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Monatshefte für Kunstwissenschaft
Abb. 2.
vormittelalterlichen Einzelmotive konstruktiver wie formaler Art in ihrer Entwicklung
verfolgt werden, diese vorwärts, jene rückwärts, und die Zusammenhänge der mittel-
alterlichen mit der älteren Form, wo sie sich ergeben, auf diese Weise im einzelnen
klargestellt werden, wozu als Voraussetzung eine genaue Aufnahme und Untersuchung
der einzelnen Baudenkmäler gehört. Dann erst wird sich uns das Bild des Gesamt-
vorganges aus sehr vielen Einzelheiten zusammengesetzt klarer zeigen.
Für das Motiv der so-
genannten Stalaktiten, eine
Form, die ja wie kaum eine
zweite der Kunst des Islam
ausschließlich und eigentümlich
angehört, ist meines Wissens
dieser Nachweis bisher nicht
geführt worden, und man ist
deshalb vielleicht geneigt, ge-
rade dies Motiv noch als eine
durchaus selbständige arabische
Erfindung anzusehen. Wie aber
auch für diese eigentümliche
islamische Form die Entwick-
lung aus bekannten älteren
Konstruktions- und Dekora-
tionsformen, und zwar aus
spätrömischen, nachgewiesen
werden kann, das soll in
Abb. 3.
Folgendem zu zeigen versucht werden.
Die Form der eigentlich sogenannten Stalaktiten,
die in der späteren Entwicklung der islamischen Kunst zu
den mannigfaltigsten Zwecken, zu Gesimsen, Säulenkapitellen u. dergl. benutzt werden,
ist ursprünglich eine Form des Übergangs aus dem quadratischen Grundriß zur poly-
gonalen oder runden Kuppel und besteht als solche in mehreren Reihen kleiner, spitz-
bogiger, polygonaler Halbkuppeln übereinander, die in wechselnden Formen und nach
oben zunehmender Anzahl zu einem Pendentif angeordnet werden (Abb. 1)1). Diese
zusammengesetzte Form hat sich jedoch erst später2) aus einer älteren einfacheren Über-
gangsform gebildet, welche den Übergang zum Achteck direkt durch eine einzige
Halbkuppel in jeder Quadratecke vermittelt. Die neuere ist also nur eine Häufung
und wiederholte Anwendung der älteren Form: die dort zur einmaligen Abstumpfung
des rechten Winkels angewandte Halbkuppel wird hier mehrere Male über- und
nebeneinander zur immer weiteren Abstumpfung des Polygonwinkel verwandt. Neben
den späteren eigentlichen Stalaktiten hat sich auch die ältere Form noch lange
') Nach Franz Pascha, die Baukunst d. Islam im Handb. d. Arch. II, 3, 2. Darmstadt 1896 S. 52.
2) Nach Franz Pascha, a. a. O. erst am Ende des XII. Jahrh. n. Chr.
Monatshefte für Kunstwissenschaft
Abb. 2.
vormittelalterlichen Einzelmotive konstruktiver wie formaler Art in ihrer Entwicklung
verfolgt werden, diese vorwärts, jene rückwärts, und die Zusammenhänge der mittel-
alterlichen mit der älteren Form, wo sie sich ergeben, auf diese Weise im einzelnen
klargestellt werden, wozu als Voraussetzung eine genaue Aufnahme und Untersuchung
der einzelnen Baudenkmäler gehört. Dann erst wird sich uns das Bild des Gesamt-
vorganges aus sehr vielen Einzelheiten zusammengesetzt klarer zeigen.
Für das Motiv der so-
genannten Stalaktiten, eine
Form, die ja wie kaum eine
zweite der Kunst des Islam
ausschließlich und eigentümlich
angehört, ist meines Wissens
dieser Nachweis bisher nicht
geführt worden, und man ist
deshalb vielleicht geneigt, ge-
rade dies Motiv noch als eine
durchaus selbständige arabische
Erfindung anzusehen. Wie aber
auch für diese eigentümliche
islamische Form die Entwick-
lung aus bekannten älteren
Konstruktions- und Dekora-
tionsformen, und zwar aus
spätrömischen, nachgewiesen
werden kann, das soll in
Abb. 3.
Folgendem zu zeigen versucht werden.
Die Form der eigentlich sogenannten Stalaktiten,
die in der späteren Entwicklung der islamischen Kunst zu
den mannigfaltigsten Zwecken, zu Gesimsen, Säulenkapitellen u. dergl. benutzt werden,
ist ursprünglich eine Form des Übergangs aus dem quadratischen Grundriß zur poly-
gonalen oder runden Kuppel und besteht als solche in mehreren Reihen kleiner, spitz-
bogiger, polygonaler Halbkuppeln übereinander, die in wechselnden Formen und nach
oben zunehmender Anzahl zu einem Pendentif angeordnet werden (Abb. 1)1). Diese
zusammengesetzte Form hat sich jedoch erst später2) aus einer älteren einfacheren Über-
gangsform gebildet, welche den Übergang zum Achteck direkt durch eine einzige
Halbkuppel in jeder Quadratecke vermittelt. Die neuere ist also nur eine Häufung
und wiederholte Anwendung der älteren Form: die dort zur einmaligen Abstumpfung
des rechten Winkels angewandte Halbkuppel wird hier mehrere Male über- und
nebeneinander zur immer weiteren Abstumpfung des Polygonwinkel verwandt. Neben
den späteren eigentlichen Stalaktiten hat sich auch die ältere Form noch lange
') Nach Franz Pascha, die Baukunst d. Islam im Handb. d. Arch. II, 3, 2. Darmstadt 1896 S. 52.
2) Nach Franz Pascha, a. a. O. erst am Ende des XII. Jahrh. n. Chr.