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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Steinmann, Ernst: Raffael im Musée Napoléon
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0035

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Ja, den größten Kunstwerken, die Italien besaß, ist der Vandalismus und die un-
bezwingliche Raubsucht des französischen Heeres zum Verhängnis geworden. Die
Krönung des hl. Nikolaus von Tolentino verschwand bei der allgemeinen Plünde-
rung des Vatikans aus den Gemächern Pius VI. und es gelang erst vor kurzem
einem deutschen Gelehrten, einige Fragmente des Gemäldes wieder aufzufinden1).
Ein glaubwürdiger englischer Reisender, der Mailand im Jahre 1802 besuchte, datiert
die Zerstörung des Abendmahls Lionardos vom Jahre 1796 und behauptet, die Fran-
zosen hätten den Christus- und die Apostelköpfe als Zielscheibe für ihre Schießübungen
benutzt2). Der schmachvolle Raub und die teilweise Zerstörung der Sixtinateppiche
Raffaels durch die Franzosen ist eine allgemein bekannte Tatsache 3), — aber der
historischen Begründung, warum ein fremdes Element den reinen Charakter Raffaels
in seinen großen Tafelbildern in Rom und Bologna verschleiert, ist noch niemand
im einzelnen nachgegangen.
„Jedes Bild" schrieb der Biograph Napoleons, Sir Walter Scott, als er im Musee
Napoleon die aufgehäuften Kunstschätze betrachtete 4), „jedes Bild hat seine eigene,
besondere Geschichte von Mord und Raub und Heiligtumsschändung. Es war viel-
leicht in Bonapartes Charakter die schlimmste Seite, daß er mit festem, beharr-
lichen Verfolgen seiner eigenen Pläne und Interessen von der Schlacht zur Plün-
derung überging, weniger Soldat wie gemeiner Räuber, dessen unmittelbarer Zweck
es ist, den Reisenden zu berauben, den er eingeschüchtert oder vergewaltigt hat".
Gewiß die Schicksale von Kunstwerken sind noch wechselvoller als die der Men-
schen, und eine schwere Schicksalsstunde brach über Raffaels Meisterwerke herein,
als Napoleon die Zügel der Weltherrschaft ergriffen hatte.
Man stelle sich vor, was damals für alle diese Bilder ein Massentransport von
Italien nach Frankreich und von Frankreich zurück nach Italien bei der Verpackung
bedeuten mußte, die Reichardt geschildert hat, man lese die Urteile von Zeitgenossen
über die vielgepriesenen Restaurationsarbeiten in Paris, man sehe mit eigenen Augen,
was aus der Verklärung Christi, der Madonna di Foligno und der hl. Cäcilie von
Bologna geworden ist — und man wird zugeben müssen, daß sich die Franzosen
unter Napoleon an Raffaels Namen nicht weniger versündigt haben, wie an ihrem
eigenen Kunstbesitz während der französischen Revolution.

(1) Vgl. die schöne Arbeit von Oskar Fischel im Jahrbuch d. K. Pr. Kunstsammlung. XXX (1912), S. 105 ff.

(2) John Chetwode Eustace, A classical tour through Italy in 1802. London 1817 (Fourth edition)
IV, 29: It was used as a target for the soldiers to fire at. The heads were their favorite marks and
that of our saviour in preference.

(3) Weniger bekannt dürfte es sein, daß die Teppiche Raffaels während der Industrieausstellung im
September 1799 im Louvre aufgehängt waren: Pendant les six jours complementaires, la cour du
Palais national des Sciences et des arts a ete tendue des tapisseries, des gobelins et de celles du
Vatican, faites sur les dessins de Raphael. Vgl. Aulard, Paris pendant la reaction thermi-
dorienne et sous le directoire V, 741.

(4) Pauls letters to his kinsfolk. Miscellaneous works. Paris 1837, vol. IV, 129.

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