DANTE ÜBER CIMABUE. ID.
Von F. RINTELEN
Oo notwendig und schön es ist, daß bisweilen in der Wissenschaft ein Kampf
" ausgefochten wird, damit in verworrene Fragen Klärung gebracht werde, ebenso
widerwärtig ist der Anblick von Streitereien, die, statt der Erkenntnis der Wahr-
heit zu dienen, nur die im Grunde ganz private Frage der Beteiligten, wer von
ihnen im Rechte sei, zu einer öffentlichen Angelegenheit zu machen wagen. Ich
habe darum die (wie der Verfasser selber sagt) nicht geharnischte, sondern nur
mit kleinen Mitteln verletzende Erwiderung des Herrn Professor Dvorak2) auf
meinen in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beitrag „Dante über Cimabue" unbe-
antwortet gelassen, und ich würde auch heute noch in meinem Stillschweigen ver-
harren, wenn ich nicht hätte erfahren müssen, daß das Ausbleiben meiner Antwort
von einigen als ein Beweis für die Unangreifbarkeit einer vor langem in die Welt
gesetzten Geschichtsfabel gedeutet worden ist. So sehe ich mich gezwungen, auf
die Sache zurückzukommen, aber ich gestehe, daß es mir in hohem Grade peinlich
ist, noch einmal Worte um eine Frage zu machen, die als die einfachste und klarste
von der Welt durch einen bloßen Hinweis hätte abgetan sein sollen; um so pein-
licher, als das Unglück will, daß es nicht nur wenige Worte sind, die ich zu machen
habe, da Dvorak auf seinen neun gegen mich gerichteten Seiten gar manchen
Kreuz- und Querzug getan hat. Was mich mit dieser bitteren Aufgabe versöhnt,
ist nur, daß ich mich dabei mit kostbaren Versen des unendlich geliebten Dich-
ters beschäftigen darf und daß ich vielleicht manche bisher unausgesprochene
Erkenntnis bei dieser Gelegenheit vorzubringen das Recht habe.
Dvorak eröffnet seinen Artikel mit einem, ich weiß nicht ob mehr betrübenden
oder erheiternden Genrebildchen aus der Welt der Kunsthistoriker. „Viele meiner
Freunde" schreibt er, „waren der Meinung, daß ich mich über Rintelens Antwort
auf meine Besprechung seines Giettobuches ärgern sollte." Sich ärgern sollte
Dvorak? Seit wann muß ein Gelehrter sich ärgern, wenn er in ruhiger Form und
mit ehrlichen Waffen angegriffen wird? Ich fürchte, der Wunsch, Dvorak, das
mächtige Schulhaupt an der Wiener Universität, möchte sich über meinen Aufsatz
ärgern, hat keine ganz saubere Quelle, und im stillen mache ich mir die inter-
essantesten Gedanken darüber, ob es wohl mehr die älteren oder mehr die jün-
geren Freunde Dvoraks gewesen sind, die ihn aufzuhetzen bemüht waren. Auf
alle Fälle waren es keine guten Freunde, und ich würde an Dvoraks Stelle von
jedem Freund, der zu mir gesagt hätte: „Mensch, ärgere dich!" gewußt haben,
daß das kein rechter Freund sein könne und hätte nicht mehr viel mit ihm zu
schaffen haben wollen. Allein — ich kann gut reden; ich habe eben solche
Freunde nicht.
Aber lassen wir allen Ärger und alle — Freunde beiseite und kommen wir
zur Sache. Wie sich der Leser erinnern mag, hat vor vielen Jahren Wickhoff
einen Aufsatz über die italienische Ducentomalerei verfaßt, in dem er mit der
prächtigen Initiative, die ihm innewohnte, die Verwirrung, die auf diesem Gebiet
der Forschung bestand, zu beseitigen versuchte. Er zeigte, daß man auch hier,
und hier besonders, mit der Autorität des Vasari nicht auskomme; auf eine bei-
nahe unterhaltende Art wies er Ungereimtheiten und Zufälligkeiten in der Ent-
stehungsgeschichte von Vasaris Erzählung über den Maler Cimabue nach. Er
(1) Vgl. Monatshefte ... 1913 p. 200 ff.
(2) Kunstgesch. Anzeigen 1913 p. 75 ff.
