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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 3
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Weese-Bern, Artur: Burgunder Kirchen: (Cluny, Autun, Pontigny)
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0184
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Monatshefte für Kunstwissenschaft

liehen Zeiten die Mahnung und das Beispiel zur Verachtung des leiblichen Wohles
und der Weltgüter in seiner schärfsten Form ausgegangen. In Burgund ist der
Kreuzzug gepredigt worden, der hl. Bernhard von Clairvaux und Abt Hildebrandt
haben hier ihre stillen Jahre der Sammlung und Selbsterziehung verlebt und all die
Kirchtürme, die untereinander so unverkennbare Familienähnlichkeit haben und fast in
jedem Dorfe wiederkehren, auf der Eisenbahnfahrt Meilensteinen gleich, bezeichnen
die Wegspur des einen Gedankens, der von hier aus durch die Welt gezogen ist. Der
Gedanke der Askese ist nicht burgundisch von Haus aus, aber in der burgundischen
Prägung ist er in vorgotischen Zeiten kosmopolitisch und von rein universalen
Bestrebungen. Die Natur hat hier von jeher alles darauf angelegt, einem arbeitsamen
Volk eine glückliche Heimat zu geben. Aber der spekulative Geist des Mittelalters
gewann gerade in diesen fruchtbaren Tälern die Spannkraft, um die Weltflucht als ein
Lebensziel zu erfassen und in strengen Bußübungen durchzuführen. Gewiß, der
Gedanke in seiner abstrakten und blinden Schärfe ist orientalischen Ursprungs und
hat in der libyschen Wüste und im syrischen Sonnenbrand zuerst die Menschen-
phantasie erhitzt. In Zeiten ängstlicher Glaubenszweifel, als die fröhliche Gewißheit
antiker Weltanschauung verging, hat er zahllose Menschen in die Unwirtlichkeit von
Einöden und Wüsteneien geführt, wo sie gegen den Lebenswillen kämpften, bis er
ohnmächtig dalag, das Opfer qualvoller Suggestionen. Wunder werden erzählt von
den seltsamen Heiligen, die Monate und Jahre auf einer Säule lebten unter dem
heißen Himmel Afrikas und von ihrer hohen Kanzel aus zu dem vielköpfigen Volk
predigten, das sich um den Horst scharte, um zu hören und mit eigenen Augen zu
sehen, wessen die neuen Glaubensboten fähig waren. Damals war Predigtstuhl und
Bußzelle ein und dasselbe und jedes Wort zur Verachtung aller Lebensgüter wurde
durch ungezählte schmerzliche Leiden bewiesen. Was für arme Teufel waren doch diese
hohen Heiligen. Ihr wunderbares Beispiel war von unerhörten Wirkungen. Die Klöster
füllten sich und das ganze Mittelalter hindurch war der Gedanke der Askese allgegen-
wärtig, gleichsam der Schatten, der das lichte Weltkind überallhin begleitete. Selbst
in der lachenden Fruchtbarkeit Burgunds nistete er sich ein und gewann hier neue
Kräfte. Sein bleicher Ernst färbte sich mit dem Lebensrot des Burgunder Blutes.
Sind doch auch die gewaltigen Kirchenmonumente von Cluny, Citeaux und Pontigny
anderen Geistes als die Leidenspranger der Säulenheiligen. Wie eine Tat der Lebens-
bejahung ragen sie in die Lüfte, das Werk eines mit der Welt versöhnten und an
der Scholle hängenden Lebensgeistes, die Arbeit freudigen Fleißes.
Der Gedanke der Askese tritt großmächtig auf, wie ein Sieger und Eroberer.
Er ruft mit eherner Stimme von den Glockentürmen und umschmeichelt in den weiten
Kirchenhallen die Phantasie mit den sinnbetörenden Mitteln künstlerischen Schmuckes.
Wie merkwürdig, daß er sich gerade an die feinste Empfindlichkeit der Sinne wendet,
obgleich er zum Kampf gegen die Sinne wirbt. Von unerschöpflicher Erfindungskraft in
der Eröffnung immer neuer Zugänge zu der Seele des Menschen hat die Kirche zu allen
Zeiten die Intelligenz und das Temperament der lebenden Generationen mit immer neuen
Reizen gewonnen. Sie wechselt mit fast jedem Menschenalter den Stil ihrer Künste,
denn immer ist ihr Wille darauf gerichtet, daß die Jungen ihre Seele füllen, wenn die
 
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