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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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Hamann, Richard: Die Methode der Kunstgeschichte und die allgemeine Kunstwissenschaft, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0115

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DIE METHODE DER KUNSTGESCHICHTE UND
DIE ALLGEMEINE KUNSTWISSENSCHAFT
... Von R. HAMANN
Π. HISTORISCHE GESETZE UND EINMALIGKEIT
DES HISTORISCHEN FAKTUMS.
Ist es Aufgabe der Geschichtsforschung, an einem qualitativ bestimmten Ereignis seine
zeitörtliche Fixierung vorzunehmen, so ist es selbstverständlich, daß die Geschichte von
einmaligen Ereignissen handelt, denn die erkenntnistheoretische Bedeutung unseres
Raum-Zeitbegriffes besteht ja eben darin, durch Bestimmung des Zeit- und Raumpunktes
ein Objekt als eins und dasselbe festzulegen, um seine Identität auf Grund raumzeitlicher
Kontinuität festzuhalten, selbst wenn es sich qualitativ ändert, oder Mehrmaligkeit
auf Grund raumzeitlicher Verschiedenheit zu behaupten, auch wenn qualitative Gleich-
heit besteht. Keineswegs aber ist jedes Urteil über ein Einzelding schon ein historisches.
Daraus geht also hervor, daß diese Einmaligkeit in der historischen Feststellung, die
Festlegung eines qualitativ bekannten Ereignisses als dies oder jenes, oder die
qualitative Bestimmung eines zu füllenden Raumzeitpunktes durchaus nicht die
qualitative Einzigartigkeit des historischen Ereignisses notwendig macht, und damit
keineswegs die Wiederkehr des Gleichen, d. h. des Gleichartigen auschließt. Was
uns die politische Geschichte von Kriegen und Friedensschlüssen, Regierungen und
Staatshandlungen erzählt, ist im Grunde ja so qualitativ gleichartig, daß ein ge-
ringes Begriffsmaterial ausreicht, um das raumzeitlich Individualisierte zu beschreiben.
Die Gleichartigkeit auch des menschlichen Geschehens ist es ja, die zu einer Fülle
von psychologischen Erfahrungen geführt hat, um, wenn auch nicht mit der Sicher-
heit von Naturgesetzen, bei der Rekonstruktion unvollständig überlieferter Ereig-
nisse auf das Fehlende zu schließen. Das gilt, wie wir gesehen haben, auch von
Kunstwerken. Bei aller Ungleichartigkeit und Originalität der Kunstwerke finden sich
doch gewisse, wiederkehrende Gesetzlichkeiten, die auch hier bei der Rekonstruktion
Dienste leisten, sei es auch nur eine an sich so belanglose Erfahrung, daß zwei
Gegenstände, die mit einer ihrer Seiten (Bruchstellen) genau aufeinander passen,
ein einziger Gegenstand gewesen sind. Immerhin werden wir hier nicht von histo-
rischen Gesetzen reden. Sie erklären das Faktum unabhängig von seiner Zeit- und
Raumlage und erlauben wohl die Ergänzung eines historischen Faktums, aber nicht
die Attribuierung des Faktums überhaupt oder die Rekonstruktion von Grund auf.
Dies aber würde die methodische Bedeutung historischer Gesetze sein, wie aller
Gesetze, daß aus allgemeinen Erfahrungen heraus einem Subjekt ein empirisch nicht
gegebenes historisches Prädikat beigelegt werden kann, d. h. aber, daß wir aus einem
qualitativ bestimmten Faktum auf seine raumzeitliche Bestimmung, und von der raum-
zeitlichen Bestimmung auf die Qualität der in ihm sich vollziehenden Ereignisse schlie-
ßen können. Eine gesetzmäßige Beziehung zwischen Qualität der Objekte
und zeitörtlicher Identifizierung, das ist das methodische Prinzip der historischen
Gesetze. Und nun helfen uns nicht dogmatische Behauptungen, weder die, daß es
keine historischen Gesetze gäbe, und sich kein historisches Faktum wiederhole, noch
die, daß zu bestimmten Zeiten das Gleiche wiederkehre, also zeitlich wie das
Eintreffen einer Gestirnkonstellation zu berechnen wäre. Es handelt sich vielmehr darum,
daß die Kunstgeschichte schon längst die Methode befolgt, aus der Qualität der Er-
eignisse auf ihre zeitlich-örtliche Bestimmung zu schließen. Die Methode der Stil-

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