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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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23. Heft
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Neisser, Artur: Richard Strauß' Josephslegende
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0697
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MODERNE KUNST

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Richard Strauß' Josephslegende. ~<4fe
Von Arthur Neißer.

*u den häufigsten Vorwürfen, die Richard Strauß von Anbeginn seiner Lauf-
bahn gemacht worden sind, gehört derjenige, er sei ein Künstler, der zu
Kompromissen bereit sei. Seine Gegner behaupten, Strauß folge den Mode-
strömungen der Zeit nicht etwa deswegen, weil er ein durchaus moderner Mensch
und Künstler sei, sondern weil er sich von dieser Methode den leichtesten Ruhm
und materiell die glänzendsten Erfolge verspreche. Man weiß ja, daß man Strauß
so gern den „Amerikanisten“ nennt, der es verstehe, seine Honorare möglichst
hoch zu schrauben, und man vergißt absichtlich, einen wie eminenten sozialen
Dienst der große Künstler gerade durch diese seine geschäftliche Vorsicht seinen
gleichstrebenden Kollegen in Apoll erweist.
Das neuste Werk Straußens, die Ballettlegende von Joseph und Potiphars
Weib, ist, wenn auch nur rein äußerlich betrachtet, nur allzusehr geeignet, die
Angriffe auf den Kompromißler und „Kaufmann“ Strauß zu erhärten. Es ist sehr
billig, zu sagen: „Es mußte so weit kommen, daß Strauß, der Modekünstler,
der verhätschelte Liebling des Erfolges, nun auch die allermodernsten Reformen
mitmacht, die Reformen auf dem Gebiete des Balletts, und dann natürlich des
russischen Balletts!“ Man verkennt die gewaltsame Mondänisierung .moderner
Künstler. Wir werden leicht beweisen können, daß der Musiker Strauß sich
auch und gerade in seinem neuesten Werk wiederum durchaus treu geblieben
ist, ja daß es vielleicht der Fehler seines Werkes ist, daß er rein musikalisch nicht
ein wenig mehr Kompromisse mit der alten Form des Balletts eingegangen ist.
Dies beweist immerhin, daß Strauß weder an den Stil des spezifisch russischen
Balletts (für das die Josephslegende ja von vornherein bestimmt war), noch an
den Stil der Pariser Großen Oper (die ja wohl gleichfalls vor der Beendigung
der Partitur als Ort der Uraufführung ausersehen worden war) mehr Konzessionen
gemacht hat, als ihm seine Inspiration gestattete. Daß aber Strauß nur deswegen

[Nachdruck verboten.]
es hätte ablehnen sollen, ein Ballett zu schreiben, weil sich dies mit seiner ernsten
musikalischen Wesenheit, mit seiner eignen Schaffenstradition nicht verträgt,
dies ist doch wohl zu weit gegangen. Es kommt nur darauf an, festzustellen, in-
wieweit Strauß diesmal Einfluß auf das Libretto gehabt hat, und da muß man
leider sagen, daß dieser Einfluß im warnenden Verstände nicht machtvoll genug
gewesen ist. Schon aus den Vorreden der beiden Verfasser des Textbuchs schließen
wir, daß diesmal Hugo von Hofmannsthal, Straußens eigentlicher Mitarbeiter,
zurückgetreten ist, um Harry Graf Keßler das Wort zu überlassen, dem es an
eigentlichem Ballettemperament, an innerer mimischer Nervosität fehlt. Was
er da verkündet von dem Gegensatz der beiden Welten, der reichen, ägyp-
tisch üppigen, in ein Renaissance-Venedig verlegten Welt Potiphars und der
„schlichten, gläubigen, naturfrommen Hirtennatur des unschuldigen Josephs-
knaben“, was er da von dem „Springen, Fliegen, Schweben, bald im Tanz,
bald im Traum", erzählt, das in der Figur Josephs ruhe, während Potiphars
Weib durch diesen göttlichen Zauber des Hirtenknaben aus ihrer Eisesstarre
emporgerissen werden soll — all dies erscheint uns mehr nur als dichterische
Disposition, als innerer Appell zum Schaffen oder aber als ganz allgemeine Charak-
teristik der Figuren und des Gehalts der Legende, denn als Gerüst und Gerippe
einer Ballettdichtung in jenem „ganz neuen“ Stile, der uns in den Vorberichten
der Tagespresse mit so hochtönenden Worten verheißen worden war.
In einer Zeit, da die Rhythmik als solche durch Jaques-Dalcroze in dem
Hellerauer Neuhellenentempel in ganz neue Bahnen gelenkt worden ist, in einer
Zeit, da ernste und doch temperamentvolle Tanzkünstlerinnen der verschiedensten
Nationen den Reflex alles Tanzes auf Seele und Körper schon so weit entwickelt
haben, in einer solchen ballettreformbeflissenen Periode will mir die Neugestaltung
choreographischer Art, wie sie diese „Josephslegende“ darbieten möchte, recht

XXV111. 74.
 
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