Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

DOI issue:
19. Heft
DOI article:
Rittland, Klaus: Die Ehen des Herrn von Brenkhusen, [13]
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0582
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
246

MOD E R N E K U N S T.

Und als er später, ein Jüngling
mit erwachendem kunstgeschichtlichen
Interesse, das Lebens werk Schnaases
kennen lernte und aus ihm sein Ver-
ständnis für die keusche, blühende
Sprache der Gotik schöpfte, da war
es oft wie ein Schmerz über ihn ge-
kommen, daß der Mann nicht mehr
unter den Lebenden war, der ihm ein
Führer hätte sein können wie kein
anderer.
Nun aber entdeckte er — dem
Finder eines vergrabenen Schatzes
gleich —, welche Geisteswerte in die-
sen Bänden aufgespeichert lagen,
Geisteswerte, so ganz für ihn geltend,
so homogen seiner eignen Gedanken-
welt. Diese geschichtsphilosophische
Auffassung der Kunst, die kein Werk
der Architektur oder Plastik für sich
allein, als Einzelnes, Zufälliges be-
trachtet, die in jedem die feinsten
Zusammenhänge, den Ursprung aus
der Seele des Zeitalters erkennt, was
gab sie für Perspektiven, was für
Wegweiser bot sie dem forschenden
Geiste! Die Kunst als feinste Blüte
einer Kulturepoche, als Extrakt des
Geisteslebens — wie bedeutsam er-
schien da jeder Wandel, jede Umbil-
dung der Formen! — —
„Ja, willst du denn auf deine
alten Tage noch Baumeister studie-
ren?“ fragte Fanny lachend, als sie einmal zu ihm trat und ihn über
Grundrisse und Zeichnungen mittelalterlicher Kirchen gebeugt fand. „So
trocknes Zeug, wie könnt’ ich bloß da meine Zeit dran verschwenden?“
„Viele Dinge erscheinen trocken, wenn man sie von ferne betrachtet,“
erwiderte er lächelnd, „wenn man ihnen aber erst näher auf den Leib
rückt und sich liebevoll in ihr Wesen versenkt, werden sie immer merk-
würdiger, immer lebendiger.“
„Fenstermaaswerk der Lambertikirche zu Münster“, las sie über seine
Schulter weg und schnitt ein Gesicht, „brr, für mich würde das immer
toter Kram bleiben. Der Müller-Geffky meint auch: Was so die Kunst-
gelehrten schreiben, ist alles Unsinn. Entweder einer kann was, dann
soll er was Schönes machen. Oder einer kann nichts, dann soll er den
Mund halten. Bücher über Kunst rührt der Müller-Geffky nicht an.“
„Er hat recht, sie nicht anzurühren,“ sagte Brenkhusen ruhig.
Fanny fuhr auf: „Na, so überlegen brauchst du auch nicht zu tun.
Der Müller-Geffky hat schon wieder drei neue Aufträge. Wenn das so
fortgeht, verdient er mehr im Jahr als dein Oberpräsident.“
Er schaute ihr mit müdem Lächeln nach, wie sie in stolzer Haltung
— stolz auf ihren Freund! — das Zimmer verließ.
Der Standpunkt der großen Masse. Geldverdienen — der Maßstab für
den Wert einer Leistung. Geldverdienen — der Zweck, für den man arbeitet.
Eine Geistestätigkeit, der man sich hingibt, nur, um sich innerlich zu
bereichern, um vertiefte Erkenntnis zu gewinnen, die wird von den prak-
tischen Leuten belächelt.
Und Fanny war praktisch. Curt hatte jetzt häufig das Gefühl, daß
sie ihn als alten grämlichen Pedanten ansah, der nicht mehr ganz für
voll mitrechnete. Manchmal aber brach auch etwas anderes aus ihr her-
vor — häufig ganz unvermittelt, unbegründet, etwas Feindseliges, Ge-
hässiges — meistens glitt es an ihm ab, ohne eigentlich bis in sein Be-
wußtsein vorzudringen. Er dachte so wenig nach über seine Frau.
Doch eben jetzt war es noch ein neues, das ihm auffiel: der Aus-
druck ihres Gesichts, als sie von Müller-Geffky sprach — heimlicher
Trotz hatte darin gelegen, als ob sie sich gegen irgendeinen Angriff ver-
teidigen müßte — —

