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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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Die Untersuchung dieses Gemäldes (dessen Maler Melzi sein möchte; siehe Pflan-
zen, unfeine Umrisse und weich-sinnlichen Charakter), ja schon einer guten Photo-
graphie, läßt die Übermalungen: Pantherfell, Efeukranz, Weintraube, Beseitigung des
Querholzes beim Rohrkreuz, erkennen, wie das auch Passavant, Waagen und Villot
längst festgestellt haben1). Die zeigende Hand, die so typisch für den hl. Täufer ist,
hätte, auf einen Bacchus angewandt, anstößig erscheinen müssen. Aber wir können
dank den Forschungen von Fernand Engerand (Nicolas Bailly, Inventaire des
Tableaux du Roy publ. p. F. E., S. 5) sogar den Zeitpunkt der Umwandlung
des Johannesbildes in einen Bacchus ziemlich genau festlegen. Der Konservator
Le Brun nennt 1683 das Bild noch St. Jean; Paillet schreibt 1695 zunächst „St. Jean
au desert". Dieser Titel ist dann ausgestrichen und darüber gesetzt: „Baccus dans
un paysage". Am Rande liest man: „est appele St. Jean dans les anciens inven-
taires". In dem Verzeichnis des Nic. Bailly (1709—10) führt das Bild schon einfach
den Titel „Baccus". Also fällt die Umgestaltung, für welche die Veranlassung in
der schon von Cassiano del Pozzo bemängelten wenig religiösen Auffassung gelegen
haben mag, zwischen 1695 und 1709.
Hat nun Leonardo, wie heute noch allgemein angenommen wird, überhaupt
ein Bild des Bacchus entworfen oder gar gemalt?
Das wirksamste, für weitere Kreise entscheidende Argument für diese Annahme
— nämlich das Exemplar des Louvre — ist, wie wir oben gesehen, nichts anderes
als eine Maske gewesen, die man um 1700 dem Bilde des hl. Johannes B. aufge-
malt hat. (Solmi, L. d. V. 183 nahm umgekehrt an, die Schüler Leonardos hätten
die heidnische Komposition des Meisters christlich umgestaltet!) Aber auch die
beiden anderen Beweismittel, die wir Campori (Nuovi documenti 1865, S. 10—11)
verdanken, erweisen sich bei näherem Zusehen — das eine als ein Nichts, das
andere als zu schwach in seiner Vereinsamung. Der Mailänder Ant. Maria Palla-
vicino besaß im April 1505 „einen Bacchus", den er dem Kardinal d'Amboise ver-
sprochen hatte; schon das Fehlen des Namens des Künstlers spricht gegen Leo-
nardos Autorschaft, der dies Werk auch bereits in Mailand vor 1500 geschaffen
haben müßte. M. E. besteht die höchste Wahrscheinlichkeit, daß es sich um eine
antike Statue gehandelt hat. Die sehr unkritische Verwendung dieser Notiz durch
Milanesi-Vasari IV, 60 für ein derartiges Gemälde Leonardos hatte Uzielli, Ricerche
intorno a L. d. V. I, 2, 544 2 schon scharf verwiesen. Da bleibt noch das in einem
Manuskriptbande der Bibliothek in Ferrara enthaltene elegante Distichon des
ferraresischen Schriftstellers Flav. Ant. Giraldi (v. Seidlitz, II, 127, schreibt Flor.
Ant. Grimaldi, und Siren, 304, nennt ihn den florentinischen Dichter Grimaldi!).
Bacchus Leonardi Vincii:
Tergeminum posthac mortales credite Bacchum,
Me peperit docta Vincius ille 2) manu.
Der Verfasser wird allgemein (bei Müntz, v. Seidlitz, Herzfeld) als „Zeitgenosse"
Leonardos bezeichnet, doch hatte der Finder des Distichons, Gius. Campori (Gaz.

(1) Auch das Baumgestrüpp auf dem Felsen muß wegen des routinierten „Baumschlages" späte Über-
malung sein und die flaue Landschaft mit dem schlanken Baum, der den Vordergrund abschließt,
kann nicht von derselben Hand herrühren, die die Akeleistaude so gediegen, wenn auch etwas hart
nach der Natur ausführte, v. Seidlitz II. 128 spricht nicht von diesen Übermalungen und hält das Bild
für eine „mailändische Umgestaltung in einen heidnischen Gott"; ähnlich Siren, S. 236. — G. Gronau
(L. d. V. 146) gibt richtig die Abänderung an, verlegt sie aber schon in Leonardos Zeit.

(2) Nicht „ecce", wie öfters gedruckt wird.

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