichen von Mangel an
Freiheitsbildung, ist es immer ein Verderben der Nationen, ein Mittel zu leerem
Luxus.“ Nun, der solide Mittelstand will von leerem Luxus nichts wissen — das
wirkliche Sein geht ihm über den hohlen Schein. Das mögen alle diejenigen
beherzigen, die das Modekarussell unentwegt drehen helfen, ohne dabei wirklich
modern zu sein. Modernes Schaffen heißt den vernünftigen und berechtigten
Forderungen der Zeitgenossen mit feinem künstlerischen Takt entgegenzukommen.



ppühling in
Von Dr. Adolf

dep (Pqp^.

fielleicht ist der riihling in der Mark gerade deshalb so schön,
weil sie so arm ist an manchen Schätzen, die sich anderswo im
deutschen Vaterlande oft in verschwenderischer Fülle über die
Erde ergossen haben. Vielleicht ist diese Schönheit gerade deshalb so
rührend, weil sie dem schlichten Staat eines armen Landmädels gleicht,
der mit dem üppigen Prunk der geputzten Städterin nicht zu wetteifern
vermag. Vielleicht aber bedarf es, um solche Schönheit zu empfinden,
wirklich auch, wie Fontane einmal meint, einer feineren Art von Natur-
und Landschaftssinns. „Es gibt gröbliche Augen, die gleich einen
Gletscher oder Meeressturm verlangen, um befriedigt zu sein." Zu
solchen Augen wird die stille Schönheit der Mark nie sprechen; sie werden
all das Zarte und Rührende gar nicht sehen, sie werden das Spröde solcher
Anmut als dürftige Armut werten. Vielleicht also bedarf es wirklich eines
feineren Natur- und Landschaftsempfindens, um sich von den sanften
Reizen des märkischen Frühlings entzücken zu lassen? Als Fontane, aus
Frankreich heimgekehrt, zum ersten Male wieder den Frühling an der
Havel sah, da begeisterte ihn diese karge Schönheit zu überströmenden
Dankesversen an die Heimat, Versen, darin er auch mit wenigen Strichen
1 ein lebendiges, gleichsam impressionistisches Bild vom märkischen Früh-
ling zeichnete. „Wo Sumpf und Lache jüngst gebrodelt", heißt es da, „ist
alles in Teppich umgemodelt, ein Riesenteppich, blumengeziert, viele Meilen
im Geviert. Tausendschönchen, gelbe Ranunkel, Zittergräser, hell und dunkel, und mitten-
inne (wie das lacht!) des roten Ampfers leuchtende Pracht. Ziehbrunnen über die Wiese
zerstreut, Trog um Trog zu trinken beut, und zwischen den Trögen und den Halmen,
unter nährendem Kauen und Zermalmen, die stille Herde ... das Glöcklein klingt, ein
Luftzug das Läuten herüberbringt. Und an diesesTeppichs blühendem Saum all die lachen-
den Dörfer, ich zähle sie kaum.“ Gewiß bescheidene Schönheiten nur, weder Gletscher
noch Meeressturm, und dennoch Schönheiten, die einen Dichter zu Versen berauschten.



Heilborn. [Machdruck verboten.]
Durch weite Wiesen läuft die Landstraße, Rüstern geben ihr das Geleit,
und wo ein Bächlein durch das Grün sich windet, da stapfen gekröpfte
Weiden nebenher, wie verhutzelte Zwerge mit riesigen Köpfen voll
Wuschelhaar. Grüne Flächen, so weit das Auge reicht, mit bunten
Blumen bestickt, weiß und gelb, ein wenig Blau dazwischen und das
erste, frische Rot des Sauerampfers. Zur Linken auf niederem Hügel ein
Wäldchen, Laub und Kiefern durcheinander, und vorauf, wie ein stahl-
blaues Band um die Wiesen geschlungen, ein Flußlauf. Geruhig gleitet
darüber ein Lastkahn mit behäbig gebauschtem Vierecksegel. Drüben
stelzt gravitätisch auf hohen Knickebeinen ein Storch, wirft plötzlich den
Schnabel vor, duckt den Hals zurück und ein zappelnder Frosch ver-
schwindet im Schlunde. Die Flügel ferner Windmühlen ziehen ihre
dunklen Kreise am blauen Horizont. Da ein Kirchturm und dort einer,
rote Ziegeldächer darum, aus grünen Bäumen schauend. Nun eine Herde
schwarzbunter Rinder, so still ist’s, daß man das Malmen ihrer Zähne
hört. Eine Gruppe Birken mit rieselndem Hängelaub, inmitten zu hohem
Bogentor gewölbt. Ein Bauernwagen rollt vorüber, die blankgeputzten,
leeren Milchkannen hüpfen und klappern zum Takt der Räder. Auf
dem Acker vor dem Dorfe legen sie Kartoffeln. In Hemdsärmeln, die
Mütze in den Nacken geschoben, schlägt der Bauer die Hacke ins Erd-
reich. Drüben zieht ein Pflug die letzten Furchen. Die Pferde dampfen,
es macht ihnen warm, und der Pflüger knallt: hü-ho! Eine Krähe fliegt langsam
durch das Himmelsblau und ist nur noch wie ein schwarzer Punkt. Das erste Haus
im Dorfe ist die Schule Auf dem Hofe davor spielen die Kinder und singen: „Wollt
Ihr wissen, wie der Bauer . . . ." Der junge Lehrer, den Kneifer auf der Nase und
in bequemer, grüner Joppe, klatscht mit den Händen dazu. Und nun hebt langsam
die große, alte Kirchturmglocke zu summen und zu klingen an, es läutet zu Mittag.
Die Pantinen klappern holterdipolter ins Haus, und mit hochroten Backen strömen die

,1,

XXVIII. Fr.-No. 58.
 
Annotationen