Er wußte, daß sie jetzt wieder viel
mit dem jungen Künstler zusammen-
kam, im Kollmannschen Hause, wo
neuerdings die Bridgeleidenschaft gras-
sierte; wöchentlich mehreremal blieb
Fanny den Abend aus, weil sie zur
bridge - party erwartet wurde, und
Müller-Geffky begleitete sie dann regel-
mäßig nach Hause. Ob sie auch sonst
noch mit dem jungen Bildhauer zu-
sammentraf? Curt hatte sich nie Ge-
danken darüber gemacht. In das Brenk-
husensche Heim kam Müller-Geffky
beinahe nie, und also wurde der Haus-
herr nicht häufig an ihn erinnert.
Heute zum ersten Male stieg eine
peinliche Vorstellung in ihm auf.
Gleich darauf wies er sie ent-
schieden zurück. Das nicht. Ganz un-
denkbar. Seine Liebe zu Fanny war
dahin. Eine Fremde war sie ihm ge-
worden — jemand, den er eher mied
als suchte. Und dennoch — fast schien
es ihm selber verwunderlich: er traute
seiner Frau
Bald gelang es ihm, sein Gleich-
gewicht zurückzugewinnen.
Er nahm die Mappe vor, die ihm
heute sein Kunsthändler zugeschickt
hatte: Baudenkmäler aus dem drei-
zehnten Jahrhundert, und vertiefte sich
in die Entwicklung des Strebebogens
und des Strebepfeilersystems. Immer
von neuem erschien ihm diese Kunst als ein Wunder: wie in einer Zeit,
da die Technik nooh in den Kinderschuhen steckte, das Menschenhirn
diesen Traum erdentfliehenden Aufsteigens verwirklicht hatte, wie kühn
und listig es den Geist der Schwere bezwungen — —
Für Stunden war Fanny aus seinem Gedächtnis ausgestrichen.
Erst am Teetische fiel ihm auf, daß sie fehlte. „Gnädige Frau ist
zu Frau Regierungsrat Kollmann gegangen“, meldete das Stubenmädchen.
Nach Mitternacht erst kehrte sie heim.
„Hat Müller-Geffky dich wieder nach Hause begleitet?“ fragte Curt.
Sie lachte. „Das hätte er doch nicht gut fertig bringen können.
Weißt du nicht, daß er seit acht Tagen in Westfalen auf einem Gut ist,
uni die Büste eines alten Freiherrn von Droste zu machen?“
„So, das wußte ich nicht.“
„Übrigens — wenn es dir unangenehm ist, braucht er mich ja auch
nicht jedesmal heimzubringen,“ sagte sie, in gefügigerem Tone, als es
sonst ihre Art war., und sah ihn dabei Scharf von der Seite an, als ob
sie etwas aus seinen Zügen herauslesen wollte.
Er zuckte die Achseln. „Weshalb sollte es mir unangenehm sein?“
Sie atmete erleichtert auf. „Natürlich. Weshalb? Du bist ja über
kleinliche Eifersucht erhaben.“ Es klang nicht wie ein Lob.
XVI.
Dämmerstunde im blauen Empiresalon. Noch zögerte Annelise, die
Lampen anzünden zu lassen.
Es war zu traulich in dem stillen Zimmer, dessen Farbentöne so
sanft und innig zusammenklangen unter den beschwichtigenden Schatten
des Abends.
Brenkhusen saß tief in den Klubsessel zurückgelehnt, der sich hier-
her unter die steiferen Empirestühle verirrt hatte, weil Annelise wußte,
daß ihr Freund bequeme Möbel liebte, und hatte schon die zweite Zigarre
angezündet. Früher hatte er hier nie geraucht. Aber jetzt wich er dem
sanften Zwange. Annelise kannte seine Schwäche. Er fragte nur jedes-
mal von neuem, ob der Rauch den Philodendronbäumen auch wirklich
nicht schadete. Dann paffte er fröhlich drauflos. Er war jetzt fast


Henrik Glicenste in: Dämmerung. Aus dem „Künstlerhaus'1, Berlin.
 
Annotationen