DIE WIRTSCHAFTLICHE LAGE DER BIL-
DENDEN KÜNSTLER IN DER REFOR-
MATIONSZEIT UND DIE ENTWICKLUNG
DER KÜNSTE
EINE WIRTSCHAFTLICH-KUNSTGESCHICHTLICHE STUDIE
.Von BERTHOLD HAENDCKE
Die Reformatoren haben bis in die neueste Zeit stets von neuem den Vorwurf
hören müssen, daß ihre Lehre der Kunst gefährlich geworden bzw. ihr feind-
lich gesonnen gewesen wäre. Ein Körnchen Wahrheit liegt in dieser Behauptung,
wenn man Lutheranismus und Kalvinismus mit einem Blick umspannt. Sie ver-
liert aber ihr Gewicht, wenn wir die indirekten Folgen betrachten — von den
direkten Ergebnissen, die vornehmlich die protestantische Kirchenbaukunst betreffen,
sehe ich hier ab —, welche die Reformation für die Entwicklung der Künste ge-
habt hat. Die unmittelbare Veranlassung für die weitere Ausgestaltung der künst-
lerischen Aufgaben liegt allgemein im Sollen der Zeit, speziell in den wirtschaft-
lichen Veränderungen, welche die Verkündigung und Annahme der neuen Lehre
brachten. Diese letzteren sollen uns zuerst beschäftigen.
Die Kirche brachte im früheren und späteren Mittelalter unleugbar den größeren
Verdienst in die Werkstätten der Maler wie Bildhauer. Ich habe allerdings in
einem Aufsatz in der Zeitschrift für bildende Kunst, Januar 1911: „Die profane
Kunst im früheren Mittelalter, eine grundsätzliche Erörterung," mich sehr bestimmt
gegen die so verbreitete Annahme gewandt, die Kirche sei in dieser Zeit so ziem-
lich der einzige ernstlich in Frage kommende Maecenas gewesen, und darzulegen
mich bemüht, daß eine Beschäftigung der bildenden Künstler für Fürsten wie Bürger
in umfangreichem Maße stattgefunden hat. Die Grundlagen der künstlerischen
Arbeit, die seit dem Durchdringen der Reformationszeit einsetzt, sind trotzdem nicht
ohne weiteres aus der Beschäftigung für den Alltag in der vorreformatorischen
Zeit herzuleiten, sondern aus jenem Bruch mit der alten Kirchenlehre. Dieser
hatte, um es mit einem Wort zu sagen, die Schilderung der gesamten überlieferten
religiösen Vorstellungswelt überflüssig gemacht, den Christen allein auf den geisti-
gen Gehalt der heiligen Schrift verwiesen. Luther hat sich zwar in einem, wie
wir heute sagen würden, freikonservativen Sinne über die Bilder religiösen Inhaltes
ausgesprochen, aber der Anthropomorphismus, der die mittelalterliche Religiosität
in der Christenheit beherrscht hatte, war beseitigt, und damit der Grund für das
Malen und Meißeln der religiösen Legende im engeren und weiteren Sinne, soweit
sie der Erbauung dienen sollte. Dies tatsächliche Ergebnis der hier im Wortsinne
protestierenden Lehre brachte die Maler und Bildhauer in eine schwere finanzielle
Notlage, aus der sie nur eine Erweiterung des Stoffgebietes erretten konnte. Man
muß dabei in Erinnerung behalten, daß bis in die dreißiger Jahre des XVI. Jahr-
hunderts fast ganz Deutschland, von der Nordsee bis an die bayrischen Alpen,
„protestantisch" war. Der große Kurfürst von Bayern, Max I. sagte noch: „Hätten
nicht unsere in Gott ruhenden Eltern mit solchem Eifer und Ernst ob der Religion
und Priesterschaft gehalten, durch die geistliche Obrigkeit wären dieselben wegen
ihrer Konvenienz und Kaltsinnigkeit nit erhalten worden". Im Jahre 1564 sollen
sich sogar noch in Österreich nur ein Drittel Katholiken befunden haben. Erst
