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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 1/2
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Pauli, Gustav: Raffael und Manet
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0063
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Pauli. Raffael und Manet

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Zeichnung zum Vorbild gedient hat, in der Villa Medici.1) Auf dieser rechten Hälfte
sehen wir oben in den Lüften Apoll mit seinem Sonnenwagen, die Dioskuren, Jupiter
und Diana dargestellt, unten aber am schilfbewachsenen Ufer eines Gewässers zwei
Flußgötter und eine Nymphe. Sie sitzen beieinander, nackt und schön und haben
sich nichts zu sagen.
Eben diese Gruppe hat es Manet angetan. Er nahm die beiden Götter, zog
ihnen Röcke und Hosen an, versah sie mit Taschenuhren, setzte dem einen ein Barett
auf den Kopf und gab ihm statt des Schilfstengels einen Spazierstock in die Hand.
Nur das Mädchen ließ er nackt, weil es ihm so wohlgefiel. Das heißt, um es ganz
genau zu sagen, er nahm drei Pariser Modelle und ließ sie in den von Raffael vor-
gezeichneten Stellungen posieren; wobei es sich dann ergab, daß man bei etwas ver-
änderter Haltung bequemer sitze.
Qu'est-ce que cela prouve? wird mich vielleicht nach berühmtem Muster ein
Künstler fragen. Je nun, es beweist nichts Neues, jedenfalls nichts gegen Manet. Um
alles in der Welt möchte ich nicht zu den Sykophanten gerechnet werden, die in der
Kunst und Literatur nach Plagiaten schnüffeln. Was mit Recht so bezeichnet wird,
ist ein kümmerlicher Mundraub am geistigen Eigentum, der von den Geschädigten ver-
folgt werden mag, im übrigen aber nicht der Rede wert ist. Von Raffael zu Manet
gibt es indessen kein Plagiat, so wenig wie bei den Renaissancearchitekten, die in
ihren Kirchenbauten antike Tempelfassaden und Kuppelräume bearbeiteten, so wenig
Plagiat wie bei Shakespeare, der aus den Stoffen italienischer Novellen Dramen schuf.
Wenn ein Großer wie Manet sich überlieferter Formen bedient, so schafft er sie zu
seinem Eigentum, indem er sie neu gestaltet und bereichert. Er ist dann viel mehr
ein Gebender als ein Nehmender. Das Kunstwerk, das Manet in seinem Dejeuner
geschaffen hat, ist mehr wert als Raffaels Zeichnung und als die antiken Reliefs, die
ihm als Vorlage gedient haben. —

9 E. Braun. Annali dell' Institute Roma 1839. S. 215 ff.
0. Jahn. Berichte der kgl. sächs. Gesellsch. d. Wissenschaften I, 1849. S. 55 ff.
A. Springer. Raffael und Michelangelo. 2. Aufl. II. S. 122.
H. Thode. Die Antiken in d. Stichen Marc Antons, Leipzig 1881. S. 24.
Selbstverständlich hat Raffael das antike Vorbild mit aller Freiheit auf seine Art um-
gestaltet. Insonderheit hat er der Gruppe der Flußgötter nur die allgemeinste Anregung ent-
nommen. In ihrer Fassung auf den Stichen Marc Antons und Marco Dentes ist sie durchaus
raffaelisch. Die Nymphe und der Flußgott sind neu erfunden. Merkwürdigerweise sind diese
beiden Figuren dann wieder für die Ergänzung eines Reliefs mit dem Parisurteil in der Villa
Ludovisi benutzt. (Die Nymphe im Gegensinne.) Vgl. Jahn a. a. 0. Taf. IV, 2.
 
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