Im Jahre 1706 wurde der Gonfalone vom Hochaltar fortgenommen, 1797 in grau-
samster Weise „gereinigt", dann als wertloses Gerümpel in eine Dachkammer
geworfen, die als Taubenschlag diente, schließlich wieder hervorgeholt und von
dem Peruginer Maler Carattoli mit einer dicken Schmutzschicht überschmiert.
Nach allen diesen Mißhandlungen ist das Bild heute eine traurige Ruine, und nur
liebevolles Versenken in die Einzelheiten läßt noch hier und da Spuren der ehe-
maligen Schönheit erkennen. Für die Stilkritik aber ist es nahezu unbrauchbar.
Auch wenn wir die Kopie des Gonfalone zu Rate ziehen, die im Jahre 1631 ein
mittelmäßiger Provinzmaler, Francesco Ranucci angefertigt hat, gelangen wir höch-
stens dazu, uns eine Vorstellung von der Komposition des Ganzen zu machen, die
in der Darstellung der Dreieinigkeit recht deutliche Anklänge an Timoteo Vitis
gleichnamiges Bild in der Brera aufweist, während die Gestalt Gottvaters auf eine
Oxfordzeichnung Raffaels zurückgeht1).
Als drittes Werk folgte sodann die Kreuzigung, die er im Jahre 1503 für die
Kirche S. Domenico gemalt hat. Das Bild wird uns noch später beschäftigen.
Über die Krönung des heiligen Nikolaus, deren wir Anfangs gedachten, war man
bis vor Kurzem auf Vermutungen angewiesen. Ältere Schriftsteller, und auch noch
Crowe-Cavalcaselle, nahmen den Zeitraum zwischen 1502 und 1504 für die Ent-
stehung des Werkes an. Durch die Dokumente Magherini-Grazianis erfahren wir
aber das genaue Datum des Auftrages, 10. Dezember 1500, der Vollendung des
Bildes, 13. September 1501, den vereinbarten Preis, 33 Dukaten, den Namen des
Auftraggebers, Andrea di Tommaso Baronci, und, was wichtiger ist, den Namen
eines Arbeitsgenossen, dem jedenfalls ein bedeutender Anteil an dem Werke zu-
kommt, da er als Mitkontrahent auftritt, Evangelista di Pian di Meleto.
Vasari bezeichnet die Krönung des heiligen Nikolaus als das erste der in Cittä
di Castello ausgeführten Werke Raffaels; er gibt ferner an, daß Raffael das Bild
im Stile der Krönung Mariä gemalt hat, die aus Perugia in die vatikanische Ge-
mäldegalerie gelangt ist. Luigi Lanzi war der erste, der in seiner Geschichte der
Malerei Italiens 1823 eine Beschreibung des Werkes gab, die für alle späteren
Raffael-Biographen bis auf Passavant maßgebend blieb, in Ermangelung des ver-
schollenen Originals 2). Wie Raffaels Jugendwerk verkauft wurde und dann für immer
den Blicken der Forscher entschwand, berichten mehrere ältere Autoren. Im
September 1789 stürzte während eines verheerenden Erdbebens die Kirche S. Ago-
stino ein und begrub unter ihren Trümmern das kostbare Bild. Um den Mönchen
den Wiederaufbau ihrer Kirche zu ermöglichen, gaben die Brüder Domenichini-Trovi,
die Besitzer des Altars, die Erlaubnis, das Bild zu verkaufen. Jedoch sollte auf Kosten
der Augustiner eine Kopie für den wiederhergestellten Altar gemalt werden"). Ein
Käufer fand sich schließlich in der Person Papst Pius' VI, der den oberen, schwer
beschädigten Teil in einzelne Stücke zerschneiden ließ und das Hauptstück mit
den Fragmenten in seinen Privatgemächern bewahrte. Nach Passavant verschwand
das Ganze in der Zeit der französischen Invasion. Moroni, ein Zeitgenosse, be-
richtet noch, daß der Papst kurz vor dem Einrücken der Franzosen die Kirchen-
schätze aus Loreto und kostbare Stücke aus der vatikanischen Sammlung und aus
der Engelsburg nach Terracina bringen ließ, wo sie aber keineswegs der Gier der
(1) S. Herbert Cook in der Gazette des Beaux-Arts 1900, p. 177 u. ff.
(2) Storia pittorica, Milano, 1823, Bd. II, p. 52. Siehe auch 5° Aufl. Florenz 1834, Bd. II, p. 40 und
die davon abweichende Beschreibung Pungileonis (Elogio storico p. 34 u. ff.).
(3) Die auf den Verkauf bezüglichen Urkunden im Stadtarchiv zu Cittä di Castello wurden von Adamo
Rossi im Giornale di Erudizione artistica, Perugia, Nuova Serie, 1883, p. 13—16 veröffentlicht.