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DENDEN KÜNSTLER IN DER REFOR-
MATIONSZEIT UND DIE ENTWICKLUNG
DER KÜNSTE
EINE WIRTSCHAFTLICH-KUNSTGESCHICHTLICHE STUDIE
.Von BERTHOLD HAENDCKE
Die Reformatoren haben bis in die neueste Zeit stets von neuem den Vorwurf
hören müssen, daß ihre Lehre der Kunst gefährlich geworden bzw. ihr feind-
lich gesonnen gewesen wäre. Ein Körnchen Wahrheit liegt in dieser Behauptung,
wenn man Lutheranismus und Kalvinismus mit einem Blick umspannt. Sie ver-
liert aber ihr Gewicht, wenn wir die indirekten Folgen betrachten — von den
direkten Ergebnissen, die vornehmlich die protestantische Kirchenbaukunst betreffen,
sehe ich hier ab —, welche die Reformation für die Entwicklung der Künste ge-
habt hat. Die unmittelbare Veranlassung für die weitere Ausgestaltung der künst-
lerischen Aufgaben liegt allgemein im Sollen der Zeit, speziell in den wirtschaft-
lichen Veränderungen, welche die Verkündigung und Annahme der neuen Lehre
brachten. Diese letzteren sollen uns zuerst beschäftigen.
Die Kirche brachte im früheren und späteren Mittelalter unleugbar den größeren
Verdienst in die Werkstätten der Maler wie Bildhauer. Ich habe allerdings in
einem Aufsatz in der Zeitschrift für bildende Kunst, Januar 1911: „Die profane
Kunst im früheren Mittelalter, eine grundsätzliche Erörterung," mich sehr bestimmt
gegen die so verbreitete Annahme gewandt, die Kirche sei in dieser Zeit so ziem-
lich der einzige ernstlich in Frage kommende Maecenas gewesen, und darzulegen
mich bemüht, daß eine Beschäftigung der bildenden Künstler für Fürsten wie Bürger
in umfangreichem Maße stattgefunden hat. Die Grundlagen der künstlerischen
Arbeit, die seit dem Durchdringen der Reformationszeit einsetzt, sind trotzdem nicht
ohne weiteres aus der Beschäftigung für den Alltag in der vorreformatorischen
Zeit herzuleiten, sondern aus jenem Bruch mit der alten Kirchenlehre. Dieser
hatte, um es mit einem Wort zu sagen, die Schilderung der gesamten überlieferten
religiösen Vorstellungswelt überflüssig gemacht, den Christen allein auf den geisti-
gen Gehalt der heiligen Schrift verwiesen. Luther hat sich zwar in einem, wie
wir heute sagen würden, freikonservativen Sinne über die Bilder religiösen Inhaltes
ausgesprochen, aber der Anthropomorphismus, der die mittelalterliche Religiosität
in der Christenheit beherrscht hatte, war beseitigt, und damit der Grund für das
Malen und Meißeln der religiösen Legende im engeren und weiteren Sinne, soweit
sie der Erbauung dienen sollte. Dies tatsächliche Ergebnis der hier im Wortsinne
protestierenden Lehre brachte die Maler und Bildhauer in eine schwere finanzielle
Notlage, aus der sie nur eine Erweiterung des Stoffgebietes erretten konnte. Man
muß dabei in Erinnerung behalten, daß bis in die dreißiger Jahre des XVI. Jahr-
hunderts fast ganz Deutschland, von der Nordsee bis an die bayrischen Alpen,
„protestantisch" war. Der große Kurfürst von Bayern, Max I. sagte noch: „Hätten
nicht unsere in Gott ruhenden Eltern mit solchem Eifer und Ernst ob der Religion
und Priesterschaft gehalten, durch die geistliche Obrigkeit wären dieselben wegen
ihrer Konvenienz und Kaltsinnigkeit nit erhalten worden". Im Jahre 1564 sollen
sich sogar noch in Österreich nur ein Drittel Katholiken befunden haben. Erst
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