hervorragenden literarischen Talenten des Meisters
selbstverständlich. Corinth gehört ebensowenig
wie Leistikow zu den zaghaften Naturen, die ängst-
lich jedes Wort, das der Druckerschwärze über-
liefert werden soll, auf die Wagschale legen. Er
ist temperamentvoll und derb-gesund und darum
liest man auch in seinem Buch manch kräftig
Wörtlein, mit dem er dem gemeinsamen Gegner
zu Leibe geht. Aber auch das ist reizvoll, denn
zu einer trocken-objektiven Schilderung liegt dies
Kapitel deutscher Kulturgeschichte noch garnicht
weit genug hinter uns, und wo es gilt, den Taten
des Freundes die verdiente Anerkennung zu geben,
da wird Corinth selbst zum gleichgesinnten Kämpen.
Ich sagte oben schon, daß der Verfasser es vor-
trefflich verstanden hat, den Künstler und Menschen
Leistikow im Lichte seiner Umgebung und seiner
Zeit darzustellen und wenn auch in den ersten
Kapiteln das Kulturgeschichtliche stärker überwiegt
gegenüber dem rein Künstlerischen, das erst in
den Schlußkapiteln auf das Leistikowsche Schaffen
konzentriert wird, so berühren sich doch hier wie
dort überall die Momente des Einzellebens mit
den wichtigen Momenten im Werden der Zeit.
Als solche mögen die literarischen Kämpfe, die
Weltausstellung in Paris 1889, die Vereinigung
der XI, die Affäre Munch im Verein Berliner
Künstler, die Begründung der Sezession (1889),
der Salon Paul Cassirer und endlich die Gründung
des deutschen Künstlerbundes kurz genannt werden.
Wie aber diese Dinge psychologisch geworden
sind, welches Leistikows Anteil daran gewesen,
das bringt uns überhaupt zum ersten Male Louis
Corinth zum Bewußtsein.
So danken wir dem trefflichen Maler-Schriftsteller
doppelt für sein Werk: Er gab uns das Leben
Leistikows in dem schönen Kleide edler Freund-
schaft und geistiger Gemeinsamkeit, er beschenkte
uns darüber hinaus noch mit einem kulturhistorisch
bedeutsamen Beitrag zu dem Werdegang der Mo-
derne, der vielleicht erst nach hundert Jahren
seinen hohen Wert als Quellenschrift für das Ver-
ständnis einer der wichtigsten Zeitepochen aufzu-
weisen vermag.
Das Buch ist im Verlag von Paul Cassirer er-
schienen, der auch einer von denen gewesen ist,
die an Leistikows Seite gekämpft haben. Es trifft
in seiner äußeren Erscheinung wundervoll die dem
Künstler eigene Note und ist auch unter diesem
Gesichtspunkt voll der Harmonie, die zugleich das
Kennzeichen seines literarischen Wertes ist.
Georg Biermann.
FRIEDRICH KAMMERER, Zur Ge-
schichte des Landschaftsgfühls im
frühen achtzehnten Jahrhundert.
Berlin, S. Calvary & Co. 1909. VIII, 265
Seiten, 8°.
Von den zahlreichen Arbeiten zur Geschichte
des Naturgefühls, die in den letzten Jahren er-
schienen sind, ist Kammerers umfängliche Unter-
suchung ohne Frage eine der feinsten und sorg-
fältigsten. Schon die reichhaltigen bibliographi-
schen Beigaben und die ausführlichen Register
wecken beim ersten Durchblättern des gut ge-
druckten Buches ein günstiges Vorurteil, das sich
bei näherem Zusehen durchaus als berechtigt er-
weist. Auch die geschmackvolle Darstellung ver-
dient hervorgehoben zu werden; nur streift der
gepflegte Stil des Verfassers mitunter hart an
Manier.
Nach einigen theoretischen Auseinandersetzungen
unterrichtet ein ausgezeichnetes Einleitungskapitel
über die Beziehungen zwischen Gartenstil und
Landschaftsgefühl im 17. und 18. Jahrhundert.
Dann wendet sich der Verfasser in der Haupt-
sache einer literarhistorischen Aufgabe zu und
analysiert mit weitem Umblick und Ausblick das
landschaftliche Empfinden Hagedorns und Hallers
gemäß den Wahrnehmungselementen, Gefühls-
komplexen und begleitenden Vorstellungen, die
wir in ihren Dichtungen finden. Kammerer zeigt,
wie in die Entwicklung der dichterischen Land-
schaft ein lebhafteres Tempo kommt, seitdem auch
die Poeten beginnen, mit den Augen der hollän-
dischen Landschaftsmaler zu sehen. Leider sind
die Hinweise auf die gleichzeitige Malerei an
dieser wie an anderen Stellen des Buches nur
sehr knapp; es will mir scheinen, als ob Kam-
merers Darlegungen noch wertvoller geworden
wären, wenn er den Anregungen, die den Dichtern
von der bildenden Kunst her kamen, mehr Be-
achtung geschenkt hätte. Der erste deutsche
Dichter, dem es gelang, die Konvention des
17. Jahrhunderts zu durchbrechen, ist der Ham-
burger Barthold Heinrich Brockes, der bereits
über ein ungemein differenziertes Wahrneh-
mungsvermögen der landschaftlichen Erschei-
nungen verfügt: bei erneuter Lektüre etlicher Par-
tien seines „Irdischen Vergnügens in Gott" fand
ich mich geradezu an Adalbert Stifters minutiöse
Naturschilderungen erinnert. Brockes war jedoch
von keinem erheblichen Einfluß auf den am
gleichen Orte wirkenden Hagedorn, dessen land-
schaftliches Empfinden Kammerer ausführlich zer-
gliedert. Hagedorn wurzelt ganz und gar in der
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selbstverständlich. Corinth gehört ebensowenig
wie Leistikow zu den zaghaften Naturen, die ängst-
lich jedes Wort, das der Druckerschwärze über-
liefert werden soll, auf die Wagschale legen. Er
ist temperamentvoll und derb-gesund und darum
liest man auch in seinem Buch manch kräftig
Wörtlein, mit dem er dem gemeinsamen Gegner
zu Leibe geht. Aber auch das ist reizvoll, denn
zu einer trocken-objektiven Schilderung liegt dies
Kapitel deutscher Kulturgeschichte noch garnicht
weit genug hinter uns, und wo es gilt, den Taten
des Freundes die verdiente Anerkennung zu geben,
da wird Corinth selbst zum gleichgesinnten Kämpen.
