II. Jahrg. Heft 12 1909
Ein unbekanntes Gemälde Wolf Hubers
Von Philipp Maria Halm
Dem umfangreichen Werk Wolf Hubers an Zeichnungen steht nur eine sehr
geringe Zahl von Gemälden gegenüber. Ich reihe den vollkommen gesicherten in Feldkirch,
Berlin (Sammlung v. Kaufmann und Kaiser Friedrich-Museum), Wien (Hof-Museum),
Kremsmünster und St. Florian ein weiteres an, das bisher nicht die verdiente Berück-
sichtigung gefunden hat. Es ist eine „Heimsuchung Mariä", die mir unter den Öl-
gemälden aus dem „Kunstbesitz eines bekannten norddeutschen Sammlers", gelegentlich
der jüngsten Auktions-Ausstellung bei Hugo Helbing, sogleich als unzweifelhaftes Werk
des Passauer Malers aufgefallen war. Die beifolgende Abbildung überhebt mich einer
eingehenden Beschreibung sowie der näheren Beweisführug für meine Behauptung. Nur
ergänzend will ich erwähnen, was die Netzätzung an Farbe schuldig bleibt: Elisabeth
trägt eine Jacke in dem gleichen schmutzigen Grün, wie es uns z. B. am Nikodemus
der Feldkircher Beweinung und an dem einen Engel der dazu gehörigen Predella mit
dem Vera-Ikon begegnet1). Ferner sprechen das Rostrot des Gewandes der das
Gepäck tragenden Dienerin und die Mischung von Gelb und Orange im Habit des
greisen Zacharias, dann die geblauten weißen Kopftücher der beiden heiligen Frauen
nicht weniger deutlich für Hubers Hand als die mit der liebevollsten Sorgfalt durch-
studierte, etwas zu schwer im Grün gehaltene Baumkulisse links und die duftige Fern-
sicht rechts mit den blaugrünen Rundtürmen an der einsamen Bucht. All das ist echt
huberisch und läßt kein Bedenken über die Zuweisung an unsern Meister aufkommen.
Der neue Wolf Huber steht dem im Januarheft der „Amtlichen Berichte aus den könig-
lichen Kunstsammlungen" (1909, S. 87) von Voss veröffentlichten Bilde der „Flucht nach
Ägypten" desselben Meisters am nächsten, wenigstens was die Szenerie, die räumliche
Tiefenwirkung und die Stellung und Größenverhältnisse der Figuren zur Landschaft
anlangt. Wenngleich ich die Flucht nur nach der dort gebotenen Abbildung zu
beurteilen in der Lage bin, glaube ich nichts destoweniger noch auf weitere Beziehungen
zwischen beiden Bildern hinweisen zu dürfen. Der Kopf Mariens ist beide Male völlig
der gleiche und deckt sich auch aufs engste mit jenem der Wiener Kreuzerhöhung, in
9 Über die von Riggenbach, „Der Maler und Zeichner Wolfgang Huber", bestrittene Zu-
sammengehörigkeit vgl. Halm, Zu Wolf Huber und der Kunst des Donaustils in „die christliche
Kunst" V (1908) S. 78.
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