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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Zucker, Paul: Zur Kunstgeschichte des klassizistischen Bühnenbildes
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0075

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ZUR KUNSTGESCHICHTE DES KLASSI-
ZISTISCHEN BÜHNENBILDES......
Mit fünfzehn Abbildungen auf sieben Tafeln Von PAUL ZUCKER

Gleich den Architekturdarstellungen auf Gemälden stehen die Raumbil-
dungeh und Bauten auf der Bühne zu den wirklichen Bauwerken ihrer
Epoche in einer eigenartigen Beziehung. Von technischen Bedingungen und
ökonomischen Voraussetzungen vollkommen gelöst, lassen sie den Stilwillen
der Zeit ungehemmt in Erscheinung treten 9, ja der Begriff des Theaters bringt
fast selbstverständlich sogar eine gewisse Übertreibung in formaler und dimen-
sionaler Hinsicht mit sich. Andererseits wirken auch wirklich errichtete Bauten
— im Spezialfalle des Klassizismus auch Ausgrabungen, Ruinen usw. — so stark
auf den allgemein vorhandenen Kreis fester optischer Vorstellungen, daß man
verlangt, ihre Nachbildungen oder Schöpfungen ähnlicher Art auf der Bühne
zu sehen. Der Architekt des Bühnenbildes wird also im Sinne seiner Zeit
„ideale" Raumschöpfungen zu komponieren versuchen.
Bis in die siebziger Jahre des achtzehnten Jahrhunderts herrschte der Stil der
Bibiena, ein ausgesprochen illusionistischer Barock, fast auf allen europäischen
Bühnen von einiger Bedeutung. Das Schaffen der Theaterarchitekten und Deko-
rationsmaler war ja im achtzehnten Jahrhundert ein vollkommen internationales,
— die Theater in Rom und St. Petersburg, Potsdam und Versailles, Amsterdam
und Bologna folgten in der Ausgestaltung ihrer Bühnen den gleichen optischen
Gesetzen, ja vertrauten sie oft dem gleichen Künstler an. Die durch die Erfin-
dung der Winkelperspektive2) entstandenen Möglichkeiten einer unbeschränkten
Tiefenillusion führten im Laufe ihrer Weiterentwicklung in Verbindung mit
den allgemeinen formalen Tendenzen des ausgehenden Barock zu einem über-
aus gesteigerten, ja fast hemmungslosen Rausch der Formen, der naturgemäß auf
dem Theater noch stärker in Erscheinung trat, als bei der kirchlichen und
bürgerlichen Baukunst und Dekoration. Flächen und Körper werden aufgelöst,
(i) Vgl. Burckhardt, Gesch. d. Ren., § 32 a.
(2) Vgl. P. A. Pozzo. Perspectiva pictorum atque architectorum partes II. Romae 1693
bis 1700. Die deutsche Übersetzung davon erschien: I. Teil übersetzt von Johannes Box-
barth. Augsburg 1708. II. Teil übersetzt von Georg Konrad Bodener. Augsburg 1709.
Andere deutsche, italienische, selbst englische Ausgaben folgen. Über Bühnendekoration
ausführlich in: A. Pozzo Der Mahler und Baumeister Perspectiv / Zweyter Teil / Worinn
die allerleichteste Manier / wie man was zur Baukunst / gehörig / in der Perspective bringen
solle/ berichtet wird / Augsburg 1749. Vgl. ferner Ferdinando Galli-Bibiena: Disegni delle
scene ehe servano alle due opere ehe si rappresentano l'anno corrente nel Reggio Teatro
di Torino. Torino 0. J., ferner Ferdinando Galli-Bibiena, L'Architectura civile preparata
sulla geometria e ridotta alle prospettive considerazioni pratiche usw. Parma 1711 Aus
diesem Werk speziell „la IV. Parte: Un brieve discorso di Pittura e la Prospettiva per li
Pittori di Figure, colla nuova prospettiva delle Scene Teatrali vedute per angolo, oltre
le praticate da tutti gli altri." und endlich: Ferdinando Bibiena: Direzioni a Giovanni
Studenti nel disegno d'Architettura civile. Bologna 1731 und Ferdinando Bibiena: Dire-
zioni della Prospettiva teorica: Parte terza: Della Prospettiva delle Scene Teatrali di
nuove invenzione. Parma 1732. Vgl. auch einzelne Hinweise bei: A. Schwedler. Zur
Perspective des Theaters. Zeitschrift für Bauwesen 1859. Endlich L. Burmester. Grund-
lehren der Theaterperspective. Allgemeine Bauzeitung 1884.

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