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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Antworten auf Emile Mâles "Studien über die deutsche Kunst"
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Götze, Alfred: Prof. Dr. A. Götze, Direktoriaassistent am Museum für Völkerkunde in Berlin
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Grautoff, Otto: Schlusswort
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0156

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Diese Schöpfung war auch nicht eine schwächliche Dekadenz oder Barbarisie-
rung, wie Male behauptet, sondern von einer inneren Kraft, wie sie sich in der
Kunstgeschichte selten zeigt. Als Beispiel sei auf die Entwicklung der Fibel hin-
gewiesen, die sich im Schoße der germanischen Kunst mit einer erstaunlichen
künstlerischen Logik vollzog. Die Behauptung Males, die Fünfknopffibel sei bei
den Skythen geboren, ist haarsträubend; hat doch die skythisch - sibirische Kunst
überhaupt keinen Fibeltypus zustande gebracht. Hier sei nur in großen Zügen
daran erinnert, was aus der „Fibel mit umgeschlagenem Fuß" des 3. und 4. Jahr-
hunderts unter den Händen germanischer Künstler wird: Die durch die scharfe
Umbiegung des gewölbten Fußes bedingte Abflachung der Knickstelle wird zur
Schaffung einer größeren Fläche benutzt, um auf ihr Ornamente anzubringen. Aus
einem Schutzdach für die Federkonstruktion entwickelt sich die Kopfplatte, die
ebenfalls Gelegenheit zu reicher Verzierung bietet. Ein Knöpfchen, das die lose
angesetzte Kopfplatte mit dem Fibelkörper verklammert, wird als Zierkörper aus-
gestaltet, ebenso die abschließenden Enden der Spiralfederachse. Nachdem im
weiteren Entwicklungsgang diese drei Knöpfe ihre konstruktive Bedeutung verloren
haben, läßt man sie nicht fallen, sondern verwendet sie weiter als reines Zier-
motiv und schließt sie unmittelbar an die Kopfplatte an. Denselben Gang machen
die fünf Knöpfe der Zweirollenfibel durch, die dann symmetrisch am Rande der
Kopfplatte verteilt werden. Schließlich wird das Motiv der Knöpfe durch Verviel-
fachung weiter ausgebaut. An diesem einen Beispiel zeigt sich die schöpferische
Kraft, welche mit sicherem Blick technische Anregungen erkennt, in Kunstformen
umsetzt und logisch weiter entwickelt.
Daß der germanischen Kunst des frühen Mittelalters die schöpferische Kraft nicht
gefehlt hat, ist also nicht zu bezweifeln, und damit ist die These Males widerlegt.
Auf weitere Beispiele kann wohl verzichtet werden. Damit aber nicht eingewendet
werden kann, die Germanen hätten ihre künstlerische Begabung erst durch den
Verkehr mit den Mittelmeervölkern erworben, ist es vielleicht nicht überflüssig,
daran zu erinnern, daß schon aus älteren Zeitperioden Erzeugnisse und Entwick-
lungsreihen vorliegen, die von dieser Eigenschaft Zeugnis ablegen. Sie sind um so
wichtiger, als sie in den rein germanischen Gebieten Norddeutschlands und Skan-
dinaviens auftreten und einen durchaus nationalen Charakter haben. Ich denke
hierbei namentlich an gewisse Erscheinungen der Bronzezeit, die sich den besten
kunstgewerblichen Erzeugnissen aller Zeiten und Völker ebenbürtig an die Seite
stellen (Hängedosen, Gürtelplatten, Schwertgriffe u. a. m.). Und die Entwicklungs-
geschichte der bronzezeitlichen Fibel verrät schon dieselbe sichere Stilisierungs-
gabe wie ihr völkerwanderungszeitlicher Enkel. Dieses nützliche Gebrauchs- und
Zierstück ist nach Ausweis der exakten Vorgeschichtsforschung eine ureigene
germanische Erfindung aus der zweiten Periode der Bronzezeit und ist von den
Germanen zu den übrigen Nord- und Mitteleuropäern und nach dem Mittelmeer-
gebiete gelangt.
Nach dem Gesagten erübrigt es sich auf die Ausführungen Males im einzelnen
einzugehen. Nur einige Punkte möchte ich noch kurz besprechen, ohne damit aus-
drücken zu wollen, daß ich mit allem übrigen einverstanden wäre.
Der erste Punkt betrifft das Verhältnis der Wolfsheimer Platte zur „gotischen"
Zellenkunst. Male hält sie wegen der auf der Rückseite eingravierten pehlvi-
Inschrift für persisch und leitet die „gotische" Zellenkunst von der durch die Wolfs-
heimer Platte repräsentierten persischen Kunst ab. Dazu ist zu bemerken, daß es
ein methodischer Fehler ist, eine eingeritzte Inschrift in einem vereinzelten Fall
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