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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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19. Heft
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Rittland, Klaus: Die Ehen des Herrn von Brenkhusen, [13]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0583
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MODERNE KUNST.

247

immer allein bei der Freundin. Sie hatte für die andern Menschen zwei
Empfangsnachmittage in der Woche eingerichtet; für Brenkhüsen blieben
die übrigen Tage. Die Trauer gab ihr den Vorwand. „Ich weiß, daß Sie
in Ihrer jetzigen Stimmung nicht gern mit Menschen Zusammentreffen,“
hatte sie ihm gesagt. Er dankte ihr die Rücksicht. Stillschweigend aber
nahmen sich beide vor, daß es auch später so bleiben sollte. Sie
schlossen sich immer enger aneinander, ohne daß eigentlich je ein Wort
von den zarten Gefühlen gesprochen wurde, die man gemeinhin als
„Seelenlreundschalt“ bespöttelt
Ihr Verhältnis war mehr als das, es war ein Miteinanderleben.
Wenn Brenkhüsen die Freundin eine halbe Woche nicht gesehen
hatte, kam es ihm vor, als ob er Wichtiges versäumt, als ob er sehr
notwendige, unaufschiebbare Dinge mit ihr zu besprechen hätte. Und es
waren doch nur die gewöhnlichen kleinen Ereignisse im Beruf und täg-
lichen Leben — vor allem aber der gemeinsame geistige Interessenkreis.
Wie früher so oft schon, geschah es auch in dieser Zeit wieder:
Jeder kam von verschiedenem Ausgange her auf denselben Weg zu-
geschritten. Annelise hatte vom Weihnachtsbesuch auf Löhsum aus ihrer
Schatzkammer, der alten, reichhaltigen Bibliothek, diesmal keine Hauck-
schen Familienaufzeichnungen mitgebracht, sondern eine scta*ne ältere
Ausgabe von Ulrich von Lichtensteins „Frauendienst“, und in dem Buche
neben vielem Absurden und Ungenießbaren manche Perle schönen, echten
Empfindens gefunden. Diese Entdeckung hatte ihre Aufmerksamkeit auch
auf andere Dichter dieser Jugendzeit deutscher Poesie gelenkt. Sie be-
geisterte sich für Walther von der Vogelweide, für Neithart von Rauen-
thals anmutige Tanzlieder, und wagte sich selbst an schwer entzifferbare
mittelhochdeutsche Urtexte heran.
So, durch die Dichtung vorbereitet, brachte sie dem neuerwachten
Interesse des Freundes für mittelalterliche Kunst lebhaftes Interesse ent-
gegen.
Er fand' den Widerhall, den er suchte.
Annelise fragte so wenig wie er: „Hat es einen Zweck? Wozu die
Mühe?“
Sie kannte das Glück der Hingabe an einen Gegenstand, nur um
des Gegenstandes willen; ihre Sehnsucht verlangte nach geistigem Besitz,
ihr Auge suchte den weiten Horizont. Heute hatte der Freund ihr ein
Spezialwerk über die Kathedrale zu Rheims mitgebracht, in dem sie
einiges lesen sollte.
Sie versenkten sich jetzt so
Unsere Reise nach
Südfrankreich.
Brenkhüsen war
von Sehnsucht er-
füllt, jene Wunder-
werke der Früh-
gotik zu schauen,
wie nur das nörd-
liche Frankreich sie
in reinster Voll-
endung bietet: die
edlen Kathedralen
von Amiens, Rouen,
Rheims und Char-
tres. Seine Sehn-
sucht hatte sich der
Freundin mitgeteilt.
Rheims vor allem
lockte sie, die Krö-
nungsstadt derfran-
zösischen Könige!
Dieser Name hatte
Zauberklang für sie.
Und von dem ge-
liebten Mann in die
Kunst sich einfüh-
ren zu lassen, die
ihm so vertraut ge-

worden war ,— es mußte ein Glück ohnegleichen sein. Ein Zusammen-
leben mußte das werden, so traulich und harmonisch, voll auserlesener,
stiller, feiner Genüsse — aller höchste Lebensreiz stellte sich ihrer
Phantasie dar, eingeschlossen in dieses kurze — vielleicht erreichbare —
Glück: Unsere Reise nach Südfrankreich. Der Arzt hatte ihr für den
Sommer die See verordnet. Sie wollte an die belgische Küste gehen
und von dort aus irgendwo mit Brenkhüsen Zusammentreffen. Freier als
ehedem fühlte sie sich jetzt, da ihr Mann in diesem letzten Jahre völlig
stumpf geworden war. Ganz selten nur trat noch ein Strahl der Freude
auf sein Gesicht, wenn sie ihm nahte. Und als er während ihres Auf-
enthalts in Löhsum unter der Obhut einer Krankenschwester geblieben
war, die Annelise jetzt häufig in der Pflege unterstützte, hatte er nicht
ein einziges Mal nach seiner Frau gefragt. Er führte jetzt nur noch ein
animalisches Leben.
Wohl, streifte der Gedanke manchmal durch Annelises sehnende
Phantasie, daß die Erfüllung ihres Sommertraums auch Gefahren bringen
könnte, aber sie ließ sich nicht durch diesen inneren Warner beirren.
Wir haben uns beide in der Gewalt, so wies sie ihn zurück.
Und manchmal — ja, da kamen wohl auch Stimmungen, die ihr
diese Gefahren als den allerstärksten, allersüßesten Reiz erscheinen
ließen, als die feinste Essenz des flüchtigen Sommerglücks, das sie
ersehnt.
Nie wurde bei diesem Luftschlösserbau Brenkhusens Frau erwähnt.
Früher hatte er Annelise einmal erzählt, daß Fanny sich schon auf einen
langen Sommeraufenthalt in Würzburg freute. Er hatte damals von
einer gemeinsamen Reise gesprochen, aber sie wollte nichts davon
wissen: „Wozu das viele Geld dafür ausgeben? Ich liätt’ ja doch nichts
davon. Entweder du vergräbst dich in irgendeinen öden Winkel und
kraxelst auf die Berge oder du stöberst in irgendeiner Stadt nach alten
Bauwerken ’rurn — da hab' ich mehr von meiner Sommerfrische, wenn
ich mich mal in Würzburg mit meinen alten Bekannten gründlich aus-
sprechen kann.“
Seitdem nahm Annelise an, daß Fanny keine Ansprüche an ihren
Mann erheben, kein Hindernis für die Sommerpläne bilden würde. Und
sie vermieden beide, diesen Punkt zu erwähnen. Brenkhüsen sprach
auch sonst fast nie mehr über seine Frau, über seine Ehe. Es war, als
ob er geflissentlich diese Seite seines Daseins ausschalten wollte, wenn
er sich dem Verkehr mit der Freundin hingab.
Manchmal aber geschah es doch, daß in Annelises Seele Zweifel
aufstiegen, ob sie
wirklich ein Recht
hatte, den Freund
so fest und innig,
ohne Rücksicht und
Scheu, wieder an
sich zu ziehen, ob
er wirklich so los-
gelöst, so innerlich
frei von dieser jun-
gen, schönen Frau
war, die er doch
einst in heißer Lei-
denschaft begehrt
hatte.
Längst war ihr
Streben eingeschla-
fen, in dieser Ehe
den guten Engel, die
vermittelnde Freun-
din zu spielen, die
neidlos das Glück
mit ansieht und Rat
und Hilfe spendet,
wenn Freundesrat
nottut — sie fühlte,
daß diese Ehe
längst zerbrochen


Henrik Glicenstein: Die Sphinx. Aus dem „lCiiustlerhaus“, Berlin.
 
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