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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Steinmann, Ernst: Die Zerstörung der Königsdenkmäler in Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0375

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begonnen. Im Jahre 1793 wurde die Kirche in eine Salpeterfabrik umgewandelt.
Hier lagen die Könige und Königinnen des ersten Königsgeschlechts der Merovinger
unter einfachen Grabsteinen begraben, auf denen man sie in ganzer Figur in den
Steinen eingegraben erblickte. Draußen am Hauptportal der Kirche aber hatten
sie sich mit Krone und Szepter als Hüter des Heiligtums aufgestellt. Grabsteine
und Portalskulpturen wurden zerstört, um das Andenken an Chilperich und Clothar für
immer auszulöschen, nur Fredegundes kunstvoll in Filigran gearbeiteten Grabstein gelang
es dem Architekten Belanger wenn auch zerstückelt zu retten166). Tafel 63, Abb. 34.
Keine Kirche von Paris aber wurde mehr von der furchtbaren Umwälzung be-
troffen als Notre-Dame, „la grande eglise", die Nationalkirche Frankreichs. Hier
hatten Coustou und Coycevoz die überlebensgroßen Statuen Ludwigs XIII. und
Ludwigs XIV. aufgestellt. Man sah sie, den toten Christus auf dem Schoße seiner
Mutter anbetend, rechts und links vom Hochaltar knien, auf den das Volk von
Paris am 10. November 1793 eine Tänzerin der Oper als Göttin der Vernunft er-
höhen sollte. Hier sah man auch rings an den Pfeilern acht bronzene Engel in Über-
lebensgröße mit den Marterwerkzeugen stehn. Sie wurden eingeschmolzen. Die Könige
aber barg Lenoir unter den Mantel der Barmherzigkeit im Kloster der Augustiner.
Sie sind nach langen Jahren und vielen Irrfahrten an ihren Platz zurückgekehrt167).
Genau so geschäftsmäßig wie man einst Architekten und Ingenieure für die In-
standhaltung der Baudenkmäler verpflichtet hatte, wurden sie jetzt angestellt, die
Bauwerke gemäß den neuen Begriffen von Volksbeglückung und Religion neu her-
zurichten, d. h. zu zerstören. Diese Arbeiten waren sehr gewinnbringend, ohne
große Mühe zu bewältigen und daher sehr begehrt. So drängten sich die Be-
werber168).
Wir besitzen genaue Aufzeichnungen über die Zerstörungen, die der Architekt Varin
vom Dezember 1793 bis September 1794 im „Tempel der Vernunft" ausführte169).
Er arbeitete im Auftrage des Departements unter den Augen der „Citoyens-administra-
teurs", unter höherer Leitung des Bürgers Poyet, Mitglied der einstigen Akademie
der Architektur, und verdiente große Summen. Varin und seine Helfershelfer zer-
störten im Innern von Notre Dame mit großer Gewissenhaftigkeit alle Erinnerungen
an den verflossenen „Despotismus"; draußen aber zerbrachen sie nicht weniger als
78 große und 12 kleinere Statuen, nicht gerechnet die Wappen, die Säulen, die goti-
schen Ornamente. Das ist es, was Courajod den legalen Vandalismus genannt hat,
der in dieser Schreckenszeit nicht nur in Paris, sondern im ganzen Lande gehand-
habt wurde, dem überall in den Kathedralen Frankreichs unschätzbare Kleinodien
der Plastik zum Opfer gefallen sind. Damals verschwand die Kathedrale von
Cambrai überhaupt vom Erdboden170), und Straßburgs Münster verlor mit seinen
schönsten Bildwerken die drei köstlichen Reiterstatuen von Clodwig, Dagobert
und Rudolf von Habsburg171). Es dürfte nicht leicht sein, diesem Exempel kalt-
blütiger Zerstörungsfreude in der neueren Geschichte ein zweites an die Seite zu
stellen. Tafel 64, Abb. 35.
Über den drei mächtigen Portalen an der Hauptfassade von Notre Dame sah
man in langer Reihe achtundzwanzig Könige von Juda und Israel mit Krone und
Szepter dargestellt. Tafel 64, Abb. 36. Im Rate der Commune witterte man in diesen
Statuen moderne Tyrannen, und der Rat der Commune beschloß, daß diese gotischen
Bildnisse binnen acht Tagen zu zerstören seien. Sie wurden ohne weiteres aus ihren
Tabernakeln herausgerissen und in die Tiefe hinabgestürzt172).
„Wißt ihr, was aus ihnen geworden ist?" fragt Mercier seine Leser178).
„Einer über den anderen geschichtet liegen sie von Schmutz starrend hinter der

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