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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 2.1909

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L. Baer. Bernhard, Maler von Augsburg, und die Bücherornamentik 49

was den Gesamteindruck des, teilweise mit Initialen geschmückten, Blattes sehr nach-
teilig beeinflußte. Auch die eigentlichen Illustrationen der späteren Ratdoltschen Drucke
tragen keinen künstlerischen Charakter zur Schau und dürfen nicht mit dem durchaus
originellen und monumentalen Buchschmuck der 70er Jahre in eine Linie gesetzt
werden.1) Meist sind es nur einfache, lineare Diagramme (zur Illustration mathemati-
scher und astronomischer Werke). Dort, wo wirkliche Bildholzschnitte vorkommen, sind
diese durchgängig nach Illustrationen früherer, bei anderen Druckern erschienenen
Ausgaben derselben Werke kopiert.2) Derartige Arbeiten konnte jeder auch nur
handwerklich geschulte Formschneider ausführen. Und, daß von diesen in den 80er
Jahren des XV. Jahrhunderts eine große Anzahl in Venedig ansässig waren, darüber
sind wir hinlänglich unterrichtet.
Wenn wir durch unsere bisherigen Ausführungen erfahren haben, daß Bernhard
von Beruf aus Maler gewesen ist, und daß ferner die künstlerisch schöpferische Tätig-
keit in der Ratdoltschen Offizin nur so lange Bestand hatte, als er selbst an der Firma
beteiligt war, so dürfen wir wohl nicht länger mit der Ansicht zurückhalten, daß nur
er der Schöpfer jenes künstlerischen Buchschmuckes gewesen sein kann. Wir sehen uns
also der eigentümlichen Tatsache gegenübergestellt, daß ein deutscher Künstler als erster
den typograpischen Renaissancebuchschmuck geschaffen und verwendet hat. Wohl finden
wir schon in einigen früheren venezianischen Drucken, die bei Wendelin von Speier
und Jenson erschienen, vereinzelt Holzschnittbordüren und Initialen, die man als Vor-
läufer ansehen könnte. Diese scheinen uns aber erst nachträglich auf die gedruckten
Seiten eingepreßt worden zu sein,3) um dem Miniator als Vorzeichnung für die farbige
Ausmalung zu dienen, so daß es nicht möglich ist, diesen Buchschmuck genau zu
datieren. Jedenfalls wurde in den Ratdoltschen Drucken erst in zielbewußter Weise
der Holzschnitt zur Verzierung von Büchern verwendet. Hier tritt das typographische
Ornament zum ersten Male als selbständiger und in sich abgeschlossener Buchschmuck
auf und macht die Tätigkeit des Miniators, dem bisher immer die Ausschmückung der
Bücher übertragen worden war, vollkommen überflüssig. Daß der deutsche Maler
Bernhard diesen Schritt getan hat, erscheint nicht mehr so merkwürdig, wenn wir
diese Ornamente nacheinander, wie sie chronologisch entstanden sind, betrachten. —

g Butschs (Bücherornamentik I, 5) öfters wiederholte Behauptung, daß Ratdolt Cliches be-
nützt habe, hat schon Redgrave a. a. 0., S. 15 widerlegt. In Ratdoltschen Drucken kommen nie
zwei gleichartig gezeichnete Initialen auf einer Seite vor. Wohl finden sich gleichartige Initialen
auf der Vorder- und Rückseite desselben Blattes. Wir wissen jedoch, daß im XV. Jahrhundert
nicht, wie in unseren heutigen Druckereien, beide Seiten zu gleicher Zeit zum Abdruck kamen,
sondern daß sie nacheinander gesetzt und gedruckt wurden. Daß Ratdolt gezwungen war, Lom-
barden zu verwenden, ist ein weiterer Beweis dafür, daß ihm der Gebrauch von Cliches unbekannt
gewesen ist. Auch zeigt sein Buchschmuck durchgängig den Charakter von Holz- und nicht von
Metallschnitten.

2) Siehe S. 6, Anm. 8.

3) Daß diese Bordüren nicht zu gleicher Zeit mit dem Text gedruckt sind, geht daraus
hervor, daß sich in mehreren Exemplaren desselben Druckes verschiedenartige Bordüren finden;
bei manchen Exemplaren sind sie überhaupt weggeblieben. Ähnlich verhält er sich mit den Ini-
tialen. (Vgl. S. 4, Anm. 5.)

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