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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 2.1909

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Palastanlagen im islamischen Abendlande
Von Ernst Kühnel
Wenn wir die Geschichte der mohammedanischen Fürstenpaläste bis auf ihre
Anfänge zurückverfolgen, so kommen wir mit sicheren Nachrichten kaum über die
erste Abbässidenzeit hinaus. Die einfache Lebensführung des Propheten und der
großen Khalifen berechtigen zu der Annahme, daß erst mit der Glanzentfaltung am
Hofe der Omayaden jene prunkvollen Residenzbauten entstanden, deren beispielloser
Luxus die Phantasie der Schriftsteller beschäftigte und zu der Entstehung unzähliger
Sagen und Märchen den ersten Anstoß gab. Das früheste derartige Denkmal, von
dem wir historische Data besitzen, war das „goldene Haus" in Fostät, dem alten
Kairo, das im Jahre 669 von 'Abd-el-Aziz ben Mo'awia errichtet wurde. Die Resi-
denzstadt selbst, Damaskus, hatte wahrscheinlich eine Reihe ähnlicher Paläste auf-
zuweisen, für die wir, was die Disposition der Anlage betrifft, die unmittelbaren Vor-
bilder im syrischen Haurän suchen müssen, wo unter den Ghassaniden die dort seß-
haft gewordenen südarabischen Stämme einen sehr eigenartigen und zurzeit der
islamischen Eroberung hochentwickelten Architekturstil ausgebildet hatten (vgl. Mschatta).
In Mesopotamien war neben den Ruinen der alten Lakhmidenhauptstadt Hira, in einer
Region, die ebenfalls von sabäischen Flüchtlingen aus dem Yemen bewohnt wurde,
über dem Grabe des großen 'Ali das gelehrte Küfa emporgeblüht, das in Künsten und
Wissenschaften mit Baqra wetteiferte und um die Mitte des achten Jahrhunderts auf
kurze Zeit Sitz des Khalifats wurde, ehe die Abbässiden ihre neue Residenz, Baghdäd,
bezogen. Wir haben Kunde von drei Palästen in Hira: der eine as-Sadir, wird nur
kurz genannt, der zweite, al-Khawarnaq, wurde von dem Fürsten Nu'man als Jagd-
schloß für den persischen König Bahram Gür erbaut und später von den Khalifen noch
bisweilen zu demselben Zwecke bezogen, und von einem dritten, al-'Okhaidir, sind
kürzlich interessante Ruinen nachgewiesen worden '). Wir können vermuten, daß diese
vermöge ihrer altarabischen Traditionen einen besonders starken Einfluß auf die Schloß-
bauten von Küfa, Baghdäd, Raqqa und Sämarrä ausübten und sich neben den im
Euphrat-Tigris-Gebiet vorherrschenden rein persischen Elementen als wichtigste Ingre-
dienz durchsetzten. Und die mesopotamischen Denkmäler wiederum waren der wesent-
lichste Faktor in der Ausbildung des maghribinischen Stiles, der in den Ländern des
Sonnenunterganges sehr bald zu einheitlichen und charakteristischen Formen gelangen
sollte, nachdem die Errichtung des westlichen Khalifats in Cordova die endgültige
politische Trennung vom Orient herbeigeführt hatte.
In Qairüän, der ältesten der afrikanischen Residenzen, sah schon Edrisi, der sie
um 1130 besuchte, nur noch Ruinen von Qabra, dem Sitz der Regierung, und von
den einst weltberühmten Schlössern von Raqqäda mit ihren herrlichen Gärten, in denen
die Aghlabiten Hof gehalten hatten. Ebenso sind die Paläste von Manqüria und
Abbässia, die vor den Toren gelegen waren, spurlos verschwunden.
9 cf. L. Massignon, Les diäteaux des princes de Hirah. Gaz. des Beaux-Arts, 1909, avril.
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