Ich sagte oben schon, daß der Verfasser es vor-
trefflich verstanden hat, den Künstler und Menschen
Leistikow im Lichte seiner Umgebung und seiner
Zeit darzustellen und wenn auch in den ersten
Kapiteln das Kulturgeschichtliche stärker überwiegt
gegenüber dem rein Künstlerischen, das erst in
den Schlußkapiteln auf das Leistikowsche Schaffen
konzentriert wird, so berühren sich doch hier wie
dort überall die Momente des Einzellebens mit
den wichtigen Momenten im Werden der Zeit.
Als solche mögen die literarischen Kämpfe, die
Weltausstellung in Paris 1889, die Vereinigung
der XI, die Affäre Munch im Verein Berliner
Künstler, die Begründung der Sezession (1889),
der Salon Paul Cassirer und endlich die Gründung
des deutschen Künstlerbundes kurz genannt werden.
Wie aber diese Dinge psychologisch geworden
sind, welches Leistikows Anteil daran gewesen,
das bringt uns überhaupt zum ersten Male Louis
Corinth zum Bewußtsein.
So danken wir dem trefflichen Maler-Schriftsteller
doppelt für sein Werk: Er gab uns das Leben
Leistikows in dem schönen Kleide edler Freund-
schaft und geistiger Gemeinsamkeit, er beschenkte
uns darüber hinaus noch mit einem kulturhistorisch
bedeutsamen Beitrag zu dem Werdegang der Mo-
derne, der vielleicht erst nach hundert Jahren
seinen hohen Wert als Quellenschrift für das Ver-
ständnis einer der wichtigsten Zeitepochen aufzu-
weisen vermag.
Das Buch ist im Verlag von Paul Cassirer er-
schienen, der auch einer von denen gewesen ist,
die an Leistikows Seite gekämpft haben. Es trifft
in seiner äußeren Erscheinung wundervoll die dem
Künstler eigene Note und ist auch unter diesem
Gesichtspunkt voll der Harmonie, die zugleich das
Kennzeichen seines literarischen Wertes ist.
Georg Biermann.
FRIEDRICH KAMMERER, Zur Ge-
schichte des Landschaftsgfühls im
frühen achtzehnten Jahrhundert.
Berlin, S. Calvary & Co. 1909. VIII, 265
Seiten, 8°.
Von den zahlreichen Arbeiten zur Geschichte
des Naturgefühls, die in den letzten Jahren er-
schienen sind, ist Kammerers umfängliche Unter-
suchung ohne Frage eine der feinsten und sorg-
fältigsten. Schon die reichhaltigen bibliographi-
schen Beigaben und die ausführlichen Register
wecken beim ersten Durchblättern des gut ge-
druckten Buches ein günstiges Vorurteil, das sich
bei näherem Zusehen durchaus als berechtigt er-
weist. Auch die geschmackvolle Darstellung ver-
dient hervorgehoben zu werden; nur streift der
gepflegte Stil des Verfassers mitunter hart an
Manier.
Nach einigen theoretischen Auseinandersetzungen
unterrichtet ein ausgezeichnetes Einleitungskapitel
über die Beziehungen zwischen Gartenstil und
Landschaftsgefühl im 17. und 18. Jahrhundert.
Dann wendet sich der Verfasser in der Haupt-
sache einer literarhistorischen Aufgabe zu und
analysiert mit weitem Umblick und Ausblick das
landschaftliche Empfinden Hagedorns und Hallers
gemäß den Wahrnehmungselementen, Gefühls-
komplexen und begleitenden Vorstellungen, die
wir in ihren Dichtungen finden. Kammerer zeigt,
wie in die Entwicklung der dichterischen Land-
schaft ein lebhafteres Tempo kommt, seitdem auch
die Poeten beginnen, mit den Augen der hollän-
dischen Landschaftsmaler zu sehen. Leider sind
die Hinweise auf die gleichzeitige Malerei an
dieser wie an anderen Stellen des Buches nur
sehr knapp; es will mir scheinen, als ob Kam-
merers Darlegungen noch wertvoller geworden
wären, wenn er den Anregungen, die den Dichtern
von der bildenden Kunst her kamen, mehr Be-
achtung geschenkt hätte. Der erste deutsche
Dichter, dem es gelang, die Konvention des
17. Jahrhunderts zu durchbrechen, ist der Ham-
burger Barthold Heinrich Brockes, der bereits
über ein ungemein differenziertes Wahrneh-
mungsvermögen der landschaftlichen Erschei-
nungen verfügt: bei erneuter Lektüre etlicher Par-
tien seines „Irdischen Vergnügens in Gott" fand
ich mich geradezu an Adalbert Stifters minutiöse
Naturschilderungen erinnert. Brockes war jedoch
von keinem erheblichen Einfluß auf den am
gleichen Orte wirkenden Hagedorn, dessen land-
schaftliches Empfinden Kammerer ausführlich zer-
gliedert. Hagedorn wurzelt ganz und gar in der
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