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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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24. Heft
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Heilborn, Adolf: Jahrmarkt in Thüringen
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Unsere Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0729
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308

MODERNE KUNST.



Unsere Öilder*

Mr. R o s s i n a : Statue Symphonie.
Phot. Leipziger Presse - Büro, Leipzig-Schi.

Und nun schwanken die heuduftenden Wagen heim, der Ziegenhirt drängt
scheltend mit langem Stabe seine Herde von der gewohnten Bahn ab in ein Seiten-
gäßchen, das Blöken von Kühen, die zum Stall und nach der Melkerin verlangen,
ein Hund fährt mit wütendem Gebell durch die Budenzeile, längst hat sich schon
die Straße wieder gefüllt, Kinder, halbwüchsige Burschen, frische Mädel und
bedächtige Alte, das strömt aus allen Gassen und allen Häusern herzu. Das
Karussell fängt schnarrend an zu kreisen, ein wirres Rufen, durcheinandergellend
das Plärren und Keuchen der Leierkästen, Trompetenstöße aus dem Zirkuszelt.
Und wie es dunkler wird, ein Sternlein nach dem andern am schwarzen Sommer-
himmel aufzuckt, da flammen in den Leinwandbuden die gelben, schaukelnden
Petroleumlampen auf, aus blechernen Ampeln zischt das blaue Gaslicht und
taucht die Köpfe der vor den Tischen sich Drängenden in seltsam weißliche,
flackernde Helle, in fahles Zauberglänzen, unwirklich gleichsam. In der Haus-
flur drüben hat eine Frau ihre hohe, eiserne Röste aufgestellt. Die Würste darauf
bräteln und zischen im Fett, und ein dicklicher Qualm schwingt quer über die
Straße und mischt sich mit dem Fettgeruche des Waffelbäckers. Immer wilder
wächst das Lärmen, ein tiefes Brummen und Surren und Rauschen ist der Grund-
ton, und wie eine bizarre Melodie darüber das Zirpen der Mundharmonikas, das
helle Näseln der Kindertrompetchen, das hohe Pfauchen versagender Leierkästen,
das Kreischen der Kinder und Mädel. In dem Biergärtchen an der Straße klappern
die Gläser, an langem Tische sitzt eine Schar von Burschen mit ihren Liebsten
und singt und gröhlt, einander eng umschlungen haltend, mit rauschheiserer
Stimme: „Was nützt mir dehehenn ein Rosengaharten" . . . An der Bude des
Schnellphotographen pufft immer hastiger die weiße Wolke des Blitzlichts auf.
An dem Kaspertheater mit seinem buntgeblümten Gestelle, das in der Hitze des
Spiels nur so schüttert, kreist unablässig die blasse Frau mit dem Blechteller
um das dicht zusammengepferchte Häuflein der lachenden Zuschauer, und Kaspers
Pritsche knallt wie Pelotonfeuer auf den Kopf des schwarzen Teufels mit der
roten Lappenzunge. Der „Anreißer“ drüben: „Immer rran meine Herrschaften,
immer rrran, der billige Mann!" rast auf seinem erhöhten Brettergestelle wie ein
wildes Tier hin und her und schlägt sich mit den „Herkuleshosenträgern“ auf die
flache Hand: „Wer will noch mal ? Keiner mehr ? Niemand mehr ?“ und trampelt
und brüllt wie ein Tobsüchtiger. „Seh’n Sie mal her, und wer will noch eins“,
und er langt aus einer Pappschachtel ein Taschenmesser, „seh’n Sie mal her,
da hab ich ein pikfeines Messer, garantiert Solingen, das kost’t keine Marie,
siebeneinhalb, sechse, ob Sie’s nehmen oder nicht, fünfeinhalb, fünfe“ und er schlägt
die Hände krachend zusammen: „Also, wer will noch mal ?!“ Und die Leute unten
lachen, stoßen sich an und langen in die Hosentasche und kaufen und kaufen . . .
Vom Kirchturme schlägt es: vier dünne, meckernde Schläge erst und dann
in sonorem Klange zehn. Die Pickelhaube des Polizisten zieht langsam durch die
flutenden Menschen: „Feierabend!“ Und allgemach verstummt das Lärmen, ein