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Von F. RINTELEN
Oo notwendig und schön es ist, daß bisweilen in der Wissenschaft ein Kampf
" ausgefochten wird, damit in verworrene Fragen Klärung gebracht werde, ebenso
widerwärtig ist der Anblick von Streitereien, die, statt der Erkenntnis der Wahr-
heit zu dienen, nur die im Grunde ganz private Frage der Beteiligten, wer von
ihnen im Rechte sei, zu einer öffentlichen Angelegenheit zu machen wagen. Ich
habe darum die (wie der Verfasser selber sagt) nicht geharnischte, sondern nur
mit kleinen Mitteln verletzende Erwiderung des Herrn Professor Dvorak2) auf
meinen in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beitrag „Dante über Cimabue" unbe-
antwortet gelassen, und ich würde auch heute noch in meinem Stillschweigen ver-
harren, wenn ich nicht hätte erfahren müssen, daß das Ausbleiben meiner Antwort
von einigen als ein Beweis für die Unangreifbarkeit einer vor langem in die Welt
gesetzten Geschichtsfabel gedeutet worden ist. So sehe ich mich gezwungen, auf
die Sache zurückzukommen, aber ich gestehe, daß es mir in hohem Grade peinlich
ist, noch einmal Worte um eine Frage zu machen, die als die einfachste und klarste
von der Welt durch einen bloßen Hinweis hätte abgetan sein sollen; um so pein-
licher, als das Unglück will, daß es nicht nur wenige Worte sind, die ich zu machen
habe, da Dvorak auf seinen neun gegen mich gerichteten Seiten gar manchen
Kreuz- und Querzug getan hat. Was mich mit dieser bitteren Aufgabe versöhnt,
ist nur, daß ich mich dabei mit kostbaren Versen des unendlich geliebten Dich-
ters beschäftigen darf und daß ich vielleicht manche bisher unausgesprochene
Erkenntnis bei dieser Gelegenheit vorzubringen das Recht habe.
Dvorak eröffnet seinen Artikel mit einem, ich weiß nicht ob mehr betrübenden
oder erheiternden Genrebildchen aus der Welt der Kunsthistoriker. „Viele meiner
Freunde" schreibt er, „waren der Meinung, daß ich mich über Rintelens Antwort
auf meine Besprechung seines Giettobuches ärgern sollte." Sich ärgern sollte
Dvorak? Seit wann muß ein Gelehrter sich ärgern, wenn er in ruhiger Form und
mit ehrlichen Waffen angegriffen wird? Ich fürchte, der Wunsch, Dvorak, das
mächtige Schulhaupt an der Wiener Universität, möchte sich über meinen Aufsatz
ärgern, hat keine ganz saubere Quelle, und im stillen mache ich mir die inter-
essantesten Gedanken darüber, ob es wohl mehr die älteren oder mehr die jün-
geren Freunde Dvoraks gewesen sind, die ihn aufzuhetzen bemüht waren. Auf
alle Fälle waren es keine guten Freunde, und ich würde an Dvoraks Stelle von
jedem Freund, der zu mir gesagt hätte: „Mensch, ärgere dich!" gewußt haben,
daß das kein rechter Freund sein könne und hätte nicht mehr viel mit ihm zu
schaffen haben wollen. Allein — ich kann gut reden; ich habe eben solche
Freunde nicht.
Aber lassen wir allen Ärger und alle — Freunde beiseite und kommen wir
zur Sache. Wie sich der Leser erinnern mag, hat vor vielen Jahren Wickhoff
einen Aufsatz über die italienische Ducentomalerei verfaßt, in dem er mit der
prächtigen Initiative, die ihm innewohnte, die Verwirrung, die auf diesem Gebiet
der Forschung bestand, zu beseitigen versuchte. Er zeigte, daß man auch hier,
und hier besonders, mit der Autorität des Vasari nicht auskomme; auf eine bei-
nahe unterhaltende Art wies er Ungereimtheiten und Zufälligkeiten in der Ent-
stehungsgeschichte von Vasaris Erzählung über den Maler Cimabue nach. Er
(1) Vgl. Monatshefte ... 1913 p. 200 ff.
(2) Kunstgesch. Anzeigen 1913 p. 75 ff.
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