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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 4
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0341
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Literatur

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rüber hinaus. Die Einleitung bilden die beiden
Gruppen der Pariser Handschriften aus der Zeit
des hl. Ludwig, um die Mitte des 13. Jahrhun-
derts. Die erste ist die des berühmten Ludwigs-
psalters (1253—70). Die zweite, ausgehend von
der Vie de Histoire de St. Denis von 1250,
gruppiert sich um die lateinischen Bibeln Wien-
Oxford-Paris; ihr Stil ist in Nordfrankreich bis
nach Belgien ausgebreitet, sein Ursprung wird
gesucht in dem Zeichenstil des 12. Jahrhunderts,
wie er z. B. an einer Reihe nordfranzösischer
Glasfenster zu beobachten ist. Der Stil der
Ludwigspsalter hingegen, deren monumentale
Zeichnung und leuchtende Färbung als etwas
ganz anderes und neues auftritt, wird aus dem
englischen Miniaturenstil der ersten Hälfte des
13. Jahrhunderts abzuleiten versucht. Eine be-
friedigende Erklärung dieser wichtigsten Er-
scheinung der nordeuropäischen Malerei seit
dem Untergang der spätromanischen Malerei
wird allerdings auch hier nicht gegeben.
In dem folgenden Abschnitt: „Die Pariser
Miniaturmalerei vom Tode des hl. Ludwig (1270)
bis gegen 1300" wird eine Reihe der wichtigsten
in Paris entstandenen Handschriften in ihrem
Abhängigkeitsverhältnis voneinander untersucht:
das an den Stil der Ludwigspsalter anknüpfende
Nekrologium von St. Germain (1255—78); an
dieses Atelier anschließend der Meliacen des
Girard d'Amiens (1285—91) und die vielleicht in
St. Denis gemalte Hs. Chroniques de St. Denis
(Bibl. de Ste. Genevieve 782); als Produkt der
Bestrebungen dieser beiden Gruppen die Evan-
giles de la Ste. Chapelle in London vom Ende
des 13. Jahrhunderts (?), wobei Berührung mit der
Elfenbeinplastik konstatiert wird. Diese letzte
Werkstatt hängt zusammen mit Honore, dem
Maler des Breviariums für Philipp den Schönen
von 1296. Die Schule Honores wird weiterhin
zusammengestellt; dann die Verbreitung des
Pariser Stils in der Champagne an Hand der
Buchmalereien in Chälons, Reims, Soissons, Laon
usw. verfolgt. Endlich wird das Verhältnis der
Pariser Ateliers zu England untersucht. Die
Miniaturen Nordfrankreichs während dieser
Zeit (die Gruppe des Roman de la Poire, an
den sich zahlreiche weitverbreitete kleine Bibeln
angliedern, die Gruppe des Liber Floridus des
Lambert von St. Omer [1250—70], an den sich
eine Gruppe von Corbie, Lille, Arras u. a. an-
lehnt, drittens eine Gruppe nach Arras zu loka-
lisierender Hss., im Mittelpunkt das Brevia-
rium monasticum Arras 729) zeigen eine eigene,
mit Paris nur lose zusammenhängende Form-
gebung. Ebenso werden in Belgien zwei
Zentren, Gent-Brügge und Maestricht, ange-
nommen, die ohne Verbindung mit Paris, teil-

weise mit England zusammengehangen haben.
Von Belgien und England findet dann in
den ersten zwei Jahrzehnten des 14. Jahrhun-
derts eine Invasion in die nördlichen Provinzen
Frankreichs statt (Somme le Roi; vie de Ste. Be-
noite im Berliner Kupferstichkabinet, ob mit
Recht hierzu gezählt?).
Eine Gruppe in Amiens-Corbie gefertigter
Handschriften wird aus dieser Mischung eng-
lischer, nordfranzösischer und belgischer Ele-
mente erklärt; der Einfluß der Pariser Kunst
wird also sehr beschränkt. In Paris war in-
zwischen die Tradition Honores weiter gepflegt
worden, ohne daß man zu neuen Gestaltungen
gelangte. Im Anfang des 14. Jahrhunderts sehen
wir eine leere dekorative Routine ausgebildet,
die dann weite Verbreitung fand (Bibel des
Arsenal von 1317; das König Philipp 1313
überreichte Liber de Dina et Calila). Pucelle
endlich, der Maler der Bibel des Robert de
Billyng von 1327 und des Breviaire de Belle-
ville, soll in der letzteren Hs. auch an den
englisch - belgischen Miniaturenstil anknüpfen,
den ihm die Vie et Miracle de St. Denis von
1317 übermittelt habe, so daß selbst in Paris
der englisch-belgische Stil die Überhand
gewinnen würde.
In dem Schlußkapitel wird die rheinische
Malerei zu Anfang des 14. Jahrhunderts und
ihr Verhältnis zu Paris und zu England-Belgien
untersucht. V. kommt zu dem Resultat, daß
die kölnischen Handschriften vom Valkenberg-
Graduale (1299) bis zum Missale von St. Cuni-
bert in Darmstadt (1346) im wesentlichen von
Belgien her beeinflußt sind, während die Wand-
malerei (Kapelle von St. Andreas, Chorschranken
des Domes um 1350), sowie die Tafelmalereien,
die sich um das Berliner Diptychon gruppieren,
starke Einwirkungen von England empfangen
haben. Dieser englisch-kölnische Stil verbreitet
sich zum Oberrhein, was bekundet wird z. B.
durch die Tafel aus Bebenhausen in Stuttgart,
durch große Partien der Freiburger Glasfenster
und durch das Wandgemälde der Kreuzigung
in der Sakristei des Konstanzer Münsters von
1348, das kürzlich von Gramm wieder be-
sprochen worden ist.1) In einer Gruppe lothrin-
9 Josef Gramm, Spätmittelalterliche Wandgemälde im
Konstanzer Münster. Ein Beitrag zur Entstehungsge-
schichte der Malerei am Oberrhein. 8°. X u. 140 S.
20 Tafeln in Lichtdruck. Straßburg 1905. Studien Heft 59.
— Auf diese Arbeit sei im Vorübergehen hinge-
wiesen. Der Hauptabschnitt befaßt sich allerdings mit
späteren Werken, den Wandmalereien in der Nicolai-
kapelle des Münsters, etwa 1410 — 20 entstanden, die für
die Entwicklung der oberrheinischen Malerei vor Witz-
Moser- Multsdier wichtig sind. — Die Kreuzigung von
1348 aber ist, wie Vitzthum ja auch bemerkt (s. o.),
keineswegs ein Erzeugnis eigentümlicher oberrheinischer
Malerei.
 
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