Ballett und Ballettprobe haben die Maler besonders seit der Zeit des Im-
pressionismus lebhaft beschäftigt. Denn hier bietet sich die Gelegenheit, nicht
nur junge muskulöse und elastische Körper zu beobachten und in schönen Stel-
lungen, wie sie der Tanz mit sich bringt, wiederzugeben, sondern auch ungewohnte
Bewegungsmotive voll pulsierenden, wirbelnden Lebens aufzufangen und den
Zusammenhang eines lebhaften Gliederspieles zu studieren. Diese Gelegenheit
hat Pierre Carrier-Belleuse in seinem Gemälde mit hohem Können zu be-
nutzen verstanden. — Victor Laine wiederum hält eine Aussprache zwischen
Vater und Tochter mit solcher Kraft der Charakteristik fest, daß man fast die
Worte zu hören glaubt, mit denen der Bauer in seine Tochter dringt, von ihren
Leichtsinn zu lassen. Aber ihr halb trotzig-ablehnendes, halb gleichgültiges Ge-
sicht, ergibt den sicheren Beweis, daß seine „Ermahnung“ nutzlos verhallen
wird. — Gleich diesen beiden Künstlern hat auch J. A. Muenier mit seinem
„Sommerabend“ auf dem diesjährigen Pariser Salon lebhaftes Interesse er-
weckt. Von Bäumen umschattet, und von leise hügeligen Ufern eingefaßt, ruht
der Fluß im Abenddämmern, aus dem sich die nackten Gestalten badender
Frauen mit sanftem Leuchten abheben. Eine pastorale, friedvolle Stimmung
klingt uns entgegen. *
*
Zu einem „norwegischen Wasserfall“, an denen dieses gebirgige Land
so reich ist, führt uns T. von Eckenbrecher. Nimmt der Wanderer seine Straße
längs des Wasserlaufes, so stößt er gewiß bald auf eine der Mühlen, die hier gleich-
falls eine typische Erscheinung bilden und in ihrer Einsamkeit um so schöner
wirken. — Eine moderne Frau mit eleganter Toilette hat F. Wobring in seiner
„Dame in Lila“ geschmackvoll wiedergegeben.
* *
*
Wenn die Bildhauer das Wesen des Trotzes oder der Kraft fast ausnahmslos
durch den männlichen Körper zum Ausdruck bringen, so stellen sie Mitleid,
Hingebung oder Erbarmen durch die Frau dar. Das ist tief begründet. Denn
während der Mann sein Schicksal sich selbst erobert, empfängt es die Frau un-
mittelbarer aus der Hand des Schicksals. Die „Hingebung“, die das Geschick
mit einem liebevollen Vertrauen gläubig entgegennimmt, hat Henrik Glicen-
stein in seiner Plastik mit feinstem Empfinden zum Ausdruck gebracht.

Licht ums andre verzückt. Über große Kisten gebeugt, packen die Händler ihre
Waren von den Tischen, rufen einander zu, lachen und schelten. Im Garten räumt
der hemdsärmelige Hausknecht in der blauen Schürze klirrend die Gläser zusammen.
Hier tönt das belfernde Glöckchen einer Haustür, dort knarrt der große Schlüssel
im Schlosse, da rollt der papierne Vorhang mit der bunten Alpenlandschaft herab.
Und immer stiller wird’s auf der Straße, man hört das Klappen der Stiefel auf dem
holprigen Pflaster. In breitem Silberstreifen fließt das Mondlicht längs der Häuser.

Mr. Riviera: Die Freundinnen.
Phot. Leipziger Presse-Büro, Leipzig-Schi,
 
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