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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 2.1909

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STUDIEN UND FORSCHUNGEN

DER MODELLKOPF VON DER HAND
MICHELANGELOS IM BESITZE DES
PIETRO ARETINO
In der Sammlung von Briefen des Pietro
Aretino (Lettere. Parigi. 1609. Vol. II, S. 40 f.)
befindet sich auch ein solcher an Vasari1), in
dem der Autor von einem Tonkopfe spricht, von
der Hand Michelangelos, den ihm der Herzog
Alessandro geschenkt hatte. Er preist ihn mit
Ausdrücken höchster Bewunderung: „Wie ich
beim Öffnen des Kistchens, das mir durch die
Giunti geschickt wurde, den Kopf eines der
Schutzheiligen des ruhmvollen Hauses der Medici
erblickte, war ich vor Staunen eine Weile reglos.
Wie ist es nur möglich, daß Seine Exzellenz
der Herzog Alessandro, um einem seiner Diener
eine Freundlichkeit zu erweisen, sich dazu ver-
stehen konnte sich seiner zu berauben? Ich
habe Scheu das Werk zu betrachten, zu loben,
so ehrwürdig und wunderbar ist es: was für
ein Bart, was für Haarlocken, wie ist die Stirn
geformt, was für Augenbrauen und was für
Augenhöhlen, wie ist das Ohr gemacht, welch
Nasenprofil und welch Schnitt des Mundes! Man
kann gar nicht sagen, wie er den Ausdruck faßt,
der dem Kopf das Leben gibt; man kann sich
nicht denken, worin es liegt, daß er zu blicken,
zu schweigen und zu hören scheine; man sieht die
Ehrwürdigkeit des sakrosanten Alters über seine
Züge gegossen und doch ist es nichts als Ton,
vom kundigenFinger in wenigen Zügen geformt."
Grimm (Michelangelo. 4. Aufl. Vol. II, pag. 499)
hat zuerst auf diesen Brief aufmerksam gemacht,
da er aber den Passus „uno de gli avocati della
gloriosa casa dei Medici" mißverstand, indem
er meinte es müsse sich um ein Mitglied der
Familie Medici handeln, während die „avocati"
die Schutzheiligen des Hauses sind, kam er zu
keinem Resultat. In dem Briefe wird der Bart
bewundert; sollte der bärtige Papst Clemens
dargestellt gewesen sein? Jedenfalls wäre dies
das einzige Porträt gewesen, daß Michelangelo
gemacht hätte. Schließlich zieht Grimm die Mög-
lichkeit in Erwägung, daß es sich gar nicht um
ein Werk Michelangelos, sondern um eine der
9 Der Brief Aretinos ist vom 15. Juli 1538 datiert; das
Datum ist sicher falsch, worauf Grimm und Frey hin-
gewiesen haben, und wahrscheinlich unachtsam für die
Drucklegung eingefügt worden; denn Herzog Alessandro,
auf den der Inhalt offenbar berechnet ist, war schon am
5./6. Januar 1537 ermordet worden.

Büsten Alfonso Lombardis handelte, die Vasari
in Rom gekauft hatte. — Man möchte Aretino so-
viel Verständnis zutrauen, daß er die nüchternen
Schöpfungen Lombardis nicht mit einem solchen
Enthusiasmus gepriesen hätte.
Karl Frey (Quellen und Forschungen. I. S. 21)
kommt auf diesen Brief ebenfalls zu sprechen.
Er erkennt, daß es sich nur um den Kopf eines
hl. Cosmas' oder Damians handeln könne; da
er aber als feststehend annimmt, daß Michel-
angelo „allenfalls Wachsmodelle in kleinem Maß-
stabe bosselte, nicht aber Tonabozzi", so nimmt
er den als Originalarbeit des Michelangelo dem
Aretino gesandten Kopf für eine Kopie oder
einen Abguß, den etwa Tribolo gefertigt haben
mag.
Nun können wir aber aus einer Aussage
Vasaris deutlicher sehen, was es für eine Be-
wandtnis mit diesem Kopfe hatte. Im Leben
Michelangelos (VII, S. 203) erzählt er, der Meister
habe bei seinem Fortgange von Florenz den Bild-
hauern, welche die noch zu fertigenden Statuen
ausführen sollten, Tonmodelle gefertigt; an an-
derer Stelle spricht er sich etwas genauer über
die Arbeitsteilung bei einer der Heiligen-Figuren
aus. Montassali erhielt den hl. Cosmas in
Auftrag: „Der Frate ging mit größtem Eifer ans
Werk und machte ein großes Modell jener Figur,
das in vielen Teilen von Buonaroti überarbeitet
wurde, ja Michelangelo bildete mit eigener Hand
den Kopf und die Arme aus Ton, und diese
werden heute von Vasari in Arezzo als An-
denken an einen so großen Mann aufbewahrt
und zu seinen teuersten Schätzen gerechnet".
(VI, pag. 634).
Diese Darstellung wird man durchaus als
glaubwürdig ansehen müssen; man wird auch
nicht einwerfen können, daß Vasari den Kopf
des hl. Cosmas als eigenhändige Arbeit des
Meisters bezeichnet, weil er ihn besitzt. Er
wird seinen Besitz erstrebt haben, weil er
eben eine eigenhändige Schöpfung Michelangelos
war. Wir wissen also, daß der Kopf des einen
„avocato" der Medici von Michelangelo eigen-
händig ausgeführt war und in den Besitz Vasaris
kam. Beim Modelle des hl. Damian, den Raffaello
da Montelupo ausführte, wird Michelangelo in
analoger Weise, wie beim Cosmas verfahren sein,
und der von ihm modellierte Kopf des Modells
zum hl. Damian ist eben der „Kopf eines der
Schutzheiligen des Hauses Medici" den Aretino
empfing. Adolf Gottschewski.
 
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