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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Hammer, Heinrich: Andrea Pozzos frühestes Freskowerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0126

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Erst die Kuppelflächen bringen große figurale Kompositionen. In der Langhauskuppel
(Abb. 2) sind Zwickel an den vier Ecken und schmale Lünetten über den Archi-
volten der Seitennischen durch eigene Umrahmung mit Blattkränzen ausgeschieden:
in die Lünetten sind lagernde Putten beiderseits einer Vase gesetzt; in den Zwickeln
aber thronen auf halbrunden Sockeln die allegorischen Frauenfiguren der vier Welt-
teile: es begegnet in ihnen also dasselbe Motiv, wie dann viel nachdrücklicher
noch in S. Ignazio; wie dort, versinnbilden diese Figuren auch hier das über die
ganze Erde ausgebreitete Wirken des Ordens. Es sind Gestalten von großzügigem,
dekorativem Wurfe, und namentlich die , Europa" läßt keinen Zweifel, daß Pozzo
sich wirklich aus Venedig Anregungen geholt und im besondern die weiblichen
Allegorien Veroneses im Dogenpalast angesehen hat. Innerhalb dieser randlichen
Felder entwickelt sich dann im achteckigen, blattkranzumgebenen Spiegel die Haupt-
darstellung. Hier erhebt sich nun zu Häupten des Betrachters eine jener pom-
pösen Scheinrotunden, die zu den spezifischen Erfindungen des Padre gehören:
über den Rand steigt ringsum ein stolzer Arkadenbau auf, der gegen das Innere
in Balkonen vorspringt und hinter schützenden Deckenbrüstungen einen Umgang
zu bieten scheint; Säulen aus geflecktem Stein, ganz den wirklichen in der Kirche
ähnlich, sind ihm, aus Konsolenpaaren über jedem Eckpunkte hervorwachsend, vor-
gesetzt; mit einem wuchtigen, jedesmal über den Säulen verkröpften Gebälk geht
der Bau dann in die Luft aus und gibt in einer Rundöffnung den Ausblick zum
Himmel frei. Hier schwebt der Patron der Kirche, Franz Xaver, mit weit ge-
öffneten Armen und emporgerichtetem Haupte zum Himmel, getragen von einer
Schar großer Engel. Andere haben sich, in stärkster Verkürzung von unten ge-
sehen, auf die Vorsprünge des Gebälks niedergelassen oder stehen vollends unten
in den Arkadenöffnungen und begrüßen den Heiligen mit Lautenklang, Zimbelschlag,
Geigen und Trompeten. — In ähnlicher Weise ist das Chorbild (Abb. 1) behandelt.
Über dem wirklichen Gesimse scheint sich eine Rundgalerie zu befinden, über die
sich ein in monumentalen Formen gehaltener Kuppelbau erhebt: wieder bietet er
aber nicht nur zwischen seinen Säulenpaaren Ausblicke ins Freie, sondern geht
nach oben in eine geländerumstandene Öffnung aus, von welcher schwere Drape-
rien herabhängen. Engel mit Spruchbändern sind ins Innere geschwebt; auf der
Empore aber drängt sich ein Haufe Volks, teils auf der Brüstung sitzend, teils
hinter ihr stehend, um den taufenden Jesuitenapostel. Unter den Bekehrten be-
merkt man auch mit Turban geschmückte Orientalen, Mohren und Indianer, die so
den bereits im Langhausfresko anklingenden Hinweis auf die erdumspannende
Mission Franz Xavers wiederholen.
Daß diese Malereien eigenhändige Arbeiten Andrea Pozzos sind, ist, auch ab-
gesehen von der Quellennachricht, nicht zu bezweifeln. Die Formengebung, die
koloristische Behandlung, die architektonischen Motive verbinden das Werk aufs
engste mit den gesicherten Werken in Rom und Wien und mit den Entwürfen in
der „Malerperspektive". Ja, vergleicht man dieses älteste Fresko im besondern
mit S. Ignazio, so ist man überrascht, wie viel von jenen Errungenschaften schon
da ist, die dort vorbildlich gewirkt haben, wie fortgeschritten der Padre schon
in seiner ersten größeren Kirchenausmalung entgegentritt.
Die illusionistische Gestaltung der Deckenmalereien war an sich längst bekannt;
weder das Vortäuschen von Scheinöffnungen, noch das Aufbauen von Schein-
architekturen war etwas Neues. Vor Pozzo aber war die Scheinwelt, die sich
dort oben zeigte, unvermittelt und meist auch außer Verhältnis zur greifbar be-
grenzten Räumlichkeit, über der sie sich erhob, erschlossen worden. Die strengere
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