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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

DOI Heft:
22. Heft
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Dorret, M.: Ich lasse dich nicht, [1]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0662
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MODERNE KUNST.


gelegt war, nicht flüssig gemacht werden konnte oder wollte. Die ganze Sache
all der Unbequemlichkeit nicht lohnte? ....
Eilige Füße kamen den langen, hallenden Korridor entlang. Die Tür
ging auf. Er setzte sich mit einem Ruck in Positur. Gab seinen Augen das
Leuchten, das ihm so leicht keiner nachmachte. Spielte die entzückend
chike kleine Rolle, die er beim letzten Familienabend in einem Liebhaber-
theatcr gemimt.
Ganz langsam ging Margret Kerstens auf ihn zu. Die Augen halb ge-
schlossen, blaß, zwei scharf abgezirkelte brennend rote Flecken auf den etwas
vorstehenden Backenknochen. Um den breiten Mund ein versonnenes
Lächeln ....
Gräßlich. Dann ging er ihr entgegen. Über ihre Schulter weg sah er
die Gesichter cler Eltern. Der Vater legte seinen Arm um das Mädchen:
„Margret, er will dich sehr glücklich machen.“ Sie rührte sich nicht. Da
schob sie der General an beiden Schultern sanft vorwärts:
„Sag ihr’s selbst. Junge, ihrem alten Vater glaubt sie mit einem Male
wohl nimmer."
Mit einer plötzlichen Bewegung bückte sich das Mädchen und preßte
ihren Mund auf die frauenhaft feine Hand des Vaters. Dann, mit einem
kurzen Ruf, der halb ein Lachen, halb ein trockenes Auf schluchzen war,
warf sie sich Tennow entgegen.
Ihre Exzellenz nahm das Lorgnon hoch. Sie war einesteils wirklich
kurzsichtig, handhabte es aber andererseits in allen Situationen, denen sie
nicht gewachsen war. Mithin geschah dies sehr oft. Sie hatte eben jetzt die

unklare Empfindung, daß etwas vor sich gehe, was den „Traditionen einer
Offiziersfamilie" nicht entsprach. Was diese „Traditionen“ eigentlich von
ihr verlangten, wußte sie nicht. Aber der Ausdruck war hübsch, klang nach
etwas.
Also wie gesagt, daß hier irgend etwas anders sein müßte, zunächst sie,
die Mutter, in den Vordergrund gehörte, empfand sie unklar. Sie sagte darum
laut und mahnend: „Aber bitte, Margret, nicht so stürmisch.“
Ihr Mann legte seine Hand auf ihren Arm. Seine Züge, die denen der
Tochter so sehr glichen, hatten dabei den gequälten Ausdruck, den sie immer
trugen, wenn die Unsicherheit seiner Frau sich in irgendeiner Taktlosigkeit
entlud. Er sagte leise und sehr sanft:
„Komm, Annie, wir wollen ihr Zeit lassen, sich zurechtzufinden."
Sie sah ihn unsicher an, rückte ein wenig aufgeregt an dem schief
gerutschten Toupet und folgte ihm.
Drinnen hielt der Oberleutnant l'ennow noch immer das Mädchen in
den Armen. Er wußte einfach nicht, was er sonst mit ihr hätte anfangen
sollen.
Die ganze Situation war ihm sehr unbehaglich, so hatte er sich die
Geschichte nicht gedacht. Was war denn in das Mädel gefahren. Es stimmte
da irgend was in seiner wohlüberlegten Rechnung nicht. Darin war ein ver-
nünftiges, wohlerzogenes Exzellenzengör, das auf den winterlichen Festen
und beim sommerlichen Sport dieselbe kühl-freundliche gelassene Art gehabt
hatte, mit ihm wie mit allen andern. Das nur manchmal, in den seltenen
unbeherrschten Augenblicken, durch ein rasches Aufleuchten ihrer Augen,
 
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