Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

DOI article:
Zucker, Paul: Zur Kunstgeschichte des klassizistischen Bühnenbildes
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0084

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
tivisch angelegt sind, nie langweilig. Stilistisch schließt er sich dort, wo er
nicht einfach antike Formen wiedergibt, eng an Palladio an. Die unmittelbare
Übertragung von Bühnenbildern tritt in vielen Fällen klar zutage. So soll z. B.
Tafel 2 dieses Werkes „Carcere oscura" die Übertragung eines Bühnenentwurfes
von Daniel Marot sein. Seinerseits hat dieses Blatt natürlich auch wieder auf
zahlreiche andere Bühnenbilder gewirkt.
Von weit größerem allgemeinen Einfluß als diese Veröffentlichung waren die
1750 erscheinenden „Opere varie di Architettura". Viele Blätter der ersten Samm-
lung sind auch in diese mit aufgenommen. Der Einfluß der Antike zeigt sich
noch viel stärker in den neu hinzugekommenen Stichen, gleichzeitig aber auch
die immer stärker werdende Hinneigung zur typischen Theaterdekoration. Seine
architektonische Auffassung hat sich bereits etwas geändert. Der palladianische
Klassizismus tritt in den Hintergrund, seine Schöpfungen werden in gewissem
Sinne freier. Der Einfluß der ägyptischen Kunst auf ihn tritt deutlicher hervor.
Die Verwendung von Sphinxen, Pyramiden, Lotossäulen und ähnlichem steigt,
es scheint fast eine Art Vorahnung des Empire. Im großen ganzen ist natürlich
die antike Form vollkommen gewahrt. Immer noch nehmen die Rekonstruk-
tionen antiker Gebäude den ersten Platz ein. Blatt 3 dieser Sammlung, ein
„Mausoleo antico eretto per le cineri d'un Imperadore Romano", ist ein Beispiel
dafür. Auch Rekonstruktionen antiker Thermen in geradezu phantastischen
Größenverhältnissen kommen vor. Piranesis Begriffe vom ursprünglichen Zu-
stand der Denkmäler entsprachen nicht ganz den tatsächlichen Verhältnissen,
er träumte in die Ruinen eine Großartigkeit und Einheitlichkeit hinein, die
kaum je in einer einzelnen Anlage vorhanden war. Im Gegensatz zu Pozzo
läßt er die ungeheure Weite seiner Räume mehr vermuten, als er sie wirklich
entwickelt. Mittel dazu sind ihm Durchblicke und Ausblicke, gefaßt von Archi-
tekturgliedern, die an und für sich von äußerster Klarheit und Durchdachtheit
sind. Am höchsten sind vielleicht als Theaterdekorationen seine genialen „Car-
ceri"1) zu werten, vierzehn Kompositionen von Gefängnissen, die er selbst schon
als „Invenzioni capricciosi" bezeichnet. Das Thema des Gefängnisses wurde
auf der Bühne seit dem Ausgange des 16. Jahrhunderts immer und immer
wieder abgewandelt, niemals aber mit einer so großartigen Phantastik wie in
diesen Blättern. Die Räume werden im wesentlichen durch Gewölbe gegeben,
welche, verglichen mit den darin agierenden Menschen, weit über 100 m hoch
sein müssen. Riesige Pfeiler und Wölbungen stützen die Konstruktionen,
Treppen in Holz und Stein, Gerüste und Holzgeländer laufen diagonal und quer
durch den Raum, Gitter unterteilen ihn, Folterwerkzeuge und Hebekräne
erhöhen in ihrer technischen Monstrosität die Schrecken des Ortes. Die Maß-
losigkeit des Raumes wird noch dadurch gesteigert, daß man durch all diese
Wölbungen, Treppen und Brücken hindurch keine Begrenzung in die Tiefe
oder Höhe erblickt2) (vgl. Abb. 6). Zu der grandiosen architektonischen Wirkung

(1) Vgl. G. B. Piranesi. Carceri. Venezia 1770.

(2) Eine sehr interessante Bemerkung eines Theaterfachmannes aus der Mitte des vorigen
Jahrhunderts zu diesen Blättern findet sich in dem handschriftlichen Katalog von Louis
Schneider zu seiner berühmten Theatersammlung (z. Z. Kgl. Bibliothek Berlin): „Es ist dies
eins der sonderbarsten und eigentümlichsten Werke des fruchtbaren Piranesi, von dem
diese Sammlung manches andere Wertvolle aufzuweisen hat. Obgleich nicht direkt auf
das Theater bezüglich, bekunden die Blätter doch, daß der Zeichner ausschließlich für
das Theater arbeitete. Die großartigste, verwegenste Phantasie zeigt sich in diesen chao-

74
 
Annotationen