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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Rintelen, F: Dante über Cimabue II
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0116

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Revier. Daher der „grido“, und das „Ruhmrauben" und das „Feldbehaupten" und
das „Verjagen aus dem Nest"; ganz erfüllt sind die Verse von der persönlichen
Beteiligung des Künstlers, seine Sache ist es, die hier verhandelt wird. Gerade
darin besteht ja einer der größten und wichtigsten Reize Dantes, daß er, der
scheinbar eine so starre Ordnung innehält, und der so übermenschlich herbe Ur-
teile spricht, doch in die Logik seiner Ideen das freieste menschliche Mitempfinden
einfließen läßt. Wie oft wird er in der Komödie selbst zum Sünder und nur um
diesen Preis erhebt er sich zur Höhe wahren Dichtertums. Auch hier: die Strafe
der Ruhmsüchtigen ist sein Thema; aber es leidet ihn selber nicht, einen wahren
Jagdlärm des Ruhmes stimmt er an. Die Worte, die Bilder, mit welchen Dante
die Namen der Maler und Dichter umgibt, sind es, was diesen Leben und Interesse
und Preis verleiht.
Für dieses Zusammenklingen zweier Stimmen in des Dichters Worten ist Voßler
nicht empfänglich1), und er verdrängt an unserer Stelle die Poesie des Dichters
durch einen Gedanken, der zwar menschlich ehrenwert sein mag, künstlerisch aber
flau ist. Er behauptet, Dante, der für die Individuen hier gar kein Interesse habe,
wolle lehren, daß „die Sache größer ist als die Personen" und daß „was wächst
und dauert, nicht die Künstler sind, sondern die Kunst". Nein, diese tugendhafte
Verschwommenheit findet sich bei Dante nicht; nicht mit der leisesten Andeutung
weist er uns von dem Individuellen fort in das Gebiet des Allgemeinen. Und wie
käme er auch dazu, von einer „Sache" in abstracto zu sprechen, da er doch weiß,
daß diese Sache hier ganz allein durch die Personen und in den Personen ihr
Dasein besitzt? und noch dazu an dieser Stelle, wo die Nichtigkeit des Stolzes
und des Ruhmes, nicht im Vergleich zu irgendeiner noch so erhabenen Idee, son-
dern einzig wegen der grausamen, aber auch fruchtbaren Macht der Zeit gelehrt
werden sollte.
Und was kann es schließlich bedeuten, wenn jemand sagt, die berühmten Namen
ständen hier „ohne Eigenwert?" Sind denn nicht im Grunde auch die wegen ihrer
Lebendigkeit gefeiertsten Gestalten Dantes der „moralisierenden Exemplifikation" zu-
liebe da? Ich glaube, Dvorak hätte besser getan, die bedenkliche Philosophie
Voßlers nicht in unsere rein historische Diskussion zu ziehen'2).
Dante hat unzweideutig an der Aufeinanderfolge ruhmvoller Männer seine Freude,
und gerade unter dem Schleier der Resignation ist diese Freude von besonderer
Schönheit. Wegen der äußerst feinen Stimmung, die über den Versen gelagert
ist, halte ich auch die seit einiger Zeit hervorgetretene Scheu, in dem letzten
Stück der ganzen Periode, in dem „e forse e nato, chi l'uno e l'altro caccera di
nido" eine Anspielung des Dichters auf sich selbst zu erblicken, für unbegründet.
Man findet, es wäre unzart, wenn Dante hier, wo Demut gepredigt wird, seinen

(i) Darum fühlt er sich im Purgatorium auch wie in einer wohleingerichteten Nervenheilanstalt.

(2) Auch J. v. Schlosser beachtet lediglich das „moralische" Element. Schade; gerade er wäre be-
rufen gewesen, die feine Vermischung von Mittelalterlichem und Humanistischem hier aufzuspüren. —
Ich begreife auch nicht, warum v. Schlosser Dantes so lebendig ausgesprochene, für alle Zeiten gültige,
zu allen Zeiten mögliche Erkenntnis mit dem fast hyperbolischen Ausruf begleitet: „Das Mittelalter
reckt sich noch einmal vor dem jungen Humanismus, der schon an seiner Schwelle steht, zu seiner
ganzen unerbittlichen Größe empor." (Kunstgesch. Jahrb. d. Zent.-Komm.IV,p. 118.) Diese Formel für den
Sachverhalt ist gewiß suggestiver als die meine; aber womit begründet er sie? — Es tut mir weh,
daß auch Schlosser meinen Hinweis auf das doch gewiß nicht moralisch- asketische, sondern ge-
schichtedeutende, sehr humanistisch empfundene „se non e giunta dall' etati, grosse" für nichts ge-
achtet hat.

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