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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Zucker, Paul: Zur Kunstgeschichte des klassizistischen Bühnenbildes
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0101

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auf der Bühne durch drei Seitenwände, zusammenhängende Decke und Bühnen-
fußboden verstanden. „Aber vergebens gibt man Verbesserungen an, wie die
geschlossenen Säle, die man in mehreren Schauspielen versucht hat, die Kulissen
behalten immer die Oberhand." Die geschlossenen Zimmer kommen in Paris
schon gegen Ende der neunziger Jahre auf1), und zwar mit durchaus wech-
selndem Erfolg. Goethe hat sich in „Dichtung und .Wahrheit" absprechend über
diese Neuheit geäußert, die er als verfehlte Konsequenz der Diderotschen Natür-
lichkeitstheorie auffaßt ,. Und in der Tat ist in diesem Falle der Naturalismus
des Bühnenausschnittes aufs äußerste getrieben "), der Zuschauer sieht in ein
wirkliches Zimmer, dessen vierte Wand eben einfach herausgenommen ist 4).
Breysig ging nun noch weiter als Pujoulx, denn er wollte nicht nur die Zimmer
geschlossen darstellen, sondern selbst die Wiedergabe von Waldlandschaften
auf der Bühne durch enge Aufeinanderfolge in sich zusammenhängender Pro-
spekte geschlossen einrichten, ohne Kulissen und Soffitten.
Ebenso wie Breysig war auch Louis Catel von Hause aus Architekt. Seine
Reformprojekte 5) gingen jedoch nicht von der Bühne allein, sondern gleich vom
Bau des ganzen Theaters aus. Er denkt es sich als ein Rechteck, das vier-
mal so lang als breit ist. An die eine Breitseite schließt sich nach antikem Vor-
bilde im Halbkreis der von einem Halbkuppeldach gekrönte Zuschauerraum an.
Das Rechteck selbst, das für ein Schauspielhaus für ungefähr 1600 Zuschauer
ungefähr 60 Fuß lang sein sollte, bildet das Proszenium und damit die eigent-
liche Bühne. Um die Zerstückelung des Bühnenbildes zu vermeiden, führt Catel
nur ein einziges großes Gemälde, den Schlußprospekt, ein, dehn, wie er richtig
bemerkt, wirkt ein auf Kulissen und Soffitten gemaltes Bild nur immer von
einem Standpunkt aus wirklich illusionistisch. Daher wählt er eine Bühne von
geringer Tiefe und großer Breite, mit einer gemalten Hinterwand von 60 Fuß Höhe
und 180 Fuß Breite (vgl. Abb. 15). Er unterscheidet nun die einzelnen Szenen Unter-
einander der Größe nach: „Die Szene oder der Ort der Handlung kann entweder
einen Raum andeuten, der viel größer als die Bühne oder ebenso groß und
kleiner als jene ist. Zum ersteren Fall gehören alle Szenen, welche freie
Gegenden oder sehr große verschlossene Räume versinnlichen, zum zweiten
alle diejenigen, welche kleine verschlossene Räume vorstellen sollen." Für die
ersterwähnte Art von Szenen verwendet er den Gesamtprospekt. Einzelne
Gegenstände im Vordergründe, wie Häuser, Bäume und dergl., sollen als aus-
geschnittene Praktikabeln vor den Gesamtprospekt vorgestellt werden... „Diese
Objekte müssen auf einer, nach dem Kontur derselben geschnittenen Fläche ab-
gebildet seyn." Sie sollen als seitliche Schieber auf die Bühne gebracht

(1) Vgl. Journal des Luxus und der Moden, Jahrgang 1798.

(2) Vgl. I. Petersen. Schiller und die Bühne. Palaestra, Bd. XXXIII. Berlin 1904.

(3) Vgl. P. Zucker. Stilrichtungen in der Theaterdekoration. Theaterkalender für 1914.
Berlin 1914-

(4) In Berlin wurde die erste geschlossene Zimmerdekoration erst 25 Jahre später an-
läßlich des Lustspieles „Die Steckenpferde" von Wolff auf die Bühne des Schauspiel-
hauses gebracht, aber durchaus ohne Erfolg. Sie verschwand mit der Aufführung dieses
Stückes. Man behauptete, das geschlossene Theater lasse sich nur schlecht beleuchten
und dämpfe den Ton der Rede (vgl. E. Devrient. Geschichte der deutschen Schauspiel-
kunst. Berlin 1905). Übrigens hat man schon vorher bei der von Schinkel dekorierten
Privataufführung des „Faust" 1819 beim Fürsten Radziwill das Arbeitszimmer des Faust
geschlossen und jedes Detail plastisch vollkommen dargestellt.

(5) Vgl. L. Catel. Vorschläge zur Verbesserung der Schauspielhäuser. Berlin 1802.

Monatshefte für Kunstwissenschaft, X. Jahrg., 1917, Heft 2/3 7 gl
 
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