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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 5
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0474
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466

Monatshefte für Kunstwissenschaft

Jean le Foville. Genes. (Les villes d'Art
celebres.) Paris, Laurens, 1907.
Auf mein Buch über Genua, das vor etwa
PL Jahren in der Serie der „Berühmten Kunst-
stätten" bei E. A. Seemann in Leipzig erschien,
hatte ich jahrelange Arbeit verwendet. Handelte
es sich doch darum, ein Gebiet, an dem die
neuere Forschung fast völlig vorübergegangen
war, zu bearbeiten. Die wertvollen Dokumenten-
funde von Alizeri mußten erst mit der Stilkritik
verbunden und dadurch fruchtbar gemacht wer-
den; für die Blütezeit der genuesischen Kunst
hatte man auf Soprani und Ratti, dann Lanzi
zurückzugreifen. Die freundliche vielseitige An-
erkennung meiner Arbeit entsprang der Über-
zeugung, daß durch sie die Eroberung eines
neuen und sehr wichtigen Gebietes für die kunst-
wissenschaftliche Forschung gefördert worden
sei. Daß Forscher wie Neuwirth und Gronau,
welche die Schwierigkeiten des Themas kannten,
mein Buch lobten,1) veranlaßte mich, dem Ver-
leger den Vorschlag zu machen, dasselbe auch
in andere Sprachen übersetzen zu lassen. Das
war Anfang Januar 1908. Herr Seemann ant-
wortete mir am 10. Januar 1908, daß er „in Paris
angefragt habe, ob Herr Laurens Neigung habe,
meine Arbeit in französischer Übersetzung her-
auszugeben". Damals war das Buch von
Foville aber schon erschienen. Wußte Herr
Seemann das nicht? Wußte er nicht, daß
120 Klichees meines Buches in der französischen
Variante zum Abdruck gekommen waren?
Wenn ich Fovilles „Genes" eine Variante
meines Buches nenne, in der allerdings mein Name
bis auf das trockene Zitat zwischen 30 anderen
Büchertiteln am Schlüsse nicht vorkommt, so
tue ich ihm damit gewiß nicht Unrecht. Schon
der Grundplan ist gleich: historische Übersicht,
der ein Kapitel über die geographische Beschaffen-
heit vorausgeschickt wird, sodannKunstgeschichte
der ältesten Zeit bis ans Ende des XIV. Jahr-
hunderts (mein erster Hauptabschnitt). Als
Kapitel 4 das XV. Jahrhundert (mein zweiter
Hauptabschnitt) und endlich mein dritter Haupt-
abschnitt über die Blütezeit in fünf kleinere
Kapitel mit wenig Geschick zerlegt.
Wesentliche eigene Forschungen habe ich in
Fovilles Buch nicht finden können. Daß er viele
von mir zuerst geäußerte Meinungen (bisweilen
nur Vermutungen) als feststehende Tatsachen
wiedergibt — natürlich ohne mich jemals zu
zitieren, was eine in wissenschaftlichen Kreisen
etwas ungewöhnliche Art ist — braucht mich
also nicht zu freuen, da es sich nicht um die

9 Allgemeines Literaturblatt XVII. und Kunstchronik
1906. (Rezensionen).

Zustimmung eines selbständigen Forschers han-
delt. Die für Foville ehrenvollste Erklärung für
diese Tatsache ist die, daß er mit der Literatur
so wenig vertraut war, daß er die von anderen
geäußerten abweichenden Ansichten gar nicht
kannte, also nicht wußte, wo ich mich, auf die
Stilkritik gestützt, von Alizeri, Cervetto und
anderen entferne. Das gilt beispielsweise für
die historische Sonderung der mittelalterlichen
Skulpturen der Domfassade (pag. 32) oder
für die Scheidung des Giovanni Gaggini von
Lionardo di Riccomanno (pag. 50), für die Zu-
schreibung der Reiterstatue des Francesco Spinola
und der fünf Statuen an dem alten Palazzo
Spinola auf Piazza Fontane Marose an Michele
d'Aria, für die Zuschreibung des Madonnen-
frescos in S. Maria di Castello an Lorenzo
de' Fazoli u. a. m. Ja sogar einen Irrtum hat
Foville getreulich von mir abgeschrieben: das
schöne Triptychon der Madonna mit dem hl.
Franz und Cosmas und Damian im Palazzo
Durazzo-Pallavicini halte ich gar nicht mehr für
deutsch, es ist doch niederländisch. Die mannig-
fachen Versehen in Fovilles Buch sind nicht er-
staunlich. Alessis Todesdatum ist nicht 1570
sondern der 31. Dezember 1572, (pag. 79) der
Gartendurchblick im Palazzo Balbi ist erst von
Corradi hergestellt worden, nicht schon im
Plane des Bartolommeo Bianco enthalten (pag.92),
die Tugendenstatuen des Gianbologna sind aus
Gips und bronziert, nicht aus Bronze (pag. 97).
Die ganzen genuesischen Maler von Cambiaso
bis ins XVIII. Jahrhundert werden im 7. Kapitel
besprochen, erst im 8. Kapitel ist von Rubens
und van Dyck die Rede. Das ist historisch wider-
sinnig. Es hätte wenig Wert, wollte ich all die
Versehen Fovilles einerseits, all die Entlehnungen
aus meinem Buche andererseits nennen. Krasse
Beispiele für beides gibt es in Fülle; auch Ge-
dankenlosigkeiten: so beschreibt Foville die
Allegorie des Rubens im Palazzo Bianco mit
dem Putto; als Abbildung gibt er sie aber in
der von mir beschnittenen Form ohne die spä-
teren Zutaten, die F. vor dem Original also
offenbar als solche nicht erkannte.
An drei Stellen setzt sich Foville mit viel
Energie in Gegensatz zu meinen Urteilen —
nicht in Einzeltatsachen, sondern in der
Abschätzung der Qualität: Donato de' Bardi,
dessen Bedeutung in der Lombardei, dessen
Einfluß auf Foppa ich erwähne, wird höchst
geringschätzig behandelt (pag. 52) ; Filippo Parodi
wird bedauert, daß er „unglücklicherweise in
dem künstleriscli so verkommenen Barockzeit-
alter lebte", er, dessen Genialität sich eben nur
in dem großen Schwung der Barockformen, in den
prächtigen Gesammtanlagen ausprägte! Luca
 
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