Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

DOI issue:
Heft 5
DOI article:
Glaser, Curt: Die Raumdarstellung in der japanischen Malerei
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0413
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Glaser. Die Raumdarstellung in der japanischen Malerei

405


Abb. 3. Illustration aus der Nayotake-Erzählung. Anf. des XIV. Jahrh.
Selected Relics VII, 22, 1

von hier aus den Blick nach vorn wandern lassen zu den Figuren und bis zum unteren
Bildrande. Der Standpunkt des Beschauers ist oben, wie ja die steigenden Linien es
auch unserem Auge unmittelbar sagten, aber oben und in der Tiefe. Von dort her
sehen wir, von dort laufen die Linien zusammen, baut sich der Raum nach vorn
hinaus. Wir müssen das Ungewohnte der Anschauung vergessen, uns durch ihre In-
konsequenzen nicht beirren lassen, um uns ganz einzuleben in diese Raumdarstellung,
denn nur so vermag das Bild auch uns zum Erlebnis zu werden, wir fühlen den
Raum, und der Raum faßt die Figuren in sich, er nimmt sie auf. Ja, der Raum-
eindruck wird zum wesentlichen, bestimmenden Faktor der Schönheit des Bildes, das
wir nun erst begreifen, indem wir der Absicht seines Schöpfers folgen. Es ist das
vollendete Bild eines Innenraumes, in das wir uns einzufühlen vermögen, wenn wir
nur einmal die Richtung erfaßt haben. Ja, wir können so weit gehen, die abend-
ländischen Raumdarstellungen, die durch den hohen Horizont eine Verwandtschaft mit
unserem Tosabilde aufweisen, für die eigentlich unvollkommneren zu erklären. Man
kann etwa Bilder des niederländischen Quattrocento heranziehen, denen es mit der
Absicht auf Raumwiedergabe sicher Ernst war, den Merodealtar des Flemallers oder
das Passahmahl des Bouts. Auch hier steigen die Bodenlinien rasch an, aber sie
nähern sich, sie sind „richtig" im Sinne unserer Sehgewohnheit. — Kommt es darum
zu einem eigentlich zusammenhängenden Raumeindruck? Sicherlich nicht. Die Figuren
bleiben vorn und isoliert. Der Raum faßt sie nicht. Weit hinten erst kommt ein
raummäßiger Eindruck zu stände, aber überlassen wir uns der Suggestionskraft der
Linien, so versinkt uns die Figurengruppe in der Tiefe, ohne mit dem nur lose an-
gegliederten Tiefraum in Zusammenhang zu kommen. Noch an Raffaels Sposalizio
mit seinen zwei Horizonten kann man die gleiche Erfahrung machen, wiederum oben
ein Raumbild, in das man sich einleben kann, aber nur auf Kosten des Zusammen-
hanges des Ganzen. Sollten wir unserem Tosameister dieses System als das allein
 
Annotationen