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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

DOI issue:
22. Heft
DOI article:
Dorret, M.: Ich lasse dich nicht, [1]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0663

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MODERNE KUNST.

275

eine weiche, verschleierte Tonfärbung bei ganz gleichgültigen Worten sich
verriet. Alles ängstlich verborgen unter der ganz altmodisch scheuen zurück-
haltenden Mädchenhaftigkeit, die Margret Kerstens eignete. Nur einem, in
Damenumgang so absolut sicher gewordenen Beobachter wie ihm, Harry
Tennow, bemerkbar.
Wenn sie tatsächlich so getäuscht hätte ? Wo blieben da all die netten
Pläne von einer höflich-bequemen Ehe, wenn das Mädel mit einem Male so
toll lebendig wurde ? . . . .
Sie hielt ganz still unter der flüchtigen Berührung seiner Hände, die er
anstandshalber noch immer um ihre leise zuckenden Schultern gelegt. Dann
hob sie den Kopf:
„Küsse mich. Ich möchte wissen, daß du mir gehörst."
In ihren ausdrucksvollen Augen, die das klare Blau von Kinderaugen
hatten, war ein stilles Freuen. Sie sah ihn an mit demselben tiefernsten
Blick, wie vorhin ihr Vater.
Aber er dachte nur, halb mitleidig, halb empört: Dir gehören
Wenn du wüßtest.
Und während er sich sagte: Du kannst sie gar nicht küssen, das kann
sie einfach nicht von dir verlangen, — tat er es halb mechanisch, auf die
weiße Stirn mit dem Geriesel blauer Äderchen an den Schläfen. Er sah dabei
auf ihr Haar und dachte, wie unkleidsam das glatt aufwärts gestrichene,
weißblonde, sich über der an sich etwas zu hohen Stirn türmte. Und wie
fabelhaft wenig Geschmack es bekunde, rechts und links von diesem Wall
es so straff und reizlos zurückzuziehen, daß es aussah, als sei alles zu diesem
einen unschönen Turm verwendet.

Ob sich so etwas in der Ehe ändern ließ ? Er bezweifelte es. Seiner
Ansicht nach war es den lieben schönen Frauen angeboren, lieb und 'schön
zu sein, immer, in jeder Situation .... weg damit ....
In der quälenden Erinnerung hatte er das Mädchen wohl an sich gepreßt.
Nun ließ er sie rasch los. Sie taumelte förmlich, aber sie sagte ganz gelassen:
„Wir wollen zum Vater gehen bitte, er — ich meine die Eltern warten
auf uns."
Er lachte plötzlich auf. Irgendwie mußte die Erregung des Augen-
blicks sich Luft machen. Aber dann war er sofort wieder ganz der Sichere,
Liebenswürdige. Und indem er ihr die Tür öffnete, sagte er mit einem noch-
maligen leichten, ganz natürlichen Lachen in ihre fragenden Augen hinein:
„Ich freue mich, kleine Margret, wie rasch alles Wirklichkeit wurde, wovon
ich geträumt habe.“
Durch die weiten Räume des alten, nüchternen Dienstgebäudes gingen
sie beinahe stumm. Nun gab sie sich wieder in ihrer zurückhaltenden, feinen
Mädchenart.
Aber jedesmal, wenn sie sich zu ihm wandte, ging es wie ein zitterndes,
ungläubiges Staunen über sie hin. Und all die heißen Nächte fielen ihr ein,
in denen ihr scheues, stolzes Jungmädchentum mit dem wilden, wehen Lieben
gerungen.
Das Ende der Not, die Erlösung, waren so unwirklich. So, als müsse
einem alles unter den Händen zerrinnen, sobald man danach griffe. Sie
machte eine rasche Bewegung, als wolle sie sich näher an ihn drängen, so,
als müsse sie fühlen, daß der schöne Mensch da neben ihr nun wirklich sich
ihr zu eigen gegeben ....


Paul Gervais: Im Erntemonat: Heimkehr.
 
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