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samster Weise „gereinigt", dann als wertloses Gerümpel in eine Dachkammer
geworfen, die als Taubenschlag diente, schließlich wieder hervorgeholt und von
dem Peruginer Maler Carattoli mit einer dicken Schmutzschicht überschmiert.
Nach allen diesen Mißhandlungen ist das Bild heute eine traurige Ruine, und nur
liebevolles Versenken in die Einzelheiten läßt noch hier und da Spuren der ehe-
maligen Schönheit erkennen. Für die Stilkritik aber ist es nahezu unbrauchbar.
Auch wenn wir die Kopie des Gonfalone zu Rate ziehen, die im Jahre 1631 ein
mittelmäßiger Provinzmaler, Francesco Ranucci angefertigt hat, gelangen wir höch-
stens dazu, uns eine Vorstellung von der Komposition des Ganzen zu machen, die
in der Darstellung der Dreieinigkeit recht deutliche Anklänge an Timoteo Vitis
gleichnamiges Bild in der Brera aufweist, während die Gestalt Gottvaters auf eine
Oxfordzeichnung Raffaels zurückgeht1).
Als drittes Werk folgte sodann die Kreuzigung, die er im Jahre 1503 für die
Kirche S. Domenico gemalt hat. Das Bild wird uns noch später beschäftigen.
Über die Krönung des heiligen Nikolaus, deren wir Anfangs gedachten, war man
bis vor Kurzem auf Vermutungen angewiesen. Ältere Schriftsteller, und auch noch
Crowe-Cavalcaselle, nahmen den Zeitraum zwischen 1502 und 1504 für die Ent-
stehung des Werkes an. Durch die Dokumente Magherini-Grazianis erfahren wir
aber das genaue Datum des Auftrages, 10. Dezember 1500, der Vollendung des
Bildes, 13. September 1501, den vereinbarten Preis, 33 Dukaten, den Namen des
Auftraggebers, Andrea di Tommaso Baronci, und, was wichtiger ist, den Namen
eines Arbeitsgenossen, dem jedenfalls ein bedeutender Anteil an dem Werke zu-
kommt, da er als Mitkontrahent auftritt, Evangelista di Pian di Meleto.
Vasari bezeichnet die Krönung des heiligen Nikolaus als das erste der in Cittä
di Castello ausgeführten Werke Raffaels; er gibt ferner an, daß Raffael das Bild
im Stile der Krönung Mariä gemalt hat, die aus Perugia in die vatikanische Ge-
mäldegalerie gelangt ist. Luigi Lanzi war der erste, der in seiner Geschichte der
Malerei Italiens 1823 eine Beschreibung des Werkes gab, die für alle späteren
Raffael-Biographen bis auf Passavant maßgebend blieb, in Ermangelung des ver-
schollenen Originals 2). Wie Raffaels Jugendwerk verkauft wurde und dann für immer
den Blicken der Forscher entschwand, berichten mehrere ältere Autoren. Im
September 1789 stürzte während eines verheerenden Erdbebens die Kirche S. Ago-
stino ein und begrub unter ihren Trümmern das kostbare Bild. Um den Mönchen
den Wiederaufbau ihrer Kirche zu ermöglichen, gaben die Brüder Domenichini-Trovi,
die Besitzer des Altars, die Erlaubnis, das Bild zu verkaufen. Jedoch sollte auf Kosten
der Augustiner eine Kopie für den wiederhergestellten Altar gemalt werden"). Ein
Käufer fand sich schließlich in der Person Papst Pius' VI, der den oberen, schwer
beschädigten Teil in einzelne Stücke zerschneiden ließ und das Hauptstück mit
den Fragmenten in seinen Privatgemächern bewahrte. Nach Passavant verschwand
das Ganze in der Zeit der französischen Invasion. Moroni, ein Zeitgenosse, be-
richtet noch, daß der Papst kurz vor dem Einrücken der Franzosen die Kirchen-
schätze aus Loreto und kostbare Stücke aus der vatikanischen Sammlung und aus
der Engelsburg nach Terracina bringen ließ, wo sie aber keineswegs der Gier der
(1) S. Herbert Cook in der Gazette des Beaux-Arts 1900, p. 177 u. ff.
(2) Storia pittorica, Milano, 1823, Bd. II, p. 52. Siehe auch 5° Aufl. Florenz 1834, Bd. II, p. 40 und
die davon abweichende Beschreibung Pungileonis (Elogio storico p. 34 u. ff.).
(3) Die auf den Verkauf bezüglichen Urkunden im Stadtarchiv zu Cittä di Castello wurden von Adamo
Rossi im Giornale di Erudizione artistica, Perugia, Nuova Serie, 1883, p. 13—16 veröffentlicht.
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